Fuldatal Rothwesten, Deutschland (Weltexpress). Thomas Günther hat zwischen 1992 und 1997 in Frankfurt Dipl.-Sportwissenschaften studiert. Sein Schwerpunkt war Prävention und Rehabilitation.
Wie die meisten Sportstudentinnen betrieb er in seiner Jugend vielseitig Sport: Tennis, Skifahren, Laufen, Fitness und Radfahren/Biken und ein bisschen Volleyball noch im Schulteam. Im Sportstudium und dem danach folgenden Jobs als Trainer und leitender Sportprogramm-Manager. Weitere Sportarten kamen hinzu, zum Beispiel Klettern, Fitness, Inline-Skating, American Football, Duathlon, Triathlon, vieles nur zum Spaß, allerdings auch einige Sportarten davon wettkampfmäßig.
„Sport, Bewegung und Körperlichkeit waren einfach immer meine Leidenschaft, so dass ich mir einfach nicht vorstellen konnte, in einem anderen Bereich zu arbeiten“, sagt Thomas Günther.
Von 1997 bis 2004 arbeitete er hauptberuflich in Bad Wildungen in einem Kur-/Reha- und Sportzentrum als sportlicher Leiter, wo er Freizeit- und Profisportler betreute. Neben verschiedenen Zusatzqualifikationen als Trainer in diversen Sportarten und Fortbildungen bei der EWU e.V. (EWU steht für Erste Westernreiter Union Deutschlands) wurde er erfolgreicher Western-Reiter, Reitlehrer und Pferdetrainer. Seit 2004 arbeitet er hauptberuflich mit Pferden.
Das Interview
Paschel: Lieber Thomas, endlich habe ich mal das Vergnügen mit einem reitenden Sport-lehrer und sogar -wissenschaftler zu sprechen. Beim Reiten habe ich mehr als in allen anderen Sportarten Menschen angetroffen, die glauben, über Pferde und Reiten alles zu wissen. Bei näherem Hinsehen sind es Schlagwörter und Scheinwissen, das nicht in der Erfahrung fundiert ist, sondern von einem noch klügeren Reitlehrer unreflektiert übernommen wurde, und dem unsicheren Reitschüler eine trügerische Sicherheit vermitteln, an die man sich klammert. Wenn irgendetwas mit dem Pferd nicht klappt, ist fast nie der Reiter schuld sondern in der Regel das Pferd. Das ist beim Westernreiten wahrscheinlich ähnlich oder?
Günther: Es freut mich sehr, wenn sich jemand aus dieser Sicht mit der Pferdearbeit beschäftigt. Deshalb ist es meinerseits ein großes Vergnügen, teil dieses Interviews zu sein.
Eigentlich ist es in allen Reitdisziplinen ähnlich, es gibt offene, ehrliche, selbstkritische und engagierte Menschen und es gibt solche, die immer anderen die Schuld geben. Einem Pferd kann man leicht die Schuld geben, es kann sich ja nicht direkt dagegen wehren.
Die Vermittlung von Halbwissen mit dem Vortäuschen von Unfehlbarkeit, mit Selbstverherrlichung, maßloser Selbstüberschätzung und Unfähigkeit zur Selbstreflexion und Selbstkritik ist leider tatsächlich gang und gebe. Das ist nicht nur unschön und niveaulos, es ist vor allem unfair, gefährlich und eine inakzeptable Entwicklung in der Pferdewelt.
Tatsächlich werden heut zu Tage oft junge Trainer gefeiert und gepuscht, die sich tolle Dinge mit ihren Pferden erarbeitet haben, jedoch aus meiner Sicht keine ausreichende Erfahrung haben und oft in ihrer Persönlichkeit nicht weit genug entwickelt und gefestigt sind Pferde und deren Besitzer ehrlich, effektiv, fair, gesund und sicher zu trainieren und zu fördern. Oder „alt eingefleischte“ Ausbilder bestehen auf ihren Methoden, die sie nie richtig überprüft haben und seit Jahren unreflektiert und stur weitergeben.
