Und er, der mutige Skandalreporter, sich nicht an Lappalien abarbeiten will, etwa daran, dass es für ihn und die anderen investigativen Journalisten bei Union nie genug Kaffee, Kuchen, trockene Brötchen gibt? Er muss in den Untergrund, in den VIP-Bereich gehen.
Der investigative Journalist lässt sich also einladen, von einem Freund. Mit einem dicken, silbernen Auto, einem VIP-Schlitten, wie er im Buche steht, fahren sie zum Stadion. Dort angekommen, weiß weder der dicke VIP-Freund noch der Union-Ordner, wo sich der für den Silberschlitten reservierte Parkplatz befindet. Man irrt durch Köpenick, findet schließlich einen Parkplatz, nicht reserviert, von einem BFC-Hooligan bewacht, zahlt fluchend und rennt zum Stadion. Als man ankommt im Zelt für die sehr wichtigen Personen, zu denen man jetzt selbst gehört, hat das Spiel schon begonnen. Schnell wird noch ein Kaffee hinunterschüttet, ein trockenes Brötchen herunterwürgt.
Im Stadion empfängt einen Stille. Natürlich, das bundesweite Schweigen zu Beginn des Spiels, der Protest gegen die geplante Verschärfung der Sicherheitsbestimmungen, wird auch hier in der Wuhlheide zelebriert. Und selbst der VIP-Block gibt sich solidarisch mit der 12:12-Aktion, dem Stimmungsboykott der Fans auf den billigen Plätzen. Die VIPs sind allerdings konsequenter als die Ultras, sie schaffen es, nicht nur zwölf Minuten, sondern ganze neunzig Minuten keine Stimmung zu entfachen und aus der 12:12- eine 90:00-Aktion zu machen.
In der Halbzeitpause gibt’s wieder Kaffee, Brötchen, Kuchen. Das große Fressen, das ob des vorherigen, jahrelangen Darbens im benachbarten Pressezelt sehnlichst erwartete opulente Mahl (pochierter Tafelspitz! Fliederbeerbraten! Seezunge aus Saint Gilles mit Safran und schwarzen Trüffeln!), wird erst nach dem Spiel gereicht. Dafür kann sich jeder der wichtigen Wichtel jetzt schon gediegen volllaufen lassen. Bier, Glühwein, Sekt gibt’s reichlich. Leider nicht für den investigativen Journalisten, der hat sich nämlich idiotischerweise verpflichtet, seinen dicken VIP-Freund nach der Veranstaltung wieder nach Hause zu kutschieren, als Gegenleistung für die großartige Einladung. Was für ein Kuhhandel, schwachsinnig hoch drei, mit der Folge, einem Fußballspiel ohne Alkohol beiwohnen zu müssen. Der Ärger darüber hält an bis zum Spielende.
Dann wird endlich gefressen: Kaviarkruste! Gekräuterte Froschschenkel! Knusprige Schafsmilch! Natürlich und weil’s ja umsonst ist, viel zu viel. Satt, mehr als satt lehnt man sich zurück und schaut auf das Treiben drumherum. Die versammelten VIPs geben sich alle Mühe, bis zum Ausschankschluss besoffen zu werden, sie trinken eifrig. Der schon reichlich angetüterte VIP-Freund verabschiedet sich, behauptet, er müsse jetzt „netzwerken“ mit seinen anderen angetüterten VIP-Freunden hier. Man bleibt allein zurück, wird angesprochen, besser gesagt: angelallt von seltsamen Figuren, die einem offenbaren, sie seien ja auch nur eingeladen, Schein-VIPs sozusagen (nichts anderes als man selbst), Union interessiere sie nicht. So was muss man aushalten. Mit unbewegtem Gesicht. Das ist nicht schön, aber auch nicht skandalträchtiger als die niemals ausreichenden trockenen Brötchen im Pressezelt.
Man wartet dann noch ein Weilchen. Auf den Skandal. Aber es passiert nichts. Eine Klingel läutet zum Ausschankschluss. Man müsste wohl, in der Manier von Hunter S. Thompson, den Skandal selbst provozieren. Das zu bewerkstelligen, fehlt dem investigativen Journalisten jedoch das eine oder andere Gläschen Bier. Ganz und gar unzufrieden fährt er den VIP-Freund nach Hause, läuft durch die Gegend und besäuft sich schließlich. In einer fürchterlichen, wirklich schlimmen Hertha-Kaschemme.
Der 1. FC Union Berlin ist und bleibt langweilig. Wenigstens solange, bis der investigative Journalist sturztrunken zurückkehrt ins VIP-Zelt, beseelt von der Idee, den Laden richtig aufzumischen. Und allen seinen blanken Arsch präsentiert, Hertha-Lieder singt, in die Schafsmilch pisst. Irgend so was.