Was der Zuschauer erfährt, ist, dass die innenpolitische Krise in Polen 1980 die Führungen der sozialistischen Länder tief beunruhigte. Auch das Politbüro der SED bat das ZK der KPdSU um sein Eingreifen. Gegenmassnahmen wurden erörtert und beschlossen. Der Politisch-Beratende Ausschuß der Warschauer Vertragsstaaten beschloss im Dezember 1980 einen Appell an die polnische Staatsführung. Die versicherte, die Probleme aus eigener Kraft zu lösen. Eine Intervention wurde aufgeschoben. Jedoch beschlossen die Staatsführungen großangelegte Manöver der Truppen auf dem Gebiet Polens, der Tschechoslowakei und der DDR. Sie boten die Möglichkeit einer militärischen Intervention aus der Bewegung heraus. Der Plan war logischerweise geheim und die Länder trafen geheime Vorbereitungen. Auch in der DDR wurden geheime Pläne für die Militäroperation ausgearbeitet, die Truppen mobilisiert , die Manöver durchgeführt. Zur Intervention kam es nicht. Um die unabsehbaren innen- und aussenpolitischen Folgen zu vermeiden, verhängte die polnische Regierung im Dezember 1981 den Ausnahmezustand. Helmut Schmidt befindet, »dass das nun notwendig wurde.« Auch der Ausnahmezustand rettete den Sozialismus in Polen nicht.
Keine Frage, dass Erich Honecker an den geheimen Beschlüssen des Bündnisses beteiligt war, ja sie gefordert hatte. Auch bezog die SED eine deutliche Position gegen die ihrer Meinung nach konterrevolutionären Kräfte in Polen, und sie versuchte, politisch in Polen einzuwirken, wovon der Film berichtet. Für »Honeckers Geheimplan« bleibt der Film einen schlüssigen Beweis schuldig.
Hingegen stellen sich einige Fragen. Wäre es glaubhaft, dass Honecker 1980 im Alleingang, ohne das Zusammenwirken des Bündnisses, Panzerverbände nach Polen geschickt hätte? Hätte er die DDR ohne Warschauer Pakt für handlungsfähig halten können? Genau das ist die These Köhlers. Detailplanungen der NVA beweisen nicht einen eigenen Angriffsplan der DDR. Durchsichtiges Manöver: der DDR, die als einziger deutscher Staat keinen Krieg geführt hat, wird angedichtet, sie habe Europa an den Rand eines Krieges getrieben.
Laut Film ging es gegen die »Solidarnosz«. Üblicherweise werden die Protagonisten dazu vor der Kamera befragt. Warum bietet die Doku kein Interview mit Lech Walesa oder seinem intellektuellen Berater, der im Film kurz zu sehen ist? Die Aussagen des Ministerpräsidenten Wojciech Jaruzelski sind prägnant und erschließen Zusammenhänge. Warum kommt die Gegenseite nicht zu Wort? Bekanntlich hat Walesa die Teilnahme an den Jubiläumsfeierlichkeiten von »Solidarnosz« abgelehnt. Passten seine Auskünfte nicht »in den Streifen«? Immerhin war er einige Jahre Staatspräsident. Wie geht es den »befreiten« polnischen Arbeitern heute? Hat sich der Kampf für sie gelohnt? Der Film nimmt es auch mit den Fakten nicht so genau. Der Besuch Helmut Schmidts bei Honecker wird mal auf den 13., mal auf den 11. Dezember 1981 gelegt.
Die Informationslücken werden auch nicht geschlossen durch wiederholt rollende Panzerketten in Großaufnahme. Das erscheint mehr auf Bürgerschreck programmiert denn auf objektive Berichterstattung. Presse bleibt ein Instrument der Ideologen, wie im »Kommunismus«, so auch in der »Demokratie«.
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»Panzer gegen Polen. Honeckers Geheimplan gegen Solidarnosz«. Dokumentation von Henry Köhler, Deutschland 2010, 52 Minuten, Ausstrahlung auf Arte, heute, 20.15 Uhr