Das ist allerdings nicht nur in der Pferdewelt so, denke ich.
Paschel: Ja, aus meiner Sicht aber in der Pferdewelt besonders häufig, weil das Reiten in der Sportwissenschaft und -pädagogik ein Schattendasein führt, das zur Folge hat, dass die Ausbildung von Reiter und Pferd bis in die höchsten Klassen des Sportreitens zuweilen auf autodidaktisch erworbenen Kenntnissen basiert, die nicht per se falsch sein müssen.
Das hören natürlich die selbsternannten Reitlehrer nicht gern, aber selbst die Trainerausbildung in den Bundesländern besteht aus meiner eigenen Erfahrung überwiegend in der Vermittlung von Scheinwissen. Eine Frage in der schriftlichen Prüfung meiner Berittführerausbildung bei der FN war z. B.: „Wie heißt der Präsident der Deutschen reiterlichen Vereinigung?“
Kannst du die Frage beantworten?
Günther: Es ist Breido Graf von sowieso… oder?
Paschel: Du hast bestanden!
Kennst du auch Gustav Steinbrecht: „Das Gymnasium des Pferdes“ (1884)und die Heeresdienstvorschrift von 1912 (HDV12), auf die heute noch viele Dressurreiter schwören?
Es geht um die Pferdeausbildung in der Kavallerie, wo schlechte Reiter Pferde gefügig machen sollten, damit sie Ihnen, wenn nötig, bis in den Tod folgen sollten. Die Kandare wurde zu diesem Zweck für die Kavalleristen eingeführt, damit sie ihr Pferd mit einer Hand lenken konnten. Heute soll es eine Kunst sein, mit Kandare zu reiten.
Günther: Von der Kandare halte ich garnichts, aber Reiten kann eine Kunst sein, wenn man ohne alle Hilfsmittel reitet. Das könnte ich unterschreiben.
Paschel: Das hat ähnlich auch der Dressurreiter Jossy Reynvoet gesagt.
Günther: Bei meinem Konzept habe ich die Reiter aller Reitweisen im Blick.
Dabei habe ich einen Leitfaden entwickelt, der in der Praxis besser vermittelt, was man sich mit seinem Pferd wirklich erarbeitet.
Bei mir gibt es die TOP 6:
Paschel: Es wäre zu speziell für die meisten unserer Leser, wenn wir dein Konzept – ich würde es Modell nennen – jetzt besprechen. Interessierte sollen zu Dir kommen, denn fundiertes Wissen erlangt man im Gegensatz zum Scheinwissen durch problemorientiertes Lernen in der Praxis.
Praktische Erfahrung haben viele Reiterinnen und sie ist zur Gewohnheit geworden. Manchmal muss diese nur kritisch neu überdacht werden, da es mittlerweile viele Erkenntnisse aus der Veterinärmedizin, Sportwissenschaft und Verhaltensforschung gibt, die vor hundert Jahren und früher noch nicht zur Verfügung standen. Deshalb stelle ich jetzt lieber noch ein paar Thesen auf, die zum Nachdenken über alte Gewohnheiten im Reiten dienen können.
Günther: Okay, los!
Paschel: Reitsport ist kein Sport des Reiters, sondern des Pferdes, denn das Pferd erbringt in allen Pferdesportdisziplinen prozentual den größeren Anteil an der Leistung.
Günther: Ja, auf jeden Fall leistet das Pferd rein körperlich betrachtet den größten Anteil, wenn reittechnisch alles richtig läuft.
Da ich in meinem Leben schon viele Sportarten betrieben habe, war Reiten für mich im Verhältnis auch nie so wirklich sportlich. Allerdings muss ein guter Reiter schon einiges leisten was Rhythmus, Gleichgewicht, Koordination und mentale Stärken angeht. Und wenn man gesund und fit fürs Reiten bleiben will, dann muss man doch sportlich sein und etwas für die Fitness tun, um die Belastungen z.B. für den Rücken zu kompensieren. Insbesondere, wenn man Berufsreiter ist und viele Stunden am Tag reitet, ist es dann doch auch körperlich anstrengend. Man reitet dann viele Pferde am Tag und dann wird es sportlich.
