Paco Ignacio Taibo II ist mit „Der Schatten des Schattens“ von Assoziation A vom vierten auf den dritten Platz vorgerückt. Wir haben ihn in der Maiausgabe ausführlich gewürdigt. Den Vierten nimmt nun als Nachrücker erstmalig Henning Mankell mit „Der Feind im Schatten“, erschienen im Zsolnay Verlag ein. Dabei wundert man sich erst einmal über die Ähnlichkeit der beiden Schatten-Titel, die zufällig scheinen, auch wenn „Schatten“ seit dem Riesenerfolg „Vom Schatten des Windes“ äußerst beliebt sind. Aber natürlich geht es um etwas ganz anderes und Henning Mankell will mit seinem letzten Wallander-Roman sicherlich verhindern, daß es je einen weiteren geben könnte. Nicht mehr arbeitsfähig ist sein Kommissar, den ihn holt die Demenz ein, die so vornehm als Vergeßlichkeit anfängt und deren schlimmste Form ins Alzheimer mündet. Diesmal muß der kranke und vergeßliche Kurt Wallander, der doch erst 60 Jahre ist, einen Spionagefall aus dem Kalten Krieg lösen und wer sich an die drei Romane des Schweden Stieg Larson erinnert, weiß, daß Skandinavien ein bevorzugtes politisches Pflaster für die Kommunisten genauso war wie für die Antikommunisten. Was das aber mit seiner eigenen Familie zu tun hat, das müssen die Leser schon selber herausbekommen.
Neu auch „Der Tod wohnt nebenan“ von Francisco González Ledesma, herausgebracht vom Lübbe Verlag. In Spanien kennt man den 1927 geborenen spanischen Journalisten und Schriftsteller wohl, aber hierzulande ist es sein erster ins Deutsche übersetzter Krimi, der Lust auf mehr macht. Lübbe ist ja nun auch ein Verlag, der seine Autoren sehr durch die Leselandschaften begleitet, so sie erst einmal eingeschlagen haben, was wir wünschen. Gelesen haben wir den Krimi noch nicht und verweisen auf den Text bei der Ankündigung. Wenn er sich beim nächsten Mal hält, wissen wir mehr.
„Letzte Schicht“ nennt Dominique Manotti ihren Alltagsroman, erschienen bei ariadne im Argumentverlag und nun auf dem siebten Platz. Zwar spielt Frankreich, insbesondere Lothringen eine Hauptrolle, aber der Wirtschaftskrimi ist verfilzt zwischen West und Ost und arbeitet reale Geschichte auf, in der die Historikerin Manotti den Filz durchschaubar macht, was im realen Leben nicht mal dem Verfassungsschutz und der Polizei gelingt. Meistens wenigstens. Auch auf Platz 8 schlägt eine Krimiautorin ein: Patricia Duncker legt mit „Der Komponist und sein Richter“ aus dem Berlin Verlag eine neue Variante des hintergründigen Krimis fort. Hier ist Dominique nicht der Autorinnenname, sondern der Vorname der Richterin, die eine Sekte jagt und sich mit einem charismatischen Komponisten anlegt.
So weit, so schön. Wenn man nicht selber in der Jury saß, weiß man – und mit uns alle Leser – nichts von den Diskussionen und den Büchern, die hintenrunterfielen in der Abstimmung für die KrimiBestenliste. Daß dabei die im Buchhandel verkaufte Bestenliste nicht mit der von Krimifachleuten erstellten übereinstimmen muß, sagt noch wenig aus. Aber man fragt sich schon, warum auch diesmal wieder kein einziger deutscher Krimi dabei ist und selbst Friedrich Ani, dtv, der letztes Mal auf Platz 6 landete, wieder verschwunden ist. Fast immer sind es amerikanische/englische Autoren, die die Plätze halten und man freut sich total, daß auch Spanisch und jetzt Französisch dabei ist. Aber Deutsch wäre auch ganz schön. Und was die Jury beispielsweise vom neuen Krimi von Andreas Franz „Eisige Nähe“ bei Knaur hält oder dem gemeinsamen Produkt von James Patterson und Liza Marklund „Letzter Gruß“ bei Limes erschienen, hätten wir schon gerne gewußt! Nicht genug Amerikanisch?
