Dresden, Deutschland (Weltexpress). Eigentlich selbstverständlich, aber in Deutschland doch eine Ausnahme: planmäßig können die neue Staatsoperette Dresden und das theater junge generation (tjg) am 16. Dezember eröffnet werden. Vor kurzem zeigte das Presseamt Dresden der Presse die neuen Gebäude im Areal des stillgelegten Kraftwerks Mitte. In beiden Häusern ist der Innenausbau in vollem Gange. Die Bühnen mit ihrem enormen technischen Apparat werden montiert, Wände und Decken sind oder werden verkleidet, in der Staatsoperette wird das Parkett verlegt und im (offiziell klein geschriebenen) theater junge generation werden die Sitze gepolstert. Am 30. September werden beide Häuser an die Nutzer übergeben, erklärt der Projektleiter Florian Brandenburg. Er verkörpert hier den Bauherrn, die Kommunale Immobilien Dresden GmbH, die die Theatergebäude im ehemaligen Kraftwerk Mitte ebenso wie den Kulturpalast Dresden auf- oder umbauen lässt und sie dann als Eigentum der Stadt Dresden verwaltet. Die Nutzer sind in diesem Falle die Staatsoperette Dresden und das theater junge generation. Nach der Übergabe beginnt der künstlerische Probebetrieb, und im Dezember werden alle betriebstechnischen (Infrastruktur-) Einrichtungen auf ihre Funktionsfähigkeit geprüft.
Die Staatsoperette wird 700 Plätze haben. Ein guter Zugang und gute Sicht für Behinderte sind gewährleistet. Der »große« Saal des tjg hat 350 Plätze (wie im alten Haus in Dresden-Cotta). Mit seinen schwarzen Wänden wirkt er intim wie ein Kino, aber er hat genau die richtige Größe, »damit sich die Dynamik im Saal entwickeln kann«, sagt die Intendantin Felicitas Loewe. Das ehemalige Maschinenhaus des Kraftwerks, großräumig, hell, dient als Empfangsgebäude mit Kassen, Garderoben, Aufzügen und allem Drum und Dran. Die klassische Ziegelbau-Fabrikhülle blieb erhalten, innen ist alles nagelneu. Interessant ist die »angerostete« Corten-Stahl-Fassade, die dem Ziegelrot angepasst wurde. Wenn etwas stört, sind es die steilen Treppen, entworfen von jungen Leuten für junge Leute. Mit einem Blick in barocke Dresdner Gebäude hätten sie dem »gemütlichen« Sachsen etwas abgucken können.
Zum Stichwort Treppe passt der Treppenwitz. Im Projekt des tjg war eine Drehbühne vorgesehen. Sie hätte 300 000 bis 400 000 Euro gekostet. Sie wurde eingespart, um die geplanten Gesamtkosten von 96 Millionen Euro einzuhalten. Bei dieser Summe wird am falschen Ende gespart. Halbheiten werden stets zur Nachrüstung drängen. Die wird dann teurer als der Neubau. Wenn eine Planüberschreitung ein Fehler wäre – die Stadt Dresden hat schon größere Fehler gemacht, zum Beispiel mit dem Verkauf ihrer 48 000 Wohnungen an die Gagfah. In Deutschland ist es gang und gäbe, Projekte erst schönzurechnen, damit sie beschlossen werden, und später »Nachbesserungen« zu erzwingen, damit nicht eine Ruine stehen bleibt. Bei beiden Dresdner Bauvorhaben – Kraftwerk Mitte und Kulturpalast – versichern die Projektleiter, dass sie terminlich und finanziell im Plan liegen. Das bedeutet, in beiden Fällen wurde seriös geplant. Desto kleingeistiger wirkt es, wenn nicht in einem bemessenen Spielraum Mehrkosten genehmigt werden. Die Streichung ist ein Tribut an jene, die schon immer dagegen waren. Die von der Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch (Die Linke) beschworene »Versöhnung« kaschiert nur die wahren Konflikte. Vernünftige Lösungen bleiben auf der Strecke.
