Damit ging für die beiden ein lange gehegter Traum in Erfüllung, in den sie seit 1984 Können, Kraft und die privaten Ersparnisse investiert hatten. Zuspruch oder gar Unterstützung war rar. Die Senatsverwaltung für Schulwesen in Berlin fand es höchst überflüssig, dass »Gastarbeiter« ihre eigene Kultur pflegen, sie sogar verbreiten wollten. Die sollten sich integrieren! Und selbst unter den eigenen Landsleuten wurde sinniert, ob da nicht jemand hinterm großen Geld her war.
Die Karademirlis hielten an ihrer Vision fest: Es sollten die in Berlin geborenen und aufwachsenden türkischen Kinder die Möglichkeit haben, sich mit der Musik ihrer Vorfahren vertraut zu machen und selbst ein Instrument spielen zu lernen. Und der ältere Generation sollten in der neuen Heimat die Traditionen erhalten bleiben. In Berlin – daran muss erinnert werden – leben rund 250 000 Türken oder türkischstämmige Menschen.
Auch im Leben Karademirlis war die Musik immer Lebenshilfe. Seine außergewöhnliche musikalische Begabung – speziell für die Oud, die türkische Kurzhalslaute – war früh erkannt und gefördert worden. Mit den Honoraren seiner Konzerte hat er auch in Deutschland seine Ausbildung als Elektroniker finanziert. Und selbst in der Freizeit durch die Arbeit mit Chören und Musikgruppen auf die Verwirklichung des Lebenstraums hingearbeitet. Es verwundert nicht, dass ehemalige Lehrer, Meister der türkischen Musik, den einstigen Schüler unterstützten, der längst selbst zu den international bekannten Meistern seines Instruments zählt.
Das Konservatorium startete mit 150 Schülern im Alter von 16 bis 25 Jahren. Heute wird es im Schnitt von 250 Schülern besucht. Es kommen auch Deutsche, Griechen, Araber, Franzosen, Italiener, Engländer, darunter die Kinder verschiedener Botschafter. Gearbeitet wird nach Lehrplänen, die denen der Konservatorien an den Universitäten in Izmir und Istanbul entsprechen. Unterrichtet werden nach wie vor Klassische türkische Musik und Türkische Volksmusik, Gesang, Volkstanz und Zupf-Instrumentenbau. (Die Instrumentenwerkstatt ist von der Handwerkskammer Berlin als Ausbildungsstätte anerkannt.) Und neuerdings – alles entwickelt sich – kann man neben der Kunstmusik auch Pop und Folklore studieren. Der einfachen Herkunft der meisten Berliner Türken gemäß wird Volksmusik-Unterricht im preiswerten Gruppenschema erteilt.
Von Beginn an wurde das Konservatorium als „Ergänzungsschule" gem. § 9 des Privatschulgesetzes und als „Künstlerische Schule" bestätigt. Seine Abschlussdiplome allerdings werden nicht akzeptiert. In der Ablehnungsbegründung steht unter anderem: Da es in Berlin eine Ausbildung in türkischer Musik nicht gebe, hätten die Senatsverwaltungen auch keine Bewertungskriterien für eine Beurteilung der Leistungen. Für die Studenten heißt dies, dass ihr Diplom vom Konservatorium für türkische Musik – in Deutschland – keinen Wert hat.
Eine finanzielle Unterstützung von der Stadt Berlin gibt es bis heute nicht. Die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaft steht dem Projekt inzwischen zumindest aufgeschlossen gegenüber: Seit 2011 kann das Konservatorium Räume einer seit 7 Jahren leerstehenden Grundschule in der Bergmannstraße nutzen. Der Ausbau wurde und wird mit privaten Spenden in Millionenhöhe finanziert – genau so wie die jetzt anstehende Erweiterung. Die wurde nötig vor allem durch eine Neugründung: Die »Global Music Akademy«, eine private – von Spendengeldern des Gründerkonsortiums getragene – Musikhochschule, soll Musiker und Musikwissenschaftler in den Stilistiken unterschiedlicher Musikkulturen ausbilden. Die Nachfrage nach Studienplätzen ist bereits größer als die Kapazität.
Das Konservatorium ist mit zahlreichen Integrationsprojekten sowie Grundschulen und Bibliotheken vernetzt, in denen z.B. Workshops für Instrumentenkunde angeboten werden. Sie sind regelmäßig zu Gast in der »Gelben Villa«, einem Kreativ- und Bildungszentrum für Kinder, Schulprojektwochen, Freizeitkurse und Sommerferienwerkstätten. Zielgruppe sind Kinder zwischen zehn und zwölf Jahren, insbesondere Kinder »mit Migrationshintergrund«, die dort verschiedene Musikstile aus unterschiedlichen Kulturen kennen lernen, selber musizieren, ein Instrument bauen und eine eigene musikalische Choreographie in einem Tanz umsetzen und, im gemeinsamen Lernen, ihre interkulturelle Kompetenz erweitern können.
Die Musiker arbeiten mit renommierten Musikern und Orchestern im Berliner Kulturbetrieb, u.a. dem RIAS Kammerorchester oder dem Rundfunkchor Berlin. Gemeinsam mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin führten Chor und Ensemble des Konservatoriums Werke türkischer Komponisten auf. Neben Musik-CDs und Hörbüchern produzierte das Tonstudio des Konservatoriums sogar Teile des Soundtracks zu dem Hollywoodfilm In 80 Tagen um die Welt (2004).
Inzwischen haben mehr als 19 000 junge Menschen die Angebote des Konservatoriums genutzt, viel gelernt und viel Spaß miteinander gehabt. Höhepunkte immer wieder die Auftritte: in kleineren und größeren Konzerten, im vergangenen Jahr sogar in der Philharmonie mit einem gemeinsamen Projekt mit den Berliner Symphonikern, und immer wieder beim Karneval der Kulturen der Welt. Zahlreiche Absolventen des Konservatoriums haben Preise. gewonnen. Bei jährlich von dem staatlichen türkischen Fernseh- und Rundfunksender TRT in Berlin veranstalteten Gesangswettbewerben belegen Schüler des Konservatoriums die ersten Plätze.
Ein erfolgreicher Weg. Verschwiegen werden kann aber nicht, dass ein Institut wie das Konservatorium von deutschen Kulturpolitikern noch immer nicht ernst genommen und auf gleicher Augenhöhe behandelt wird. Die Bundesfraktion der Grünen zum Beispiel veranstaltete im vergangenen Jahr ein »Hearing« zur Situation der Musikschulen in Deutschland. Eingeladen war keine einzige Musikschule anderer nationaler Herkunft.
Wer einmal dabei sein will, dem sei der Besuch des 2. Festkonzerts anlässlich des 15jährigen Bestehens des Konservatoriums für Türkische Musik ausdrücklich empfohlen. Leitung: Nuri Karademirli. Wahrscheinlich werden auch Birgil Kaya, Burcu Top, Tolja Yilmaz und Hüseyin Ay kommen – und zuhören. Sie hatten bereits im 1. Festkonzert ihren viel bejubelten Auftritt.
Termin: 12. April, 20 Uhr, in der Werkstatt der Kulturen, Wissmannstr. 32 in Kreuzberg. U7 und M29 bis Hermannplatz. Eintritt 9 €, ermäßigt 6 € .
Tiket und Infos: www.btmk.de oder www.werkstatt-der-Kulturen.de
Anmerkungen:
Erstveröffentlichung im Neuen Deutschland vom 11.4.2013.