Paschel: Beim Galopprennsport ist der Anteil des Pferdes nahe 100 %. Die Jockeys sind in der Regel todesmutige leichte Männer, weniger Frauen, die nie eine ordentliche Reitausbildung hatten.
Günther: Ein guter, professioneller Jockey ist normalerweise sehr fit und beweglich, um das Pferd so gut in der Bewegung zu begleiten, dass möglichst perfekte Leistung unter ihm bringen kann. Im Rennen selbst ist es vom Anspruch her die Fitness im Sinne von Muskelbeanspruchung und Kreislaufbelastung tatsächlich nicht so hoch.
Es gibt unter den Jockeys wohl tatsächlich wenige, die eine gute Reitausbildung hatten.
Paschel: Und zu viel tote Pferde!
Der Reitsport ist die einzige Sportart, wo Menschen sich mit Hilfe eines Tieres profilieren können.
Günther Nicht ganz, Hundesport gibt es ja auch noch.
Paschel: Und Kuhrennen in Bayern, sowie Kamelrennen im Orient, nicht zu vergessen.
Günther: Auf jeden Fall glänzen viele Reiter unverdient mit der Leistung ihres Pferdes, wenn sie es nämlich nicht selbst dahin ausgebildet haben oder es so ein hohes natürliches Potenzial hat, dass der Reiter nicht wirklich in der Lage ist komplett frei zu setzen und vielleicht trotzdem gut dabei aussieht.
Wird das Pferd so gesehen und fair behandelt wie ein Tanzpartner oder ein Teammitglied, dann ist es meiner Meinung nach total in Ordnung, dass Pferde im Sport für und mit dem Menschen laufen. In der freien Wildbahn müssen Pferde auch was tun, um zu überleben und das ist alles andere als entspannt, als Fluchttier das Überleben zu sichern. Somit denke ich, ist es auch vertretbar, wenn Pferde in unserer Welt eine Aufgabe haben und vielleicht auch mal „hart arbeiten“ müssen.
Das Wichtigste für mich ist, dass Pferde ihre Aufgaben und ihre Umwelt gut verstehen müssen, denn dann können sie enorm viel leisten und trotzdem physisch und mental gesund bleiben.
Paschel: Der Wettkampf ist ein Wesensmerkmal des Sports im klassischen Sinne (aus England kommend). Der Ehrgeiz zu gewinnen ist der eigentliche Schlüssel zum Missbrauch des Pferdes, wie auch des Menschen im Leistungssport.
Günther: Der Wettkampf im Reitsport ist heut zu tage leider oft reine Selbstdarstellung, Gewinnorientierung und Leistungsorientiertheit ohne Rücksicht auf die Pferde.
Das muss allerdings nicht sein. Doch immer und überall wo der Mensch mit Geld, Ruhm und Macht im Spiel ist, müssen andere leiden.
Es gibt allerdings auch Beispiele von Reitsportlern, die aufgrund ihrer edlen inneren Haltung fair mit ihrem Pferd Höchstleistungen bringen.
Letztlich entscheidet die eigene innere Einstellung darüber, ob es fair zugeht oder nicht.
Paschel: Das Sportreiten steht im Widerspruch zu den ethischen Grundsätzen der Olympischen Idee, insbesondere der Fairness und Gleichheit.
Günther: Ursprünglich waren Prüfungen im Reitsport eher dafür da, den Ausbildungsstand zu überprüfen und eine Hilfe zu sein für die weitere Ausbildung und Entwicklung, so wie in menschlichen Ausbildungsentwicklungen auch.
Leider ist diese Idee verloren gegangen und die Ausbildungsprüfungen sind zu reinem Leistungssport, ohne ethische Ideale ausgeartet.
