Matthias Emcke schrieb und inszenierte das bemühte Drama um den verantwortungslosen Marc, dessen Dilemma er so beschreibt: “Nach einem tragischen Unfall gibt es nur zwei Alternativen: sich zu wandeln oder endgültig abzustürzen. Das klingt erst einmal banal.” Ist es auch. “Dies ist meine Geschichte.“, notiert Amateurradrennfahrer Marc (Til Schweiger). Kein Wunder, dass derartige autobiografische Schreibversuche der Hauptperson bisher erfolglos blieben. Zu erzählen hat Marcr Phrasenhaftes über das Freiheitsgefühl beim Sport und zurückliegende Familienschwierigkeiten. Die aktuellen Probleme des Gelegenheitsvaters einer jugendlichen Tochter (Luna Schweiger) lässt der Film beiseite. Muss deren Mutter über ein halbes Jahr Unterhaltsschulden und die chronische Unzuverlässigkeit Marcs nörgeln? Die hübsche Nika (Jana Pallaske) ermuntert Marc trotz dessen Beziehungsscheue und väterlicher Pflichtverletzung zum Schreiben. Marc radelt lieber herum und erleidet einen Unfall, nachdem ihm ein Bein amputiert wird. Angesichts der mangelnden Dramatik fühlt auch der Zuschauer “Phantomschmerz”. Lieber Arm ab als arm dran gilt auch für Beine. Marc rehabilitiert sich physisch wie sozial und strebt als geläuterter Vater und Partner seinen Lebensträumen entgegen. Und alles basiert auf einer wahren Begebenheit.
Dieser Marc muss ein wundervoller Mensch sein. Warum sonst widmen ihm seine Mitmenschen aufopfernde Führsorge? Marcs Freund Alexander (Stipe Erceg) nimmt ihn in seiner Wohnung auf, als Marcs Vermieter kündigt, ermöglicht Marc im doppelten Sinne den Schritt in ein Leben nach dem Unfall, indem er eine Spezialprothese bezahlt und schenkt ihm obendrein ein Auto. Nachdem Marc dank fremder Hilfe in die Selbstständigkeit düsen kann, zeigt er Alexander zum Abschied – aus dem Fenster des geschenkten Wagens – den Vogel. Undank ist der Weltlohn. Seine Freundin Nika arrangiert für den verhinderten Schriftsteller ein Treffen mit einem Verleger und hält trotz der Behinderung zu ihm. Marc revangiert sich, indem er ihr weiterhin gestattet, für ihn da zu sein. Marcs Wandlung ist die vom erfolglosen zum erfolgreichen Egoisten. “Phantomschmerz” fühlt Marc doppelt: im amputierten Bein und über Probleme, die er nicht hat. Nichts verrät das aufdringliche Drama über die Sorgen anderer Charaktere. Wo “Schweiger“ drüber steht, muss “Schweiger“ drin sein, gilt für jede Szene.
Die Egozentrik der Filmfigur deckt sich mit der des Hauptdarstellers. Schweiger geling es nicht ansatzweise, seiner Rolle Tiefe zu verleihen. Mit versteinerter Miene radelt er durch die Lande. Ja, dass muss ein rauer Kerl sein. Gepeinigt vom titelgebenden “Phantomschmerz” wälzt er sich nachts im Bett. Angesichts der platten Darstellung windet man sich im Kinosessel schlimmer. Den Nebendarsteller Stipe Erceg und Jana Pallaske, die ihr Talent nach dem reißerischen Großstadtkrimi “Kopf oder Zahl” und der tumben Komödie „Männerherzen“ erneut verschwendet, lässt Regisseur Emcke keinen Raum. Wenn er den Zuschauer mit seinen aus Plattitüden bestehenden Dialogen verschont, peinigt er ihn mit Marcs selbstgefälligem Hintergrundkommentar. Nichts Hoffnungsvolles liegt in Marcs problemlosen Verarbeiten des traumatischen Unfalls. Sein Weiterkommen verdankt er nicht individueller Stärke, sondern engagierten Freunden und materiellen Zuwendungen. Dass er seinen Erfolg als eigene Errungenschaft ausgibt, erscheint somit als heuchlerisch. Emckes Idealisierung dieses Verhaltens macht “Phantomschmerz” unangenehm arrogant.
Vielleicht erwartet Schweiger, dass Kritiker von Dankbarkeit umnebelt darüber, zu Pressevorführungen seines Films zugelassen zu sein, positiv über “Phantomschmerz” urteilen. Falls nach Verrissen wieder geschlossene Gesellschaft gilt, wird man kaum “Phantomschmerz” ob des ungesehenen Films fühlen. Wer auf den DVD-Kauf verzichtet, wird genauso wenig darunter leiden. Man kann auch mit einem Bein weniger ein gutes Leben führen. Ohne Schweiger-Filme sogar ein besseres. “Phantomschmerz” ist ein Film ohne Handlung, ohne ernsthafte Charaktere, ohne Humor oder Dramatik. Doch soviel weiß man nach dem Ansehen: Auch was fehlt, kann richtig weh tun.
Titel: Phantomschmerz
DVD-Start: 30. Oktober
Genre: Drama
Regie und Drehbuch: Matthias Emcke
Darsteller: Til Schweiger, Jana Pallaske, Stipe Erceg, Luna Schweiger, Julia Brendler
98 min.
Verleih: Warner Bros.
www.phantomschmerz-derfilm.de