Lfd. Nr. |
Rang |
Vor-monat |
Titel |
1 |
1 |
(1) |
Josh Bazell: Schneller als der Tod Aus dem Amerikanischen von Malte Krutzsch S.Fischer, geb., 304 S., 18,95 € New York: Pietro Brwna heißt im Zeugenschutz Dr. Peter Brown und trotzt jetzt als Arzt dem Tod im Krankenhaus. Vergeblich. Das liegt am verluderten System und an seiner Vorgeschichte als Auftragskiller. Zum Brüllen intelligent: Bazell massakriert Medizin und Mafia. Viel besser als Koks. Macht schneller süchtig. |
2 |
2 |
(-) |
Pete Dexter: God’s Pocket Aus dem Englischen von Jürgen Bürger und Kathrin Bielfeldt Liebeskind, geb. 368 S., 22,00 € God’s Pocket, Philadelphia: In seinem Debütroman von 1983 enthält sich Pete Dexter jeder Erklärung. Gewalt geschieht, etwas geschieht immer. Antimetaphysisch, grotesk erzählt er aus dem Pandämonium einer amerikanischen Vorstadt von Bauarbeitern, Fleischschmugglern, Kleingangstern, Träumern. Furios. |
3 |
3 |
(4) |
Paco Ignacio Taibo II: Der Schatten des Schattens Aus dem Spanischen von Harry Stürmer Assoziation A, PB, 232 S., 18,00 € Mexiko-City 1922: Vier Männer spielen Domino. Der Anwalt, der Dichter, der Journalist und der Anarchist. Nachdem alles vorbei ist – ein Aufstand, Schießereien, Massaker, Banküberfälle, ein Abendempfang, Verrat, eine Verschwörung – spielen sie Domino. Vier Gentlemen und das Chaos der Freiheit. Endlich auf Deutsch. |
4 |
4 |
(-) |
Henning Mankell: Der Feind im Schatten Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt Zsolnay, geb., 592 S., 26,00 € Ystadt/Stockholm: Geplagt von Diabetes und Vergesslichkeit löst Wallander seinen letzten Fall. Überschwemmt von Erinnerungen ans Vergangene untersucht er das Verschwinden eines pensionierten Marineoffiziers und stößt auf eine verzwickte Spionagegeschichte. Das Vergangene vergeht nicht, Wallander schon. Adieu. |
5 |
5 |
(-) |
Francisco González Ledesma: Der Tod wohnt nebenan Aus dem Spanischen von Sabine Giersberg Lübbe, geb., 320 S., 19,99 € Barcelona: Es geht um Rache und Vergeltung. Ein Kind wurde bei einem Bankraub getötet, jetzt ist Miralles, der Vater, hinter den Mördern her. Inspector Méndez ermittelt, der letzte Irreguläre im Staatsdienst. Es wehen die Düfte des alten Barcelona. Die viel zu späte Entdeckung eines großartigen spanischen Autors. |
6 |
6 |
(5) |
Arne Dahl: Dunkelziffer Aus dem Schwedischen von Wolfgang Butt Piper, geb., 416 S., 19,95 € Stockholm/Angermanland: Ein Mädchen verschwindet in nordischen Wäldern, wo Pädophile hausen. Das A-Team entdeckt, dass alles anders ist, als es gemeinhin scheint, als der erste Kinderschänder kopflos auf der Parkbank sitzt. Pädophilie: unheilbar. Rachedurst und Blutschande. Dahl probiert: das Schema umerzählen. |
7 |
7 |
(-) |
Dominique Manotti: Letzte Schicht Aus dem Französischen von Andrea Stephani ariadne im Argumentverlag, TB, 256 S., 12,90 € Pondange, Lothringen/Warschau/Paris: Ein Betriebsunfall, eine Fabrikbesetzung. Arbeiter geraten an Material, das die Fusion zweier Wirtschaftsgiganten beeinflussen und die Regierung stürzen könnte. Manotti ist eine Klasse für sich: lebensnah, realistisch, vertrackt. Der Krieg der Konzerne in den kleinen Städten. Superb. |
8 |
8 |
(6) |