Paschel: Unfair ist auch, wenn bei der Wahl zum Sportler des Jahres Autorennfahrer und Reiter mit Sportlern konkurrieren müssen, die ihre Leistung zu 100% aus eigener Kraft erbringen. Als lebenslanger Sportler bin ich immer sehr enttäuscht, wenn eine Isabell Werth oder Sebastian Vettel geehrt werden, weil ich weiß. dass die meisten Reiter, die sich als Sportler begreifen, nicht einmal das Sportabzeichen schaffen würden.
Günther: Ja, aus meiner Sicht ist die Vergleichbarkeit der Sportarten und Leistungen tatsächlich ein schwieriges Thema.
Für die Pferde wäre es auf jeden Fall besser, wenn es keinen Reitsport, sondern einfach nur Ausbildungsüberprüfung gäbe. Keine Sportehrungen, keine Gewinngelder usw.
Paschel: Das Gebiss ist im Maul des Pferdes objektiv ein Fremdkörper und in keiner reiterlichen Disziplin notwendig. Warum wird der Gebisszwang nicht durch eine leichte Regeländerung abgeschafft?
Günther: Das ist ein heikles Thema, da die Reiterei mit Gebiss tief verankert ist im Denken und Vorgehen der Pferdeausbildung. Das ist wie in vielen anderen Lebensbereichen. Teilweise gibt das Gebiss dem Reiter mehr „Macht“, gefühlt die Möglichkeit, schneller was zu erreichen, sich sicherer zu fühlen und mehr Kontrolle auszuüben. Und das reicht schon völlig aus, es nicht wegzulassen.
Es gibt allerdings auch positive Auswirkungen von Gebissen. Das Maul bietet bei guter und gefühlvoller Nutzung von Gebissen sensorisch und reflektorisch eine Vielzahl von Kommunikationswegen. Und Pferden tut das Abkauen, was durch das Gebiss gefördert wird sehr gut. Es gibt also Für und Wider bei der Diskussion über Gebisse.
Ich bin der Meinung man kann sie gut nutzen, braucht sie aber nicht unbedingt. Wir arbeiten Pferde teils mit gebisslosen Zäumungen, für unsere Kunden auch mit Gebiss und unsere eigenen sehr viel sogar ganz ohne Zäumungen.
Paschel: Eine Karotte im Maul wäre dem Pferd sicher angenehmer, denn dazu ist das sensible Maul geschaffen. Zu diesem Thema hat Prof. Dr. Robert Cook über 20 Jahre wissenschaftlich geforscht. Seine wissenschaftlichen Erkenntnisse sind leider selbst bei den meisten Reitern und besonders bei Reitfunktionären noch immer nicht angekommen. Das Kauen ist für ihn der Versuch des Pferdes, sich vom Gebiss zu befreien. Dafür brauche ich eigentlich keinen wissenschaftlichen Beweis. Ich hatte noch nie ein Pferd, das ein Gebiss freiwillig ins Maul nimmt. Als Spezialist für Kampfsportarten kann ich beobachten, dass Reiten nicht nur im Sport-, sondern auch im Freizeitbereich, typische Verhaltensmuster von Zweikampf zeigt, der allerdings mit ungleichen Waffen ausgeübt wird – Gebiss, Sporen, Gerte, Ausbinder und vieles mehr, was zu unnötigen Grausamkeiten führt. Manchmal gewinnt das Pferd und es befreit sich vom Reiter. Solche Szenen befriedigen mich zutiefst.
Günther: Ausrüstung sollte natürlich nicht wie eine Waffe eingesetzt, sondern als Hilfsmittel benutzt werden. Da Pferde die Führung, sowie Respekt und Vertrauen in Hilfen auch sehr gerne testen, sind hier und da schon Verstärkungen von Signalen und Einwirkungen nötig, um Pferde zu motivieren, sie zu überzeugen, wenn sie zweifeln und um ernst genommen zu werden.
