„Halt, wie wollen Sie denn da aufsteigen? Ohne Leiter geht`s nicht.“ Der bärtige Kutscher macht nicht viel Worte. Zuerst einmal zündet er sich eine Zigarre an und pafft ein paar Züge. Dann holt er eine schwere Holzleiter vom Pferdewagen herunter, während die Zugpferde kräftig Wasser lassen. Dreimal muss er die Leiter ansetzen, um alle Passagiere platzieren zu können.
„Na, dann kann`s ja losgehen.“ Ich darf vorn neben dem Kutscher sitzen. Die Pferde traben los Richtung Strand und ins Watt hinein. Zuschauer winken uns begeistert hinterher. Die Fußgänger sind schon unterwegs, wir überholen sie. Zwei Reiter winken und überholen die Kutsche mühelos.
Wir fahren entlang aufgereihter Birkenreiser, die wie Besen aus dem Watt herausgucken. Gerade will ich fragen, ob sie der Wegweiser zur Insel Neuwerk sind, da hat der Kutscher die Antwort bereits parat: „Die Birkenreiser stehen übrigens für die männlichen Seehunde, da pinkeln die dran.“
Der Wattboden, mal fest, mal schlickig, mal noch im Wasser, so dass die Pferde fast bis zum Bauch nass werden und die Passagiere kräftige Spritzer bekriegen, scheint unendlich. Kein Ende in Sicht. Da versteht man sehr gut, warum man sich nicht ohne Führung ins Watt wagen soll. Immer wieder passieren Unfälle, ja Todesfälle. Nach links und nach rechts läuft das hochstehende Wasser ab. Einmal hat man das Gefühl, die Strömung sei so stark, dass man abdrifte. Aber das wirkt wohl nur so. Wir sind auf dem richtigen Weg, die Reisigbesen zeigen es. Doch ein plötzlicher Ruck fährt allen in die Glieder. „Das ist ein Priel, nach links läuft er in die Weser ab, nach rechts in die Elbe. Und das Dunkle dahinten, das sind Miesmuschel-Felder.“
Sidar und Meike, beide zehn Jahre alt, ziehen gehorsam die Kutsche. Der Kutscher lebt nur im Sommer auf Neuwerk, in einem Wohnwagen. Seit zehn Jahren begleitet er die Wattwagen-Fahrten. Im Winter ist er in Braunschweig zu Hause.
Wir fahren an Rettungsbarken vorbei, so hoch, dass von der Flut Überraschte zur Not hochklettern und auf ihnen abwarten können, bis wieder Ebbe eintritt. Der Kutscher erklärt sie: „Das sind Gefängnisse für die, die die Kutschfahrt nicht bezahlen wollen.“
Außer zahlreichen Möwen tummeln sich auch tiefschwarze Raben im Watt. „Die dunklen Möwen kommen gerade von einer Beerdigung.“
Und uns kommen die Wattwagen von der Insel entgegen, deren Passagiere mit dem Schiff nach Neuwerk gefahren sind und von dort durchs Watt zurück nach Cuxhaven wollen.
Nach etwa 70 Minuten haben wir Neuwerk erreicht. Nur der Leuchtturm guckt heraus. „Auf der Insel gehen Sie rechts rum bis zum Leuchtturm und weiter bis zum Gasthaus Fock, wo wir aussteigen und essen. Von dort sind es etwa zehn Minuten bis zum Schiff, das Sie wieder nach Cuxhaven bringt. Und nicht vergessen: Trinken Sie einen Eiergrog, der ist hier besonders gut.“
Beim Rundgang über den Deich ist man beinahe unter sich, gerade im Oktober, der ausgehenden Saison. Mal ein schlaftrunkenes Pärchen auf einer der zahlreichen Deichbänke – ob trunken vom hervorragenden Eiergrog oder von der einstündigen Umrundung der Insel oder von beidem. Ab und an sieht man, dass der Deich mit roten Klinkersteinen gepflastert ist, aber die Natur setzt sich durch, meist sind sie vom Gras überwuchert. Vor dem Deich ziehen sich Priele durch die Salzwiesen. Dahinter ist Weideland, von Kühen beweidet.
Die 108 Stufen des Leuchtturms sind leicht zu erklimmen und sichern einen schönen Rundumblick. Er ist übrigens das älteste Bauwerk Hamburgs, 1310 erbaut. 36 Einwohner zählt die Insel, aber im Jahr 150.000 Touristen. Es gibt genügend Übernachtungsmöglichkeiten.
Info: Die Tages-Erlebnisfahrt mit Zugticket, Wattwagen-Fahrt, Schifffahrt etc. wird durchgeführt von www.regiomaris.de