Denkt er das, kommt nämlich nur Scheiße bei raus. So werden Bücher geschrieben, die Botschaften haben. Ich habe keine Botschaft. Nicht eine einzige! Vielleicht ist das die Krux”¦ Ich habe nix zu sagen! Überhaupt nix! Und trotzdem muss ich immer schreiben! Es ist wie ein Fluch. Ich kann nicht mehr!“
Dieses Geständnis Fahlmanns gegenüber seiner Geliebten Inge präsentiert uns der Autor auf Seite 583, nach knapp der Hälfte seines zweidachziegelgroßen und -schweren Buches. Und wiederlegt schon mal die Sache mit dem Spaß. Dass solche Zeilen dem Autor keine Lachfältchen in Schwingung versetzen, ist kaum glaubhaft. Qual steckt natürlich auch in einem Werk wie diesem, einem Interview mit Christopher Ecker auf der Verlagsseite ist zu entnehmen, dass „Fahlmann“ innerhalb von fünf Jahren entstand und seit 1999 seiner Veröffentlichung harrte. Bis Roman Pliske, Chef beim Mitteldeutschen Verlag, den Autor entdeckte und zuerst seinen halb so dicken Roman „Madonna“ und schließlich 2012 „Fahlmann“ herausbrachte. Ein Glücksfall für den Autor, vor allem aber für uns, die wir uns genüsslich mit Fahlmann durch dessen verkorkstes Leben quälen dürfen.
In fünf Bänden schildert Ecker den Ich-Erzähler Georg Fahlmann. Hunderte Seiten lang verfolgen wir den heimlichen Schriftsteller über einen einzigen Sommer, stehen mit ihm am Fenster und sehen hinunter auf die Stelle, an der sein Vater überfahren wurde, grübeln über Worte, Zeilen und den Kater Om. Des Weiteren treten auf: Jens (Sohn), Susanne (Frau), Achim (Freund), Heinz (Beerdigungsgehilfe), Jörg (Onkel), Winkler (heimlicher Schriftstellerkollege)”¦und noch viele mehr. Ausflüge in die Kindheit und den Beruf des Bestattungsunternehmers (-sohns) werden unternommen, nach Paris (Georg und Susanne lernen sich kennen), an eine Universität, in eine Volkshochschule und eine Bäckerei. Der Schriftsteller leidet. Arbeitet. Liebt und darbt. Erfindet die verräterische Expedition des Käferforschers Carl Richard Bahlow nach Deutsch-Ostafrika. Und driftet ab. Was hat der Roman mit Außerirdischen zu tun, warum fürchtet Fahlmann Spitzbergen und wieso spielen Meerkatzen eine wichtige Rolle?
Aus der eigentlich ruhigen und sicheren Sommer-Existenz des Halbstudenten-Halbbestatters Fahlmann wird ein Getriebener, Verzagender. Je mehr Fahlmann zweifelt und seine Liebsten zermürbt, seine Lieben zerstört, fusselt auch die Romanhandlung ins Ungewisse. Namen und Perspektiven (ver)wechseln häufig, die Handlung schmilzt und brodelt. Zur Nebengeschichte Bahlows, die aus dem afrikanischen Untergrund nach Paris driftet, gesellt sich Linné dazu”¦
An dieser Stelle werde ich als Rezensentin ausnahmsweise einmal persönlich, Linné war mir zu viel! Ich bin nach Ostafrika mitgegangen, nach Paris und in diverse instabile Gemächer wie Behausungen. Durch Geschlechts- und Namenswandlungen, kein Problem, aber den Linné hab ich überblättert. Beim ersten Lesen. In Summa möchte ich nur andeuten, dass ich einen Schreibprozess noch nie so anschaulich, selbst-ironisch und zugleich surreal in einem Roman dargestellt gefunden habe! Allein die 8-seitige Abhandlung über die endgültig zu verwendende Fassung des Satzes, der den Auswurf von Wattwürmern beschreibt – genial, grandios, unerreichbar. Ach wie schwach, Fahlmann verzeih mir! Ich würde gerne in den Roman einziehen. Lieber Mitteldeutscher Verlag, haben Sie schon über eine begehbare Ausgabe nachgedacht? Bis dahin stelle ich den „Fahlmann“ in Sichtweite des Bettes auf und warte. Bald starte ich die zweite Expedition”¦
Ihnen überlasse ich selbst die Wahl, aber darf man ein Buch-Universum versäumen, das mit diesem Satz beginnt? „Mein Vater starb, als er sich nach einer Schachtel Zigaretten bückte.“
Christopher Ecker, Fahlmann, Roman, 1028 Seiten, gebunden, 146 x 222 mm, mit Lesebändchen, Mitteldeutscher Verlag, Halle, 2012, 39,95 € (D)