Iran: Frauenfeindliche Folterer kleben an der Macht – Arbeiter mit wachsendem Selbstvertrauen

Folter hinter Gittern. Das berüchtigte Evin-Gefängnisses in Teheran/Iran.

Demonstrationen finden jedoch in Teheran und den meisten anderen iranischen Städten täglich statt, und die Teilnehmerzahl geht von einigen Hundert bis hin zu einigen Tausend. Berichte aus Arbeitervierteln Teherans wie Ekbatan, Apadana und Karaj, und aus den Angestellten-Vorstädten von Teheran Pars zeigen, dass Demonstrationen gegen die Regierung jede Nacht stattfinden und oft zu Auseinandersetzungen zwischen den Teilnehmern und der Bassij Miliz führen.

Vergangene Woche haben Dutzende von politischen Gefangenen im Evin Gefängnis einen Hungerstreik begonnen, und am ersten Tag des (Fastenmonats) Ramadhan haben sich Familien der bei den jüngsten Protesten Verhafteten außerhalb der Gefängnismauern versammelt und die sofortige Freilassung aller politischen Gefangenen verlangt. Es gibt jeden Tag Proteste in Fabriken und am Arbeitsplatz gegen die politischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, und in einigen Provinzen, darunter Khorassan, gibt es Nachrichten über Bauern, die gegen die Beschlagnahmung ihres Bodens durch religiöse Behörden protestieren. Fünfhundert Bauern aus Sarakhss haben während der gesamten letzten Woche ein Sit-in vor der Haupttankstelle von Mashad veranstaltet und sich darüber beschwert, dass die religiöse Gesetzgebung benutzt wird, um ihnen ihr Land wegzunehmen.

Die Regierungskrise geht weiter mit deutlichen Spaltungen zwischen den konservativen `Prinzipalisten’ und der vorgeschlagenen Regierung. Am Donnerstag, den 30. August, gab Mahmoud Ahmadinejad sein Kabinett bekannt und wies stolz auf elf neue Gesichter, darunter drei Frauen hin. Die Loyalität gegenüber dem Präsidenten schien der Hauptfaktor zu sein, denn `konservative’ und `reformistische’ Abgeordnete verurteilten die Ernennungen gleichermaßen. Ahmadinejad hat ganz klar einen schweren Kampf vor sich, wenn er sie durch den Majles (Parlament) bringen will. Selbst die prinzipalistische Fraktion scheint gegen die meisten Ernennungen zu sein, was garantiert Monate der Unsicherheit und der Fortdauer der politischen Krise bedeuten wird. Der ILNA-Nachrichtenagentur zufolge hat sich Parlamentssprecher Ali Larijani beschwert: ”Das Ministerium ist nicht der Ort für eine Lehre; es ist ein Platz, der Fachkenntnis und Erfahrung erfordert.”

Irans designierter Verteidigungsminister steht auf der Interpol-Liste gesuchter Personen wegen des Bombenanschlags auf ein jüdisches Zentrum in Argentinien im Jahr 1994. Interpol hat 2007 gegen  Ahmad Vahid einen dringenden Haftbefehl wegen des Anschlags in Buenos Aires, der 85 Menschen das Leben kostete, erlassen. Was die weiblichen Ernennungen anbelangt, so wurden diese ganz klar wegen ihrer ultrakonservativen Ansichten zu allen Fragen – einschließlich der Frauenrechte – ausgewählt. Dieser Kommentar hier von Fatemeh Ajorloo, Ahmadinejads Wahl für das Amt der Ministerin für soziale Dienste, spricht Bände: “”¦es sind die Männer, die zum khastegari gehen (die Sitte, derzufolge der Mann um die Hand der Frau bittet), und sie bleiben für die Hochzeit verantwortlich. Das ist großartig: das ist es, wie die Gesellschaft arbeiten sollte. Warum ist die Familie im Westen zusammengebrochen? Weil Frauen arbeiten gingen und die Männer ihre wahre Rolle verloren.” Das sagte sie in einer Rede zur Verteidigung von Zulassungsquoten für die Universität – die Regierung glaubt, dass zu viele Frauen eine höhere Bildung genießen.

