Esch, Luxemburg (Weltexpress). Bereits zum dritten Mal punktet das Großherzogtum Luxemburg mit einer europäischenKulturhauptstadt.
Am Anfang war das Eisen. Dies zumindest gilt für die Minett-Region im Süden Luxemburgs. Denn hier leitete der Abbau dieses reichlich vorhandenen Schwermetalls die industrielle Revolution ein, die bis weit in die zweite Hälfte des letzten Jahrhunderts andauerte. Damit war in einer vormals rückständigen Region der Grundstein gelegt für Fortschritt und Wohlstand. Eine Entwicklung, von der besonders die Stadt Esch-sur-Alzette profitierte.
Hier befand sich ein Zentrum der Eisenförderung. Ähnlich wie in Fond-de-Gras, einem weiteren Schwerpunkt in der Minett-Region. Noch heute sind hier die Stolleneingänge zu bestaunen, aus denen mit ein paar Pferdestärken die voll beladenen Loren herausgezogen wurden. Weiter ging es sodann zu der Verladestation, in der Eisenbahnwaggons mitsamt Lokomotiven für den weiteren Abtransport bereitstanden. Allesamt historische Modelle, die noch heute jedes Eisenbahnerherz im Nu höherschlagen lassen.
Hochöfen von Belval
Von hier aus ging es weiter zum eigentlichen Zentrum der Eisenverhüttung. Wie riesige Metallgiganten warteten in Esch mehrere Hochöfen auf Nachschub. Zeitzeuge Romain Wirtz erinnert sich noch nach Jahrzehnten an die aufreibende Arbeit, die ihm und seinen Kollegen in mühevoller Schichtarbeit abverlangt wurde. Besonders dann, wenn das geschmolzene Erz aus den birnenförmigen Großbehältern Funken sprühend abfloss. In solchen Momenten war die dabei entstehende Hitze ohne isolierende Schutzkleidung kaum zu ertragen.
Zwei dieser mächtigen Türme bilden das Zentrum der Hochofenterrasse von Belval, die heute zur Besichtigung freigegeben ist. Dabei ruft der Aufstieg über steile Treppenstufen einen persönlichen Eindruck hervor vom Ausmaß früherer körperlicher Anstrengung, die hier von den Arbeitern gefordert wurde. An Streik, so betont Romain, war in jener Zeit jedenfalls nicht zu denken. Denn jeder war froh, an dieser Art von Fortschritt und Entlohnung teilzuhaben.
Straßenkunst der Urban Art
Längst hat sich diese Art von Industriekultur auch hier in die Geschichte verabschiedet. Nicht zufällig hatte der Übergang in die Moderne zur Folge, dass die einstige Industriestadt als „Esch 22“ hinauf auf die Ebene einer europäischen Kulturhauptstadt katapultiert wurde. Ein stolzer Titel, der gleichzeitig den Partnerstädten Kaunas in Litauen und Novi Sad in Serbien zuerkannt wurde. Durch aufeinander abgestimmte Projekte soll dabei die jeweilige Bevölkerung zur kreativen Mitgestaltung animiert werden.
In Esch sind bereits im Vorfeld zahlreiche Künstler am Werk, die mit ihrer „Urban Art“ in Form von Straßenkunst, Installationen und Wandmalereien die Fantasie anzuregen versuchen, um dabei nachhaltige Kunstwerke hervorzubringen. Unter dem Oberbegriff „Remix-Kultur“ sind vielfältige Möglichkeiten denkbar, um über europäische Grenzen hinweg kulturelle Zusammenarbeit wahrzunehmen.
Museen und Bühnen
Nicht nur die Künstler, sondern auch die Handwerker sind dabei gefragt, kreativ tätig zu werden. So beispielsweise bei der Neugestaltung des „Museums des Widerstands“. Der Überfall Nazi-Deutschlands auf das kleine Großherzogtum erregt hier natürlich bis heute die Gemüter. Und man darf gespannt sein, mit welchen stilistischen Mitteln das Unaussprechliche sagbar gemacht werden soll.
Selbstverständlich wollen auch die Escher Kunsthalle sowie die Bühnen der Stadt an einem solchen kulturellen Großprojekt ihren Beitrag leisten. Allen voran das Ariston, ein ehemaliger Kinosaal, der demnächst alle Finessen einer modernen Bühnenanlage in sich vereinigen soll. Alles scheint hier, wie die Mitarbeiter des Projekts betonen, für die Zukunft ein multifunktionales Zusammenwirken der Einzelelemente zu ermöglichen.
