Der 50-minütige Theaterritt geht los mit einem Stückchen Zucker zu viel in der Kaffeetasse ihres Chefs, das sie hineingab, um zur Silberhochzeit ihres unaufgeregten Arbeitslebens einen Akzent zu setzen. Als sie kurz darauf erfährt, dass ihr Chef Diabetiker ist, gibt sie dem Pferd die Sporen in der unerträglichen Zeit des Wartens auf ein Lebenszeichen von ihm hinter der streng geschlossenen Tür.
In den sich abwechselnd jagenden Gangarten und Tempis durchmisst Anne Baum dabei ihren Entwicklungsparcours, geringschätzig rückblickend auf das Bravsein ihrer Figur der Astrid Neumann, aber ihr auch gestattend voraus zu träumen, mit weit ausgebreiteten Armen durch das enge Vorzimmer fliegend. Denn einerseits ist Astrid Neumann korrekt in ihrem Pflichtbewusstsein und nach außen hin den Erwartungen so angepasst, dass sie sich mit ihrer roten Bluse in der roten Wand des zur Bühne umfunktionierten Zuschauerraums fast aufzulösen scheint. Andererseits analysiert sie sehr wohl, was sich hinter dem formlosen Anstand, den höflichen Masken und starren Verwaltungsregeln verbirgt, und positioniert sich, wenn auch nur ungehört und für sich allein: „Lieber ein Teil vom Brötchen, als nur der Belag vom Sandwich.“ Glaubt sie zu sein und wechselt, wie alle anderen, über die sie herzieht, doch nur zwischen einer Wurst- und einer Käsescheibe. Schrill ist der Schmerz darüber („Und ich…?“), er macht durchsichtig. Nicht ungeübt versucht sie diesen Selbstbetrug mit Sekt herunterzuspülen. Doch öffnet er auch ihre zugestemmte Brust. Sie zerrt an dem Zügel der Vergangenheit und protestiert endlich postum gegen alles gewesene Unrecht in ihrem Leben (Warum holt mich hier keiner raus?“). Und endlich entgleitet ihr auch der Zügel der Kontrolle am Ende des kurzweiligen Stücks, wenn sie jäh zu ihrem Chef „Thorsten“ in den Telefonhörer glücksschreit und ihre liebende Wunschlosigkeit für eine Feuerwerkssekunde aufglühen lässt. Ob sie aber kurz darauf, zurechtgerückt mit der Mappe unter dem korrekt angewinkelten Arm, durch die Tür geht und der Goldregen einer erleuchtenden Erkenntnis über sie herniedergeht oder ob sie weiterhin von dem verklebenden Pech der hörigen Akkuratesse eingeschnürt wird, bleibt offen.
Ein sehr gelungenes, brisant aktuelles Stück über selbstgefertigte und auferlegte Zwänge in unserer Gesellschaft mit viel Humor, Verzweiflung und Begehren.
„Wunschlos“ – Buch und Regie: Peggy Langhans, Schauspiel: Anne Baum, Zimmertheater Steglitz: 030/ 25 05 80 78. Weitere Aufführungen: 01.03.2013/ 06.04.2013 jeweils um 20.00 Uhr.