Ajorloo ist auch eine Verteidigerin eines dem Majlis vorliegenden neuen Gesetzes mit dem Namen `efaf’ (Keuschheit). Sie ist für eine `Uniform’ für iranische Frauen jeden Alters – ein langer schwarzer Tschador (ein zeltartiger Überwurf von Kopf bis Fuß, der unter dem Kinn zusammengesteckt wird), und, um fair zu sein, sie selbst ist eine wandelnde Plakatsäule für diesen bizarren Aufzug, wie man auf ihren offiziellen Fotos sehen kann.

Aber für Irans Kleriker sind sogar zahme Islamistinnen wie Ajorloo zu viel. Eine Reihe von führenden Ayatollahs haben ihre Opposition gegen Ahmadinejads Entscheidung, Frauen zu Ministern zu ernennen, zum Ausdruck gebracht. Am 22. August haben konservative Parlamentsabgeordnete der Zeitung Teheran Emrouz zufolge den Medien gesagt, dass führende iranische Geistliche – darunter die Großayatollahs Nasser Makarem Shirazi und Lotfollah Safi Golpayghani – “Zweifel bezüglich der Ernennung weiblicher Minister” hätten und “wollten, dass Ahmadinejad sich das noch einmal überlegt”.

Bei der Verteidigung seiner Nominierungen für die Ministerposten gelang es Ahmadineja, fast jeden zu verletzen, indem er seinen scheidenden Gesungsheitsminister, Kamran Lankarani, mit einem Pfirsisch vergleich, den jederman gerne essen wolle! Ein konservativer Abgeordneter, Ali Ghanbari, sagte, dass es unter der Würde eines Präsidenten sei, seinen Minister mit Obst zu vergleichen. Ein Video mit Ahmadinejads Pfirsisch-Kommentar wurde im Intenet weit verbreitet und auf Blogs und Seiten von sozialen Netzwerken gesetzt.

`Gegen die Folter’

In dem Maße wie die Proteste weitergehen und sich Informationen über Brutalitäten in den Gefängnissen und Haftzentren verbreiten wächst der Ärger über die Ineffektivität `reformistischer Führer’, von denen einige ganz offensichtlich in geheime Deals mit der konservativen Fraktion verwickelt sind.

Der superreiche Ayatollah Ali Akbar Rafsanjani ist dabei, in den Zentren der religiösen und politischen Macht rehabilitiert zu werden. Er wurde vom Obersten Führer bei der Nominierung des neuen Obersten Richters konsultiert und nahm an dessen Einführungszeremonie teil. Rafsanjanis Erklärung vom 22. August, in der er Irans politische Fraktionen drängte, den Befehlen des Obersten Führers folge zu leisten, hatte alle Anzeichen eines neuen Versöhnungsschritts. Rafsanjani soll auch seinen vorherigen Aufruf an die Politiker und die Medien bekräftigt haben, “es zu vermeiden, Spaltungen zu erzeugen” und “Schritte zur Schaffung von Einheit zu unternehmen”. Für Irans `Reformisten’ steht das Überleben des islamischen Regimes eindeutig weiter an erster Stelle.

Über die letzten beiden Monate haben die `reformistischen’ Präsidentschaftskandidaten Mir-Hossein Moussavi und Mehdi Karroubi sehr wenig getan, um ihre Positrion zu verbessern und haben so die Erwartungen sogar ihrer eifrigsten Unterstützer enttäuscht. Als jedoch Meldungen über Folter und den Tod von Demonstranten, die nach den jüngsten Demonstrationen verhaftet worden waren, die Runde machten, haben zunächst Karroubi und dann auch Moussavi gemerkt, dass sie jede Glaubwürdigkeit verlören, wenn sie nichts unternähmen. Zunächst kam ein Statement von Karroubi, dass er empört darüber sei, dass Demonstranten gefoltert worden sind, und dann brachten beide Männer eine Erklärung heraus, in der sie die Folter und die Vergewaltigung von Häftlingen verurteilten – die `reformistischen’ Führer sagen, dass 69 Protestteilnehmer bei den Gewalttätigkeiten nach der Wahl gestorben seien.

Obwohl man jede Verurteilung der Folter begrüßen sollte, können einige von uns nicht die Genossen vergessen, die unter der Folter gestorben sind als Moussavi Ministerpräsident und Karroubi ein enger Verbündeter von Irans erstem Obersten Führer, Ruhollah Khomeini, waren – Karroubi war zwischen 1979 und 1989 Chef von Khomeinis Hilfskomitee und der Märtyrerstiftung.

