Berlin, Deutschland (Weltexpress). Der Sonderparteitag der SPD in Bonn ist vorüber. Mit Mühe und Not haben zwei Berufsproleten das Ruder gerade noch einmal herumgerissen. Saft- und kraftlos sang Martin Schulz sein Europalied und bewies in Verkennung der Stimmung und der Problemlage im Lande gleichzeitig, dass in seiner Partei von originären sozialdemokratischen Ideen oder Inhalten nicht mehr viel übrig geblieben ist. Genossen oder Gartenzwerge? Diese Frage stellt sich nicht mehr. Schulz gab bei seiner Rede ein jämmerliches Bild ab, Andrea Nahles dagegen glänzte am Rednerpult mit ihrem bekannten Hinterhof-Duktus, der von den Delegierten überwiegend mit versteinerten Mienen zu Kenntnis genommen wurden.
Gebetsmühlenartig wiederholten die Vorstände in variantenreichen Satzstellungen das passend gemachte Mantra der GroKo. Während sich die Argumente der Parteispitzen wiederholten, stehen Dutzende von Delegierten draußen im Foyer, rauchen und diskutieren darüber, wie und ob sie noch rechtzeitig nach Hause kommen. Jedem Vernunft begabten Zuhörer, musste es bei Schulzens Argumentations-Kracher beinahe die Schuhe ausziehen, als er kurz vor der Abstimmung meinte: Ein Prozent von Etwas sei besser als Null Prozent von Nichts.
Ätschibätschi-Andrea, die Copilotin des Buchhändlers aus Würselen, koberte eine gefühlte halbe Stunde übers Mikrophon wie Deutschlands bekanntester Marktschreier Aale-Dieter auf dem Hamburger Fischmarkt: „Kauft bei mir. Alle Fische erste Qualität!“ Und selbst auf den hintersten Plätzen des Plenums konnte man riechen, dass die Ware stinkt. Den Bürger auf der Straße interessiert eine Europäische Union bestenfalls am Rande. Selbst die Digitalisierung reißt ihn kaum vom Hocker. Er will wissen, ob er nächstes Jahr seine Miete noch bezahlen, die defekte Waschmaschine ersetzen und sein Auto noch betanken kann. Was nützen auf der Bühne Leidenschaft, Scharmützel und Argumente, wenn nicht jene Themen den Vorrang haben, die die Menschen in unserem Lande tatsächlich bewegen?
Jetzt hat sich die SPD selbst niedergerungen, indem sie eine Hürde genommen hat, bei der niemand weiß, ob man nicht schon bei der nächsten auf die Schnauze fällt. Wie sagte der rhetorisch begabte Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert entnervt? „Eigentlich wollen wir ja gar nicht, aber wir müssen doch.“ Ausgelutschte Stichwörter wie Globalisierung und Digitalisierung locken keine Hunde mehr hinterm Ofen vor, vor allem jene nicht, die auf der Realebene des Lebens mit einer Rente von unter 1000 Euro leben müssen. Es steht zu befürchten, dass ihnen noch die Augen übergehen werden.
Die SPD wolle sich nicht „verzwergen“ lassen, so der Endzeit-Terminus einer völlig desolaten Partei. Nun ja, denke ich mir, selbst unter den kleinsten Zwergen gibt es immer einen, der etwas Größer ist als die anderen. Und der glaubt dann, er sei ein Riese. Es ist eben immer eine Frage der Verhältnisse. Da müssen sich ehemalige SPD-Wähler, zumal die in Nordrhein-Westfalen, fragen: Hat die SPD-Führung wirklich verstanden, warum sich SPD-Hochburgen über Nacht in AfD-Hochburgen verwandelt haben? Denn Europa wird es auch nicht richten, um eine weitere, weichgekaute Floskel hinzuzufügen.
Die Auszählung in Bonn hatte etwas Gespenstisches an sich. Kaum Applaus bei der Basis, als das Ergebnis von Heiko Maas verlesen wird. Man wird also in die Koalitionsverhandlungen einsteigen. Man kann es drehen wie man will. Die SPD-Bosse, die angeblich angetreten waren, die Kanzlerin zu verhindern, haben sich nun dazu durchgerungen, Frau Merkel wieder zu inthronisieren. Martin Schulz quittierte diese Selbstvergewaltigung mit den Worten, man sei erleichtert.
Die Kanzlerin ist es allemal und machte sofort klar, dass man bei den anstehenden Verhandlungen auf Basis der Sondierungsergebnisse fortschreiten wolle. Klartext: Bei uns gibt es nichts mehr zu verhandeln. Die Kernpunkte der CDU stehen. Aha…! Wäre ich gutgläubig, würde ich annehmen, es bliebe alles beim Alten. Aber ich bin misstrauisch und befürchte: Unsere Regierung wird frühestens Ende März beim Stillstand richtig Fahrt aufnehmen, sofern wir dann schon eine haben.
Noch haben die Gegner der Großen Koalition der Wahlverliererparteien CDU, CSU und SPD Hoffnung. Der Mitgliederentscheid am Ende der Verhandlungen steht noch an. Die jungen SPD-Wilden genau wie Zigtausende SPD-Mitglieder liegen auf der Lauer. Nicht nur Schulz und Nahles müssen sie fürchten, auch unsere Noch-Kanzlerin auf Abruf. Es beißt die Maus den Faden nicht ab, Tatsache bleibt: Wer unter Verleugnung eigener Überzeugungen und im Geiste eigener Überschätzung eine Verbindung mit dem Gegner eingeht, darf davon ausgehen, dass seine Überlebenschancen sehr überschaubar sein werden.
Anmerkung:
Vorstehender Beitrag von Claudio Michele Mancini wurde im Scharfblick am 22.1.2018 erstveröffentlicht.