Alles was der Mensch braucht, um seine Schwäche im Zusammensein und arbeiten mit einem ihm größen-, kraft- und gewichtsmäßig weit überlegenen Lebewesen auszugleichen, darf nur der Verständigung und der notwendigen Grundkontrolle für die eigene Sicherheit und die des Pferdes eingesetzt werden. Dazu bedarf es einer enormen Selbstdisziplin und einer reifen Persönlichkeit, damit es nicht zu zwanghaftem und gewalttätigem Verhalten dem Pferd gegenüber kommt.
Paschel: Ja, eine reife Persönlichkeit sollte nicht zwanghaft und gewalttätig weder Tieren noch Menschen gegenüber sein. Da hast du meine volle Zustimmung. Die Gewaltfreiheit hat allerdings da ihre Grenzen, wo es um meinen eigenen Schutz geht, denn das Pferd ist und bleibt im tiefen Innern ein wides Tier. Das Problem liegt leider schon bei den Begriffen, wenn sie die Tatsachen beschönigen. Die sog. Hilfen und sogar Feinen Hilfen sind oft nichts anderes als Störungen für das Pferd und nur Hilfen für den Menschen, wenn man sich mal die Mühe macht und sich in das Pferd hinein versetzt. Auch das Eisen am Huf wird als Hufschutz deklariert, ist aber in der Regel das Gegenteil, da es den Hufmechanismus und die Durchblutung vermindert und mittel- und langfristig zu diversen Schädigungen führt, die oft nicht als hufindiziert erkannt werden.
Günther: Auch hier gibt es aus meiner Sicht Ausnahmen. Bei mir bleiben Pferde barhuf, wenn es keine besondere Indikation gibt. Und zu 95% klappt das auch. Ich habe aber auch Pferde und Situationen kennengelernt, da waren Hufeisen eine gute Lösung und haben zur Verbesserung der Situation des Pferdes beigetragen.
Paschel Kurzfristig, ja, das kenne ich, wenn das Pferd funktionieren soll. Indikation heißt für dich wahrscheinlich, wenn der Hufschmied oder der Tierarzt das empfiehlt. Die 5 % sind evtl. ein Problem von einer nicht erkannten Hufdeformation oder mangelnder Anpassung, weil man zu wenig auf entsprechendem Boden trainiert hat. Das sage ich, nachdem ich jetzt die Hufe meines Pferdes selbst mache und mich sehr intensiv mit dem Thema Hufe befasst habe, mehr als mancher Tierarzt. In der Ausbildung der Veterinärmediziner wird das Thema Hufe nur am Rande behandelt und immer mehr Hufschmiede machen Fortbildungen in der Barhufbearbeitung. Das gibt Hoffnung.
Ich frage dich als Sportler: „Würdest du freiwillig mit Eisenstange im Maul und Hufeisen am Fuß 400 m laufen?“
Günther: Denke, so direkt kann man das nicht übertragen 😊 Ich würde auf jeden Fall auch kein Halfter am Kopf tragen wollen und auch keinen Sattel auf dem Rücken und dann noch eine Person oben drauf.
Paschel: Du bist auf dem richtigen Weg! Ich gehe auch nicht gern mit einem Rucksack bergauf.
Günther: Danke mein Lieber, ich persönlich reite sehr gerne mit so wenig Ausrüstung wie möglich, das ist aber auch nur bedingt tauglich für die Allgemeinheit.
Ich denke, man kann Pferden viel abverlangen, wenn man ihnen alles wirklich vernünftig und gut erklärt. Und einige Ausrüstungsgegenstände sind schon nötig, um sich dem Pferd verständlich zu machen und es jederzeit auch kontrollieren zu können. Ich versuche, Pferden möglichst viel zu erklären und in der Ausbildung verständlich näher zu bringen, denn nur, wenn sie dem Menschen ein guter Partner sein können, geht es ihnen in unserer Welt gut. Denn wenn nicht, werden sie Wanderpokale, die Besitzer wechseln, von einem zum anderen Trainer gereicht und letztendlich beim Schlachter landen, wenn keiner mit ihnen klar kommt.
