Berlin, Deutschland (Weltexpress). Man kann es nicht mehr hören und dennoch: man sollte genauestens hinhören. Die Endlos-Aufregungen wegen des Ausstiegs von Noch-Großbritannien aus der Europäischen Union (EU) sollten keinesfalls den klaren Blick auf das verstellen, was uns im Ergebnis blühen dürfte oder dem Inselreich selbst. Die Dimensionen sind selbst im Pulverdampf der Auseinandersetzungen zu erahnen. Den Triebkräften für den Ausstieg Großbritannien aus der Europäischen Union dürften die Scheidungskosten in Milliardenhöhe alleine deshalb nicht schmecken, weil der britischen Wirtschaft gerade keine rosigen Perspektiven nach einem Ausstieg vorausgesagt werden. Aber selbst bei einem gewaltigen Aufschwung sind die Scheidungskosten kein Pappenstil. Wie will man in Europa allerdings noch für voll genommen werden, wenn man in Zusammenhang mit dem Ausstieg es auf einen vertragslosen Schritt ankommen lassen wollte? Mit dem Menetekel kann man dann vielleicht noch aus anderen Gründen in Berlin, aber in kaum einer anderen Hauptstadt mehr landen. Wer es dennoch dann mit den Briten versuchen sollte, dürfte sich selbst ins Aus stellen.
Wenn man selbst rücksichtslos die Europäische Union verlässt, könnte man den Schotten und den Nordiren diesen Schritt nicht übel nehmen. Warum noch Wahlen und Volksabstimmungen, nebst endlosen Verhandlungen, wenn es auch anders gehen sollte. Einfach mit der Beziehung brechen, wie es stark Kräfte seit Jahren beim Brexit versuchen? Insel-Brexit mit der Brechstange, zugunsten von Schotten und Iren, die damit von der britischen Kolonialherrschaft über Nordirland langsam, aber sicher Abschied nehmen könnten. Es ist ohnehin schwer beeindruckend, mit welcher Hartnäckigkeit die Triebfedern für den Ausstieg Großbritanniens aus der Europäischen Union den Krieg an der Trennlinie zwischen der Republik Irland und Nordirland wieder in Rechnung stellen. Wenn irgendetwas den europäischen Idealen der Versöhnung und der Verständigung entsprach, dann war es nach dem Karfreitag-Abkommen die praktische Regelung der Trennlinie zwischen beiden Teilen Irlands. Hier konnte zusammenwachsen, was ohnehin zusammengehört, um Worte von Willy Brandt aufzugreifen. Wenn dazu seitens der Europäischen Union mit der britischen Regierung die sogenannte Backstop-Regelung des Verbleibs in einer temporären Zollunion für ganz Großbritannien ausgehandelt wurde, sollte doch jemand sagen, wie man die Qualität und den Entspannungsvorstellungen dieser Regelung durch ein anderes Verfahren besser hätte entsprochen haben könnte? Das Verhalten des harten Kerns der Londoner-Ausstiegstruppe in dieser Frage lässt vielmehr den Schluss zu, dass ihnen britische Kampftruppen an der irisch-irischen Grenze allemal lieber sind als grenzenloser Zugang zu beiden irischen Seiten. Man muss den Eindruck haben, dass dreihundert Jahre britisches Kolonialverhalten auf dem Umweg über die Brexit-Verhandlungen für die Zukunft perpetuiert werden sollen.
Darauf deuten auch die Erklärungen hin, die nicht zuletzt vom britischen Generalstabschef seit geraumer Zeit über die Rückkehr Großbritanniens zu einer Weltmacht-Rolle abgegeben werden. Am britischen Wesen soll eben die Welt genesen. Wenn in diesem Kontext die britischen Vorschläge für die Trennung von der Europäischen Union gegen das Licht gehalten werden, drängt sich ein Eindruck auf.
Diese Rolle, die mittels des Ausstiegs aus der Europäischen Union wieder bewerkstelligt werden soll, kann nur dann erreicht werden, wenn über die Ausstiegsverhandlungen mit der Europäischen Union selbst dieses Europa der siebenundzwanzig nachhaltig geschwächt werden kann. Jedermann weiß, dass Ende Mai Wahlen zum Europäischen Parlament stattfinden und damit das gesamte Rechtssystem der Europäischen Union einen weiteren Schritt machen muss. Wie sollte man es unter diesen Umständen verstehen, wenn die britische Premierministerin May Vorschläge unterbreitet, die britische Wünsche bis nach diesem Zeitpunkt so formulierten, dass die Frage nach der über den Wahltermin für das Europäische Parlament zeitlich hinausgehenden Mitgliedschaft Großbritanniens in der Europäischen Union aufgeworfen wurden. Man liegt wohl nicht falsch, wenn man diese Überlegungen als britischen Versuch wertet, die „politische Pest“ nach EU-Europa zu übertragen, damit der Spaltpilz endlich übertragen werden kann.
Bisher gewinnt der Bürger in EU-Europa den Eindruck, dass sich Persönlichkeiten an der Spitze Europas ganz ordentlich in der Abwehr dieser Versuche schlagen. An der Spitze dieser Recken seien Michel Barnier und Donald Tusk genannt. Wenn man dagegen die in Aussicht genommenen Spitzenkandidaten für die EU-Wahlen stellt, kommt man ins Grübeln. Wenn man allerdings der Ansicht sein sollte, dass durch die Spitze von EU-Europa alles unternommen wird, um das europäische Projekt zu schützen und zu stärken, so liegt man falsch.
Man muss sich nicht nur den Triebfedern des Brexit und ihren transatlantischen Hintermännern erwehren. EU-Europa, wie wir es als Bürger gewollt haben, steht auf dem Fundament der Vaterländer in Europa. Das war das große Werk von Charles de Gaulle, Alcide De Gasperi und Konrad Adenauer. Niemand hat in Europa den Regierenden das Mandat in die Hand gegeben, die europäischen Nationalstaaten nach dem EU-Komissar Frans Timmermanns abzuschaffen und ein EU-Europa der Nicht-Regierungs- und Lobby-Organisationen zu schaffen.
Das ist auch keine Form von „Weiterentwicklung“, zu der sich so gerne das Bundesverfassungsgericht dann versteigt, wenn es schädliches Regierungshandeln zu rechtfertigen versucht. Das ist ein sträfliches „Putsch-Verhalten“ derjenigen, die uns jetzt zu den Wahlen zum Europäischen Parlament anzuhalten versuchen. Der Bürger in Europa steht bei May und Juncker/Merkel zwischen „Pest und Cholera“.