Am 16. Dezember werden die Theater in Festakten mit »bundesweiter Prominenz« eröffnet. Ab 17. Dezember wird »richtig« Theater gespielt. Für die Eröffnung verkünden die Intendanten, Wolfgang Schaller und Felicitas Loewe, ihre Pläne. In der Staatsoperette hat »Orpheus in der Unterwelt« von Jacques Offenbach Premiere. Das tjg bietet unter dem Motto »Hochspannung« gleich acht Premieren. Es hat ja auch drei Spielstätten, die große, die kleine und die Studiobühne. Agieren werden Menschen und Puppen.
Mit den Neubauten werden jahrzehntealte Provisorien überwunden. Die Staatsoperette zieht von einem seit 1947 genutzten Ballhaus in Leuben endlich »in die Stadt«, und das tjg aus Cotta ins Zentrum. Die baulichen Notlösungen haben die Sänger, Tänzer, Schauspieler und Orchestermusiker, Dirigenten und Regisseure nie daran gehindert, künstlerische Glanzleistungen zu zeigen. Sowohl die DDR als auch die bundesdeutsche Ära haben es vollbracht, die Staatsoperette Dresden als einziges deutsches Operettentheater zu erhalten, nicht irgendwie, sondern als Spitzenensemble. Darauf ist Wolfgang Schaller stolz. Ebenso wie auf den eigenen Beitrag seiner Belegschaft zum Theaterbau. Als der Neubau wieder einmal auf der Kippe stand, hatten die Künstler, Techniker und Verwaltungsangestellten beschlossen, auf acht Prozent ihres Gehalts zu verzichten. Das Opfer der Belegschaft wurde für die Stadt zum Zwang, endlich zu bauen. Die Vereinbarung läuft von 2009 bis zum 31.12.2021. Dreizehn Millionen Euro werden durch den Gehaltsverzicht zusammenkommen. Ob die Mitarbeiter, die gewissermaßen als Genossenschaft beteiligt sind, als Miteigentümer ins Grundbuch eingetragen werden, ist offen. Als »Nebenwirkung« ist mit der Stadt vereinbart, dass die Entlohnung exakt nach dem Flächentarif erfolgt. Auch jede Tariferhöhung im Öffentlichen Dienst wird übertragen. Davon geben die Beschäftigten acht Prozent an die Stadt ab. Schaller ist überzeugt: ab 1.Januar 2022 wird der volle Tariflohn gezahlt. Als Modell sollte nicht gelten, dass Arbeiter und Angestellte ihren Arbeitsplatz selbst finanzieren (das tun sie in der Wirtschaft ohnehin durch die Produktion von Mehrwert, den der Kapitalist einheimst). Doch verdient die Initiative Respekt.
Indessen hat der Umzug beider Theater begonnen. Die Intendanten sitzen in ihren Zimmern, die Verwaltung kommt aus dem Urlaub an den neuen Arbeitsplatz. Schaller freut sich über die himmlische Ruhe im Vergleich zum Straßenlärm in Leuben. Die Staatsoperette wird am 31. Oktober das letzte Mal in Leuben spielen: »Letzter Vorhang: Zukunft.« Die Schauspieler des tjg proben bereits an verschiedenen Orten und in unterschiedlicher Form für kleine und große Auftritte, bevor es im neuen Haus richtig losgeht.
Eine zweifelhafte Lösung bleiben die Parkplätze. Während mit dem Durchgang von der Tiefgarage am Altmarkt direkt in den Kulturpalast eine elegante Lösung gefunden wurde, ist auf dem 38 000 Quadratmeter großen Kraftwerksgelände kein Parkplatz geplant. Der soll jenseits des Eisenbahndamms liegen. Das bedeutet einen Fußweg von 281 Metern über eine äußerst stark befahrene Kreuzung. Warum auf dem gegenwärtigen Baustellengelände kein Parkplatz angelegt wird, erschließt sich nicht. Ein Parkhaus würde sich durch die Parkgebühren rentieren. Halbheiten sind für Dresden ungewöhnlich, besonders hier, denn es will Kulturhauptstadt 2025 werden. Vielleicht brauchen Politiker bei den nächsten Kommunalwahlen Stoff für ein Wahlversprechen. Allerdings ist Pegida mit einer Kulturhauptstadt unvereinbar. Das darf die Dresdner Bevölkerung nicht länger tolerieren.