Neben den expressionistischen Opern „Elektra“ von Richard Strauss und der „Lulu“ von Alban Berg, die das Staatstheater Wiesbaden aufführt, werden im Schauspiel die expressionistischen Kurzdramen von Oskar Kokoschka auf die Bühne gebracht und szenische Lyriklesungen dargeboten. Die Musiktheater-Werktstatt wird Stücke von Wassily Kandinsky zeigen, die Oper Konzerte mit Kammermusik und Liedprogrammen von Arnold Schönberg, Alban Berg, Erich Wolfgang Korngold, Alexander von Zemlinksy und Richard Strauss aufführen und das Ballett wird expressionistische „Skandale“ wie „Le sacre du printemps“ nach der Musik von Igor Strawinsky tanzen.
Soweit die Zukunft. Richtig los geht es aber schon dieses Jahr. Ging es schon los, müssen wir konstatieren, denn die gerade abgelaufenen Geigen Meisterkurse der Kronberger Akademie fanden diesmal mit Unterstützung der Kulturfonds statt, die dazu beitragen, daß nach dem Tode von Rostropowitsch 2007 dessen berühmt gewordene Cello Meisterkurse nun in solche für alle Streicher insgesamt gewandelt werden. Und am 17. Mai werden in Bad Homburg „Blickachsen als Landmarken des Rhein-Main-Gebiets“ eröffnet. „Blickachsen“ hießen bisher höchst artifiziell gestaltete Skulpturenausstellungen im Bad Homburger Schloßpark und den Parkanlagen, die nun in alle vier Richtungen der Region ausgeweitet werden: nach Weilburg/Limburg, Mainz, Aschaffenburg und Darmstadt. Klingt interessant.
Der eigentliche expressionistische Auftakt wird an vier Abenden stattfinden. Vom 26. bis 30. August 2009 bringt der Tigerpalast im Bockenheimer Depot – einem ehemaligen Straßenbahndepot im Ziegelbau der Jahrhundertwende 1900 mit toller Atmosphäre – einen internationalen Seiltanzabend „Le Fil Sous La Neige“. Das ist eine französische Produktion, in der Antoine Rigot sein dramatisches Leben erzählt – auf dem Seil. Sogar auf sechs Seilen, denn ein Leben kann man nicht alleine erzählen. Die sechs Seile sind nämlich in unterschiedlicher Höhe gespannt und auf ihnen begegnen sich Rigot und die Mittänzer, die Creme der internationalen Seiltänzer, die Margarete Dillinger, die künstlerische Direktorin des Tigerpalastes, nach Frankfurt lockte.
Was das mit dem Expressionismus zu tun hat, weiß jeder, der diese Zeit kennt und ihren Anspruch, das ganze Leben in eine künstlerische Form zu stecken. Die Künste sollten nicht mehr getrennt sein, sondern jede ihren Beitrag zur Intensivierung des Lebens leisten. Die Großstadt selbst war Thema geworden, wie es die vielen Straßenbilder von Kirchner und anderen Malern zeigen, aber auch deren Etablissements wie Varieté, Tanzbühnen und die neu erwachte Leidenschaft für Circus und ihre antibürgerlichen Helden. Sicher, da fallen einem sofort die Romane von Heinrich Mann ein, der wie kein zweiter die Anziehung einer Halbwelt, der von Dumas Demimonde genannten neuen Gesellschaftsschicht in Lackschuhen und äußerer Eleganz, auf das Bürgertum beschrieb. Aber auch Max Beckmann und seine Circusbilder gehören in dieses Ambiente, die Schlangenbeschwörer, die Löwenbändiger, die Trommler und Trompeter und die schönen Frauen.
Und das neue Frauenidol tanzte. Anita Berber in Deutschland, was Otto Dix 1925 malte, und die schöngestaltete Josephine Baker in Paris, aber auch die zwielichtige Mata Hari, die 1917 als Spionin hingerichtet wurde. Das ausgelassen tanzende Paar, das Ernst Ludwig Kirchner mit dem Titel „Varieté“ ab 1910 malte, hängt im Städel und schwebt als sinnliches Emblem über dem ganzen Vorhaben des „Phänomen Expressionismus“, für das Johnny Klinke versprach, die Bilder zum Tanzen zu bringen.