Leider kann das Fluchttier Pferd von Natur aus dem Menschen kein guter Partner und schon gar kein gutes Reitpferd sein. Ohne Ausbildung reagieren Pferde für uns Menschen sehr schwierig und gefährlich. Sie sind nicht zum Reiten geboren und der Mensch auch nicht. Durch Ausbildung muss sich der Mensch der Natur des Pferdes annähern und das Pferd muss durch Ausbildung der Natur des Menschen angenähert werden, nur so können Pferd & Mensch eine Beziehung aufbauen und zusammenarbeiten.
Paschel: Pferde sind Lauftiere und gehören zur Kategorie Weitwanderwild, das in der Nacht 25 km und mehr läuft ohne Eisen. Boxenhaltung ist tierschutzwidrig. Der Mensch läuft da eher weniger und das meist am Tage. Der Bewegungsmangel ist bei den Pferden ein noch größeres Gesundheitsrisiko als beim Menschen.
Günther: Boxenhaltung ist tatsächlich sehr weit von den natürlichen Bedingungen eines Wildpferdes entfernt.
Paschel: Auch von Hauspferden, denn die Gene stimmen zu 100% überein.
Günther: Trotzdem, aus meiner Erfahrung heraus ist sie dann vertretbar, wenn das Pferd durch gezielte Arbeit oder Training ausreichend Bewegung hat und auch mehrere Stunden am Tag und/oder in der Nacht Flächen zur eigenen Bewegung hat.
Dann nehmen Pferde das Angebot der Boxenunterkunft auch gut an, denn da haben sie dann Ruhe beim Fressen, Saufen und Schlafen und müssen sich nicht ständig verteidigen oder ähnliches.
Allerdings werden die Freizeitpferde heut zu Tage selten wirklich gut gearbeitet, eben so wie sich die meisten Menschen nicht vernünftig und ausreichend bewegen und körperlich trainieren. Pferde von den meisten Freizeitreitern sollten auf jeden Fall Tag und Nacht auf der Weide stehen. Wobei die deutschen Weiden meist viel zu ungesund sind, viel zu „fett“. Deshalb gibt es bei Pferden, wie bei den Menschen auch moderne Krankheiten durch zu viel Fressen und zu wenig Bewegung.
Eine reine Boxenhaltung ohne ausreichend Auslauf oder Weidegang ist auf jeden Fall inakzeptabel.
Paschel: Ist leider aber immer noch weit verbreitet, genauso wie das zusätzliche Füttern mit Müeslis und ähnlichem. Da hilft auch kein Paddock, wo die Pferde allein stehen und vor sich hindösen.
Kannst du in kurzen Worten zum Schluss noch sagen, was Dir das Reiten bedeutet?
Günther: Für mich ist Reiten eine faszinierende Art, mit der Natur zu arbeiten, Körper und Geist zu schulen und Bewegung im Einklang mit einem Partner zu erleben. Allerdings ist dafür eine sehr edle innere Haltung nötig, denn allzu leicht kann die Arbeit mit dem Pferd abrutschen in einen Missbrauch durch egoistisches Vorgehen, Machtmissbrauch oder Ausleben der eigenen persönlichen Probleme. Pferde geben uns die Möglichkeit, unsere Persönlichkeit stetig weiterzuentwickeln, denn sie geben Nichts auf Geld, Herkunft, Ansehen, Bestechungen und viele andere Dinge, die in unserer Welt was zählen. Sie reagieren ganz einfach im Hier und Jetzt auf unser persönliches Auftreten und Verhalten. Pferde sind ein perfekter Spiegel unseres Verhaltens ihnen gegenüber und damit die perfekten Persönlichkeitstrainer, wenn wir bereit sind in diesen Spiegel zu schauen und alles, was darin abgebildet ist wahrzunehmen und danach zu handeln.
Paschel: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut.“ Mit diesem Zitat von Goethe können wir abschliessen.
Vielen Dank, lieber Thomas, für Worte aus dem Munde eines Pferdeprofis.