Berlin, BRD (Weltexpress). „Die Welt und nicht Ehrgeiz und Fleiß haben mich zum Schriftsteller gemacht. Sie drückte so lange auf mich, bis sie Bücher mir aus dem Kopf drückte, um sie ihr an die Köpfe zu werfen.“ Mit diesen Worten schätzte Jeremias Gotthelf den Einfluss des Geistes seiner Zeit auf sein Werk ein. Er verstand sich nicht als passiver Beobachter, sondern als Streiter für eine bessere Welt, wenn er hinzufügte, „es kömmt mir aber immer vor, als sei mein Schaffen kein Schreiben, sondern ein Fechten.“
Jeremias Gotthelf, der eigentlich Albert Bitzius hieß, wurde am 4. Oktober 1797 in der Ortschaft Murten im Schweizer Emmental geboren. Unter dem Einfluss der französischen Revolution kam es auch in seiner Heimat zu heftigen politischen und sozialen Auseinandersetzungen. Die Helvetische Republik entstand, die alte Eidgenossenschaft ging unter und aus der revolutionären Bewegung von 1848/49 ging der neue Bundesstaat mit einer liberalen Verfassung hervor. Diese Zeit bestimmte Leben und Handeln des Dichters, der ebenso als Theologe, Reformer und Politiker wirkte. Als Pädagoge, er hatte das Amt eines Schulcommissärs inne (was hier zu Lande heute einem Inspektor vergleichbar ist), stand er in der Nachfolge seines Landsmannes Pestalozzi und hatte die Vision einer Gesellschaft, in der sich der Mensch frei entwickeln und keiner Obrigkeit unterworfen sein sollte.
In Schilderungen von Zeitgenossen als auch späteren Literaturkritikern erscheint Gotthelf als eine schillernde, faszinierende und bis heute kaum nachahmbare Persönlichkeit, als scharfer, vor allem aber unbequemer Beobachter, Kritiker und Mahner, dessen Schriften von tiefem Gefühl zeugten, denen aber auch Humor nicht fehlte. Mit scharfer Zunge, die an Thomas Münzer erinnerte, prangerte er die auf Unterwürfigkeit erpichte Obrigkeit an, ihre „Advokaten, Juristen und sonstiges Pack“, die Gesetze machen, „dass wir die Schwerenoth kriegen möchten und der Teufel Bauchweh.“ Zum Echo seines Schreibens unter Volk und Regenten hielt er fest: Bin beliebt und verhasst, vielen Gleichgültig. … Der ‚Basler Boten’ schilt mich unchristlich und warnt die Leut vor meinen Büchern.“
Als Gotthelf am 22. Oktober 1854 mit nur 57 Jahren starb, hinterließ er, der erst mit 40 Jahren die schriftstellerische Laufbahn eingeschlagen hatte, ein Werk, dessen Gesamtausgabe auf 42 Bände anwuchs. Sie enthalten alle Dichtungen, darunter 13 Romane, 50 Erzählungen, Briefe, Zeitungsartikel und Streitschriften sowie seine Predigten als Pfarrer in Lützelflüh von 1832 bis zu seinem Tode. Die bedeutendsten Romane sind: „Der Bauernspiegel oder die Lebensgeschichte des Jeremias Gotthelf“ und „Wie Ulli der Knecht glücklich wird“, die den deutschsprachigen Bauernroman begründeten, gefolgt von der Erzählung „Elsi, die seltsame Magd“, „Leiden und Freuden eines Schulmeisters“ sowie „Geld und Geist“, die als erste zu nennen sind, wenn von seinem Platz in der Weltliteratur die Rede ist. Seine populärste Erzählung „Die schwarze Spinne“ wurde 150 Mal verlegt und in zahlreiche Sprachen übersetzt. Er schrieb sowohl in Hochdeutsch als auch in Berner Mundart. Mehrere seiner Romane wurden verfilmt.
Das Schaffen Gotthelfs, der mit Balzac, Thackeray, Walter Scott, Fritz Reuter, Hebel, Hebbel und selbst mit Rousseau verglichen wurde, widerspiegelt neben christlich konservativen Zügen in einem einzigartigen Realismus vor allem seine gesellschaftskritische Haltung gegenüber Heuchelei und Lüge, Egoismus und Habsucht. Dass sich Gotthelfs Darstellung, wenn er vom Kampf zwischen Gut und Böse schrieb, zuweilen ins Mythische steigerte, tat dem rebellischen Geist seiner Gestaltung keinen Abbruch.
Viele Große der Literatur, Philosophie oder Geschichte haben Gotthelf gewürdigt. Gottfried Keller nannte ihn „einen vortrefflichen Maler des Volkslebens“, der „ohne alle Ausnahme das größte epische Talent war, welches seit langer Zeit und vielleicht für lange Zeit lebte.“ Hugo von Hoffmannsthal ging in seinem Briefwechsel auf ihn ein und Ricarda Huch widmete ihm ein Essay. Ernst Bloch verfasste die Betrachtung „Hebel, Gotthelf und bäuerliches Tao“.
Den gesellschaftskritischen Höhepunkt seines Schaffens erreichte Gotthelf wohl, wenn er im „Schulmeister“ die „Kurzsichtigkeit und Engherzigkeit der Regierenden“ kritisierte, die „gar nichts mehr sehen und schmöcken, als wer vor ihnen sich beuge, ihnen ‚ja, ja’ sage mit demütiger Gebärde.“ An anderer Stelle fragt er, ob „wohl der Staat um des einzelnen Willen da oder der einzelne um des Staates Willen? Ist die Vervollkommnung des Menschen oder die Ausführung einer Staatsidee Zweck des irdischen Lebens?“
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