Der rumänische Beitrag „Eu cand vreau sa luier, fluier“, auf Deutsch: „Wenn ich pfeifen will, pfeife ich”¦“ bekam den Großen Preis der Jury, sprich den Silbernen Bären. Dies ist ein Film, der von einem jungen Mann handelt, der noch im Gefängnis mitbekommt, daß sein kleiner Bruder von der Mutter, die jahrelang in Italien gelebt hatte, dorthin ’verschleppt’ werden soll, was ihn so aufregt, daß er ein großes Geiseldrama in Gang setzt, anschließend, nachdem die Mutter geschworen hat, vom Bruder abzulassen, in aller Gemütsruhe mit seiner Geisel Kaffee trinken geht und verhaftet wird. In diesem Film wird die aussichtslose Situation von Jugendlichen in rumänischen Gefängnissen und Besserungsanstalten angekreidet, weil das Ziel des Regisseurs deren Änderung ist. Dazu kann ein Preis beitragen.
Wenn es gleich zwei sind, erhöht sich diese Chance, wie diesmal, da der Film zusätzlich den Alfred Bauer Preis errang – Gründer der Berlinale -, der an einen Spielfilm geht, der neue Perspektiven der Filmkunst eröffnet. Regisseur Florin Seban und die beiden Hauptdarsteller George Pistereanu und Ada Condeescu sprachen über die Perspektiven dieses Films im Heimatland, wo der Präsident an der Premiere teilnehmen wird, wie er telefonisch dem Regisseur bei seiner Gratulation in einem zwanzig Minuten langen Telefongespräch mitteilte.
Den Silbernen Bären für die beste Darstellerin ging an Shinobu Terajima, die im japanischen Beitrag „Caterpillar“ den schwierigen Part einer Ehefrau spielen mußte, die nach dem 2. Weltkrieg ihren jungen Ehemann als Krüppel – auf dem Boden abgelegt – zurückerhält. Dieser Film erzählt diese Geschichte aus der Perspektive dieser Ehefrau, was ungewöhnlich ist, weil meist die „Kriegshelden“ die Hauptrolle spielen. Diese schwierige Situation wird durch zwei Momente verschärft. Die Umwelt in dem kleinen Dorf gratuliert ihr unaufhörlich zu ihrem invaliden Mann, da er drei Orden von Kaiser und Reich erhalten hat; ihm selbst muß sie genauso unaufhörlich zu Willen sein, weil allein sein Geschlechtsteil unverletzt blieb. Die daraus resultierenden heiklen Szenen gestaltet sie mit schlichter Würde. Für sie hielt den Preis ihr Regisseur Koji Wakamatsu stolz in die Luft. Er selbst hatte sich in Interviews über ihren Mut, diese Rolle, die viele schwierige Nacktszenen beinhaltet, bedankt.
Den Silbernen Bären für eine herausragende künstlerische Leistung in der Kategorie Kamera nahm für Pavel Kostomarov der Regisseur des russischen Films „Wie dieser Sommer endete“ Alexei Popogrebsky entgegen. Wie wir in der Filmbesprechung betonten, spielt die Landschaft – es geht um eine polare Forschungsstation auf einer Insel in der Arktis – in dieser Verfilmung die Hauptrolle. Aus diesem Film kommen auch die beiden Schauspieler, die als bester Darsteller ausgewählt wurden: Grigori Dobrygin und Sergej Puskepalis. Das ist schon allerhand, daß gleich drei Preise an einen Film gehen, der aber nicht als bester Film ausgewählt ist. Die Jury, das sieht man hier deutlich, gleicht gerecht aus. Es werden aus vergleichbar guten Filmen wie „Bal“ dann spezielle Leistungen dieses Films gewürdigt.
Den Silbernen Bären für das beste Drehbuch ging an Wang Quan’an und Na Jin für den chinesischen Film „Tuan Yuan“. Hier geht es um die Folgen des Pazifischen Krieges und der chinesischen Revolution durch das Auseinanderreißen von Familien und auch Liebespaaren. Um ein solches geht es hier, wo sich zwei Verlobte endlich nach Jahrzehnten wiedersehen, ihre Gefühle auch angedauert haben, aber da die Frau eine neue Realität: sprich Familie aufgebaut hatte, ihrer Pflicht folgt und den kranken Ehemann pflegt.
Den Hauptpreis für den türkischen Film „Bal“ ist der erste nach 46 Jahren, der hier einen Preis erhält. Für Regisseur Semih Kaplanoglu bedeutet dies eine hohe Ehre und er ist dankbar, weil ihm der Preis neue Möglichkeiten des Filmemachens beschert. Der Regisseur erwähnte auch seine Begeisterung für den kleinen Jungen, der diesem Film mit seinen Augen ein Gesicht gegeben hat. Es ist ein schöner Film, aber er ragt nicht mit weitem Abstand aus den anderen Wettbewerbsfilmen heraus. Wie schon erwähnt, haben andere gute Filme für spezielle Leistungen Bärenpreise erhalten. Uns fehlen bei der Preisvergabe insbesondere Filme wie der iranische Beitrag „Zeit des Zorns“, wie der neue Film der bosnischen Preisträgerin von 2007 „Na Putu“; auch der chinesische Neujahrsfilm „A woman, a gun and a noodle shop“ hätte einen Preis verdient.
Eindeutig aber ist, daß alle diese Entscheidungen eine Absage an zwei hochgehandelte Filmländer sind. Das sind die deutschsprachigen Länder Deutschland und Österreich, das sind aber in noch stärkerem Maße die USA. Die Vielzahl von harmlosen bis reaktionären Komödien sind zwar meist in der Machart gut, aber in der inhaltlichen Aussage belanglos, wenn nicht schlimmer. Da die USA den Markt eh besetzt halten, sind Preise auf einem Filmfestival eben auch wichtig, um den künstlerischen Wert von Filmen zu bewerten, um solchen Filmen eine Chance zu geben, produziert zu werden.