Michael Connelly: So wahr uns Gott helfe Aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb Heyne, geb., 512 S., 19,95 € Los Angeles: Durch Mord am Verteidiger des Angeklagten erbt Michael Haller einen Promifall. Verfolgt von Harry Bosch, dem Seriendetective Connellys, versucht Haller, heil aus dem Justizbetrug zu flitschen, den sein Mandant samt Hinterleuten angezettelt hat. Connelly kennt sie, die US-Justiz. Ganz ohne Gottes Hilfe. |
9 |
9 |
(-) |
Patricia Duncker: Der Komponist und seine Richterin Aus dem Englischen von Barbara Schaden Berlin Verlag, geb., 352 S., 24,00 € Montpellier/Berlin/Lübeck/London/Schweiz: Sie bringen sich um – Eltern, Kinder, Freunde – um in die bessere Welt zu gelangen. Einer verlässt den Platz, der Mörder. Sektenjägerin Dominique Carpentier ermittelt gegen den charismatischen Komponisten Friedrich Grosz – und gegen ihre Liebe. Sehr edel. |
10 |
10 |
(8) |
Adrian McKinty: Der sichere Tod Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann Suhrkamp, TB, 464 S., 9,95 € New York/Mexiko: Eigentlich ist Michael ein Glückspilz. Er ist schlau, hat einen guten Bums und die Frauen fahren auf ihn ab. In Darkeys New Yorker Iren-Gang kommt er auch voran. Mit Darkeys Braut auch. Bis ein Job in Mexiko schiefläuft. New York 1992: 2000 Morde pro Jahr. Und ein Ire auf Rachetrip. |
Die „Bestenliste“ wird im Hörfunk immer am letzten Wochenende des Monats: Samstag, 29.5.2010 gegen 8.40 Uhr live; Sonntag 15.05 – 16.00 Uhr in der „Literaturzeit“ des NordwestRadio vorgestellt sowie in der Literarischen Welt am 29.4. 2010. Das Beste vom Besten: Immerhin erscheinen übers Jahr verteilt über 800 Kriminalromane auf Deutsch. An jedem letzten Samstag im Monat geben 19 Literaturkritiker und Krimispezialisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz die Kriminalromane bekannt, die ihnen am besten gefallen haben. Sie halten nach dem literarisch interessanten, thematisch ausgefallenen, besonderen Kriminalroman Ausschau. Die besten Zehn werden mit Bibliographie und Kurzbeschreibung hier veröffentlicht.
Die Jury setzt sich zusammen aus:
Tobias Gohlis, Hamburg, Kolumnist DIE ZEIT, Moderator und Jury-Sprecher der KrimiWelt Volker
Albers, Hamburg, Hamburger Abendblatt, Herausgeber „Schwarze Hefte“
Andreas Ammer, Berg, „Druckfrisch“, Dlf, BR
Sven Boedecker, Zürich, Sonntagszeitung
Kathrin Fischer, Frankfurt/Main, Hessischer Rundfunk
Fritz Göttler, München, Süddeutsche Zeitung
Michaela Grom, Heidelberg, SWR
Lore Kleinert, Bremen, Radio Bremen
Thomas Klingenmaier, Stuttgart, Stuttgarter Zeitung
Ekkehard Knörer, Berlin, Perlentaucher, Crime Corner
Kolja Mensing, Berlin, Tagesspiegel
Ulrich Noller, Köln, Deutsche Welle, WDR
Jan Christian Schmidt, Berlin, Kaliber 38
Jochen Schmidt, Düsseldorf, elder critic
Margarete v. Schwarzkopf, Köln, NDR
Ingeborg Sperl, Wien, Der Standard
Sylvia Staude, Frankfurt/M., Frankfurter Rundschau
Hendrik Werner, Bremen, DIE WELT
Thomas Wörtche, Berlin, Kolumnist Freitag, Plärrer
Alle weiteren plazierten Krimis entnehmen Sie bitte den Krimi-Besprechungen in den vormonatlichen Artikeln, die Sie unter Kultur. Bücher oder unter dem Autorennamen im Archiv finden. Dreimal darf ein Buch einen Platz bekommen, dann scheidet es aus und hat nur noch die Chance, in der Jahresbestenliste wieder aufzutauchen, die diesmal Ende Januar herauskommt.
Unter www.arte.tv/krimiwelt finden Sie die Bestenliste mit Kurzrezensionen der Juroren, Kommentaren des Jurysprechers („What’s New?“) und weiteren Informationen zu Büchern und Autoren („Krimiautoren A-Z“).