In den politischen Fußfesseln der Macht – Berlinale Wettbewerb: Roman Polanskis „The Ghost Writer“ nach Robert Harris

Szene mit Pierce Brosnan, Olivia Williams und Kim Cattrall

Am fertigen Film fallen einem einige Parallelen zur gegenwärtigen Situation des Regisseurs Polanskis auf, – der die Premiere in Berlin in seinem schweizerischen Chalet oben in den Bergen mit elektronischen Fußfesseln verbringt, – so als ob er diese schon antizipiert habe. Es geht um Isolation, um Einsamkeit, was etwas anderes ist, um die, die auf dem Lebensweg verloren geht und wie sich so viele Jahrzehnte später etwas auswirkt, was vor Urzeiten begangen wurde. Es geht aber auch um Liebe, Macht, Leidenschaft und Überdruß, um eine perfekte Maschinerie, wie ein gelobter und gehaßter Politiker vor der Öffentlichkeit geschützt wird und es geht vor allem darum, wer seine von ihm selbst langweilig niedergeschriebenen Memoiren in ein packendes Buch verwandelt.

Der erste, der es versuchte, mußte dran glauben und tatsächlich ist es dieser unaufgeklärte Todesfall, der wie ein schwarzer Schleier über allem liegt, was uns erst einmal in die Geschichte einführt. In London wird ein eher unbekannter junger Autor (Ewan McGregor) für eine Riesensumme verpflichtet, die nicht lesbaren Memoiren des Ex-Premierministers Adam Lang (Pierce Brosnan) in einen Kassenerfolg umzuschreiben. Dazu muß er in die USA fliegen und auf der kleinen Atlantikinsel Martha’s Vineyard in die zur Festung ausgebaute Strandvilla reisen, wo sich das Dokument befindet, das die ganze Welt sehen will und das von der Welt bisher abgeschirmt wurde. Erst am Schluß des Films dämmert es dem Ghostwriter, daß der Überfall in London unmittelbar nach seiner literarischen Beauftragung, als ihm dieTüte mit einem anderem dicken Manuskript auf der Straße aus den Händen gerissen wird, eigentlich Langs Memoiren gegolten hat. Und als dann ganz am Schluß und zurück in London zur Premiere der von ihm geschriebenen Memoiren des Ex-Premiers ihm das Originalmanuskript erneut abhanden kommt, liegt es daran, daß die Täter es nicht mehr auf Papier, sondern auf ihn abgesehen haben. Er selbst wird überfahren und die Blätter segeln durch Lüfte und durch Pfützen. Ein elegisches Bild und eines von der Macht von Papier, das Geheimnisse birgt, die den Schreibern und Kennern den Tod bringt.

Dieser Schluß des Films löst auch etwas auf, was im Film immer wieder als Rätsel auftaucht, was mit den Anfangsseiten des Manuskripts zu tun hat und damit, daß Adam Lang darin seine Politisierung beschreibt und seine ersten politischen Gehversuche. Das allerdings ist eine so heiße Sache, daß wir sie hier nicht verraten wollen, nur versprechen können, daß es ein wirklicher Schachzug ist, mit dem uns Autor und Regisseur da kommen, die dann auch einige zuvor schwer verständliche Filmstellen und Verhaltensweisen erklären. Wir sagen nur soviel, daß es mit seiner Frau Ruth (Olivia Williams) zu tun hat, die seinen Lebensweg seit dem gemeinsamen Studium in Cambridge begleitet hatte und die nun darunter leidet, daß die hochblonde Chefsekretärin Amelia Bly (Kim Cattrall) dem Lang mehr als eine solche ist.

Der Film ist raffiniert inszeniert. Er verführt uns als Komplizen, jeweils die Position des Handelnden mitzuvertreten, eine richtige Kumpanei, allein durch unsere innere Beteiligung und Wertung am Geschehen. Von Anfang an wünscht man sich, daß dieser junge Reporter, den Ewan McGregor durchgehend als einerseits schlauen und investigativen Journalisten wie auch als leicht naiven Mensachen spielt, was hinhaut, man wünscht sich also, daß bei der Auswahl dessen, der die Memoiren umschreiben soll, die Wahl auf ihn fällt. Er gewinnt. Daß dies ein Verlust ist, sogar der des eigenen Lebens, stellt sich erst am Schluß heraus. Kaum taucht dieser zwielichtige Adam Lang auf, gibt ihm Pierce Brosnan ein so aufrichtiges wie harmloses wie hintergründiges Gesicht, daß wir uns flugs auf seine Seite schlagen, wenn jetzt die Demonstranten seinen Hochsicherheitstrakt belagern, weil er politisch Folterungen von mutmaßlichen Terroristen getragen habe und der Oberste Gerichtshof ihn nun anklagt. Wir sind aber auch auf Seiten seiner Frau Ruth, die merkwürdig privat in einem Menschenhaufen reagiert, der nur auf den Erhalt der Macht und das Abschirmen von Gefahr gerichtet ist.

Sie waren alle nach Berlin gekommen, seine Hauptdarsteller und der Schriftsteller, um kundzutun, welch unvergeßliches Erlebnis die Arbeit unter Polanski gewesen sei, dem sie alles Gute wünschten. Und wie toll es gewesen sei, die Dreharbeiten in Deutschland zu machen, auf Sylt, Usedom und in den Babelsberger Studios in Berlin. Wir fanden den Film bis etwa zur 75. Minute hervorragend. Er ist phantastisch fotografiert und sieht sich sozusagen von alleine. Was dann passiert, können wir auch nicht so genau sagen, nur, daß man den 128 Minuten langen Film dann als einen guten und spannenden Film wahrnimmt, ihn aber nicht als ausgezeichnetes Werk oder Meisterleistung bezeichnen würde. Sehr sehenswert, vor allem wegen der rasanten Auflösung des Rätsels der Memoiren, die den Ghostwritern das Leben kosten.

Titel: The Ghost Writer

Land/Jahr: Frankreich, Deutschland, Großbritannien 2010

Regisseur: Roman Polanski

Drehbuch: Robert Harris und Romans Polanski

Darsteller: Ewan McGregor, Pierce Brosnan, Olivia Williams, Kim Cattrall

Bewertung: * * * *

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