Kulturfabrik und Naturlandschaft
Zu einem der Hauptzentren Escher Kultur hat sich auch die Kulturfabrik (KUFA) entwickelt. Hier in einem ehemaligen Schlachthof laufen die Fäden kultureller Aktivitäten in 130 Projekten zusammen und verleihen damit der Urban Art entscheidende Impulse. So hat sich mit dem Umbau des Schlachthofs eine Verwandlung vollzogen, mit der sich Esch 22 in der Tat sehen lassen kann.
Auch außerhalb der Stadt vollzieht sich ein erfolgreicher Wandel. Er betrifft den Tageabbau des Eisenerzes, der hier bis in dieses Jahrhundert hinein wenig sensibel betrieben wurde und daher unübersehbare Spuren hinterließ. Umso größer war die Überraschung, als sich die Industriebrache innerhalb weniger Jahre ohne nennenswertes menschliches Dazutun zu einer Naturlandschaft zurück entwickelte. Mit neuen Wanderwegen und Rastplätzen gilt sie gleichsam als ein kleines Naturwunder.
Säulen der Identität
Nicht weit entfernt von der Kulturhauptstadt Esch liegt die Landeshauptstadt Luxemburg. Dieser wurde innerhalb der letzten Jahrzehnte bereits zweimal die Ehre einer europäischen Kulturhauptstadt zuteil. Ihre Identität liegt, wie man weiß, vor allem auf vier Säulen. Dabei besonders auf der des Finanz- und Bankenwesens. Daneben auf der Säule der politischen Bedeutung, die die Stadt für die europäische Bewegung von Anfang an in der Montan Union bis hin zur Europäischen Union einnahm.
Stärkeres Interesse mögen hingegen die Besucher der Stadt für ihre abenteuerlich anmutende Position zwischen steilen Felsabhängen und tiefen Flusstälern entwickeln. Eine Lage, die damals wie geschaffen erschien für eine der stärksten Befestigungsanlagen in Europa. Verwinkelte Höhlensysteme, versteckte Kasematten sowie stets gefüllte Vorratslager hatten für jeden Feind eine überaus abschreckende Wirkung. Denn mit herkömmlichen militärischen Mitteln erwies sich jeder Angriff von vornherein als aussichtslos.
Küche und Keller
Die wohl stärkste Säule der Stadt ist zweifellos ihre gute Küche. Sind doch die Luxemburger Genussmenschen und in dieser Hinsicht auch für Zugereiste mitreißend. So zum Beispiel bei einer ihrer Nationalspeisen, dem Feuersteinsalat, mit zart gekochtem und pikant mariniertem Rindfleisch. Als Garantin Luxemburger Koch- und Backkunst gilt Lea Linster. Mit ihrem Wirkungsbereich nahe dem großherzoglichen Schloss ist sie sogar zu einem Luxemburger Original aufgestiegen, das jeder in der Stadt kennt.
Zu ihren Markenprodukten gehört ihr Madeleine-Gebäck, dessen Genuss sich selbst das großherzogliche Paar nicht verkneifen kann. Ihre besten Rezepte behält Lea natürlich für sich. Dafür entschädigt sie mit humorvollen Aussagen aus dem Umfeld ihres Erfolgs: „Mein Vater lehrte mich, richtig zu leben, und meine Mutter, richtig zu salzen.“ Wem diese Aussagen nicht genügen, der möge Weiteres bei einem Glas prickelnden Cremants selber in Erfahrung bringen.
Fotoreportagen
Mehr Bilder zum Beitrag in der Fotoreportage: Die Hochöfen von Belval, in der Fotoreportage: Straßenkunst der Urban Art in Esch und in der Fotoreportage: Luxemburg, eine „Kulturhauptstadt“ in Europa von Dr. Bernd Kregel.
Informationen „Luxemburg / Esch“
Anreise: Das Land Luxemburg liegt im Grenzgebiet von Belgien, Frankreich und Deutschland. Vom Bundesland Rheinland-Pfalz aus ist es mit Bahn und PKW gut zu erreichen.
Reisezeit: Die Reisezeit ist ganzjährig. Das Programm zu Esch 2022 beginnt ab 12.2.2022.
Info Esch: Esch 2022: www.esch2022.lu; Belval: www.fonds-belval.lu; Kulturfabrik Esch: www.kulturfabrik.lu.
Museum des Widerstands: www.musee-resistance.lu; Minetttour: www.minetttour.lu; Minettpark Fond-de-Gras: www.minettpark.lu; Minett UNESCO Biosphere: www.minett-biosphere.com.
Info Luxemburg: Tourismusbüro Luxemburg: www.luxembourg-city.com; Luxemburg: www.visitluxembourg.com;
Museum für moderne Kunst: www.mudam.lu; Philharmonie: www.philharmonie.lu; Spezialitätenköchin Lea Linster: www.Lealinster.lu.
Anmerkung:
Die Recherche erfolgte mit Unterstützung des Luxemburger Tourismusbüros.