Lassen Sie mich insbesondere eine erwähnen – die Genossin Nastaran, mit der ich in Kurdistan das Zimmer teilte. Im Herbst 1983 verließ sie unsere Fedayin-Basis in Kurdistan, weil sie die Veranttwortung für ein Arbeiterkomitee in Süd-Teheran übertragen bekommen hatte. Nastaran wurde einige Monate nach ihrer Rückkehr nach Teheran verhaftet und, obwohl sie versucht hatte, ihre Zyankali-Tablette zu schlucken (eine Standardpraxis bei festgenommenen Mitgliedern der Fedayin), gelang es ihr nicht, Suizid zu begehen. Mitgefangene, die sie zwischen dem Tag ihrer Inhaftierung und ihrem schließlichen Tod sahen, stimmen in der Beschreibung ihres furchtbaren Zustands, in den sie durch monatelange Folter gebracht worden war, überein. Sie “konnte nicht auf ihren Füßen stehen”, sooft war sie geschlagen worden. Sie “konnte nicht sehen – ihre Augen waren von all den Schlägen geschwollen”…

Während der letzten paar Wochen habe ich nicht aufgehört, an Nastaran zu denken. Wenn die Herren Moussavi und Karroubi in jenen Tagen etwas gegen die Folter getan hätten, würden vielleicht sie und Tausende ihresgleichen, die in den Verließen der Islamischen Republik gestorben sind, noch leben. Aber, wenn sie das getan hätten, dann hätte natürlich ihre geliebte Islamische Republik, das Regime, das sie noch immer retten wollen, die Proteste der letzten drei Jahrzehnte nicht überlebt.

2009 weist die religiöse Justiz alle Anschuldigungen von Folter und Vergerwaltigung von Gefangenen als unbegründet zurück – die Verhafteten, die das behaupten, sind nicht einmal in der Lage die grundlegende Voraussetzung für eine gerichtliche Verfolgung zu liefern: Zeugenaussagen von vier männlichen Erwachsenen!

Inzwischen sind die Prozesse gegen `reformistische’ Führer weitergegangen und sind in einer tragischkomischen Show im Fernsehen gefeatured worden. Zusätzlich zu Ministern des ehemaligen Präsidenten Khatami und Ideologen der islamischen `reformistischen’ Bewegung wie Saeed Hajjarian führt die konservastive Fraktion jetzt Prozesse in absentia gegen die deutschen Soziologen Max Weber und Jürgen Habermas!

Hajjarian, so sagt der Statsanwalt, hat sich einmal mit Habermas getroffen, der berühmt war für seine Theorie des zivilen Ungehorsams, derzufolge es erlaubt ist, sich zu weigern, bestimmten Gesetzen , Forderungen und Befehlen einer Regierung oder einer Besatzungsmacht zu gehorchen, falls man dabei keine Gewalt anwendet. Die Anschuldigungen gegen Weber wurden vor Gericht nicht erwähnt (vermutlich, weil er 1920 gestorben ist), aber die schiitischen Konservativen mögen auch ihn ganz eindeutig nicht!

Letzte Woche haben Moussavi, Karroubi und Khatami eine neue Front ins Leben gerufen: die `Grüne Straße zur Hoffnung’. Wie der Name suggeriert, ist das eine Straße nach Nirgendwo, aber es ist schon klar, dass diese Front, die “die Opposition von unten einigen” will, mit Zweigorganisationen in jeder Stadt und Gemeinde, von oben organisiert ist. Mit der Zeit lernt eine weitere Generation junger Iraner durch die Preaxis, keine Illusionen in reformistische Führer zu haben, deren einzige Sorge, ihre ramponierte politische Karriere ist. Angesichts des Fehlens einer machtvollen Linken jedoch gibt es wenig Hoffnung auf einen wirklichen Wandel im Iran.

Wenn bis Juni 2009 Fabrikbesitzer und die Regierung die `weltweite Wirtschaftskrise’ dafür verantwortlich machten, dass den Arbeitern ihre Löhne nicht ausbezahlt wurden, Jobs gestrichen wurden und Massenarbeitslosigkeit herrschte, dann haben sie nach dem Juni eine neue Entschuldigung: die Proteste haben die Wirtschaft gelähmt, und das ist der Grund, weshalb die Arbeiter nicht bezahlt werden können. Es besteht kein Zweifel daran, dass sich Irans Wirtschaft in einer ernsten Krise befindet, aber es ist in erster Linie die Arbeiterklasse, die Lohnarbeiter, die den Preis bezahlen.