Auch die expressionistische „Backstein“-Architektur wird gezeigt. Am 10. Oktober 2009 bringt das Deutsche Architekturmuseum „Martin Elsaesser und das Neue Frankfurt“. Was im Titel so additiv erscheint, war eine komplizierte Verbindung, denn die Strahlekraft des Frankfurter Baudezernenten Ernst May, Sinnbild für den Mythos des Neuen Bauens, ließ den Architekten Elsaesser allzu oft als dessen Handlanger erscheinen. Dabei war Elsaesser kongenial und auch dienstrechtlich separat vom damaligen Oberbürgermeister zum Leiter des städtischen Hochbauamtes berufen worden, wo er insbesondere Großprojekte plante und baute.
Die Frankfurter Großmarkthalle ist eines von ihnen, die derzeit als neue Zentrale für die Europäische Zentralbank umgebaut wird, was Frankfurter schmerzt, die an diesem Ziegelbau – das bevorzugte Material war Backstein und hartgebrannter Klinker – hängen. Martin Elsaesser baute auch Schulen, so 1929 die unsere Grund- und Hauptschule, die Holzhausenschule, die um die Ecke des I.G. Hochhauses liegt, das Hans Poelzig für die größte Wirtschaftsmacht im Deutschen Reich 1928 erbaute, in dem heute die Universität Einzug gehalten hat. Ein wunderbarer Bau und dringend in die Ausstellungsflut zum „Phänomen Expressionismus“ einzubeziehen. Die Wiederauflage einer kleinen Poelzigausstellung, die es schon gab, wäre da nicht schlecht, in der endlich auch die Frauenarbeit gewürdigt würde, denn die Frau von Poelzig hatte mit vielen innenarchitektonischen Detailvorschlägen Anteil am Gesamterfolg.
Eine Rolle spielen auch die expressionistischen Ausflüsse in die Musik, ganz abgesehen davon, daß Paul Hindemith in Hanau geboren wurde und heute musikalisch in der Region präsent geblieben ist. Mit den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik ist Darmstadt ein Begriff in der Fachwelt geworden, gleichsam ein Synonym für die Musik der Gegenwart. Seit 1946 sind die Ferienkurse ein Treffpunkt von zeitgenössischen Musikschaffen und Musikinteressierten und werden heute zweijährlich durchgeführt. Es gibt keinen Komponisten der Gegenwart, der nicht schon dort gewesen wäre. Nun soll mit ROTOR ein im September 2009 stattfindendes Festival der Gegenwartsmusik diesen Ansatz weiterführen. Dazu nutzt man die Situation, daß das Ensemble Modern, das bundesrepublikanisch bedeutsamste Orchester für Neue Musik, in Frankfurt beheimatet ist, tut sich zusammen, wird vom Hessischen Rundfunk technisch begleitet und wird an drei Tagen sowohl musikalisch in Erscheinung treten wie auch ein Symposion durchführen.
P.S. Das Programm „Phänomen Expressionismus“ weist überzeugend die gemeinsamen Wurzeln dieser Kunst-, ja Lebensrichtung im Rhein-Main-Gebiet auf und damit auch die inhaltliche Berechtigung eines regionalen Zusammenschlusses, der aus kulturpolitischen Gründen eh geboten ist, also die Kulturfonds frankfurtrheinmain. Wir tun uns nur mit dem Namen und vor allem der Schreibweise so schwer. Mal groß-, mal kleingeschrieben, mal gar nicht geschrieben, sondern als Rhein-Main-Gebiet definiert, mal im Singular, „der Kulturfonds“, mal im Plural „die Kulturfonds“ ist und bleibt dies ein sperriger Begriff. Wir können uns vorstellen, daß die Namensgebung nicht leicht war, dann sollte aber wenigstens die Schreibung einheitlich sein. Diese Kleinschreibung von Festivals ist auch von gestern, aber der Expressionismus ist lebendig und dessen Phänomen sollte einen sprachlich angenehmen Träger haben.