Mehr als 1.500 größere iranische Firmen stehen am Rande des Bankrotts, und dazu gehören so wichtige Firmen wie die Arak Automobile Factory und die Azar Water Company. Iran Khodro, Irans größtes Autowerk, wurde Anfang August nur durch eine Finanzspritze von über 1 Milliarde Dollar von der Regierung gerettet. Die Manager dieser und anderer größerer Firmen ermutigen die Arbeiter, Freistellungspakete zu akzeptieren, damit sie der Regierungspolitik genüge tun können, nur noch Zeitarbeiter zu beschäftigen (Ahmadinejads letzter Arbeitsminister hatte versprochen, dass bis 2010 100% der iranischen Arbeiterschaft auf der Basis derartiger Verträge beschäftigt sein sollen).

Aber die Arbeiter leisten Widerstand. Die Beschäftigten bei Kashan Textile gehören zu denen, die gegen die Nichtausbezahlung ihrer Löhne Demonstrationern durchfüheren – sie sind seit 22 Monaten nicht mehr bezahlt worden. Diese Arbeiter haben darauf hingewiesen, dass ihr Disput mit den Managern der aktuellen politischen Krise vorausgegangen ist. Diesen Monat gab es eine größere Auseinandersetzung in der Pars Wagon Company als Arbeiter die Kantine aus Protest gegen die Nichtzahlung von Löhnen zerstörten, Fenster einschlugen und Tische und Stühle zerbrachen.

Und die Arbeiter in Haft Tapeh machten am 16. August ein lautstarkes Sit-in als Teil eines schon lange andauernden Kampfes mit dem Management der Fabrik. Sie fordern die Implementierung einer bereits verabredeten Job-Reklassifizierung, höhere Löhne, bessere Überstundenbezahlung, ein Ende der minutiösen Protokollierung jeder Arbeit und keine weiteren Entlassungen von Kontraktarbeitern.

Es gibt auch unmittalbar politische Proteste am Arbeitsplatz. Nachdem sie von einem bevorstehenden Besuch Ahmadinejads gehört hatten, haben die Arbeiter der Bandas Abbas-Werft gedroht, Mitte August in den Streik zu treten, und gesagt, sie würden es dem “Staatsstreich-Präsidenten” nicht gestatten, sie zu besuchen.

Die Berichterstattung über die Ereignisse im Iran konzentriert sich oft auf das, was in den herrschenden Kreisen vor sich geht, aber die Arbeiter von Pars Metal, die seit sechs Monaten gegen Entlassungen, niedrige Löhne und schlechte Arbeitsbedingungen protestieren, sagen, sie würden weiter protestieren bis es den Medien innerhalb “der kapitalistischen Hölle Irans” endlich zu peinlich werde, nicht über ihre Vorderungen zu berichten.

Zu anderen Entwicklungen gehört, dass In Teheran eine neue Formation, der Rat zur Unterstützung der Kämpfe des iranischen Volks, aktiver geworden ist. Zu ihm gehören politische Organisationen, Frauengruppen und Bestandteile der unabhängigen Linken, die in Opposition zum gesamten Regime stehen und die Arbeiterkämpfe unterstützen.

Es ist klar, dass die meisten dieser Proteste weiter stattgefunden hätten, ganz unabhängig von dem politischen Aufruhr. Die Ereignisse der letzten Wochen jedoch haben den Arbeiteraktionen, deren Parolen jetzt politischer und weniger defensiv sind, neuen Schwung gegeben. Sie dauern länger und stellen eine reale Bedrohung für die Bemühungen aller Fraktionen des Regimes dar, die politische Lage zu kontrollieren und den Status Quo aufrecht zu erhalten.

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Anmerkungen:

Dieser Beitrag von Yassamine Mather wurde im “Weekly Worker” am 27.88.2009 erstveröffentlicht. http://www.cpgb.org.uk/worker/782/misogynist.php

Der Text wurde von Anton Holberg übersetzt.

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