Erster Tag: Am Montag, 14. September beginnt für die Aussteller der Messestress.
Aufbau, Organisation werden größtenteils an diesem Tag erledigt, aufgrund der hohen Pachtkosten für die Messestände muss alles schnell gehen.
14 Uhr: Team Briefing am Stand. Die Messe wirkt noch überraschend provisorisch für die fortgeschrittene Stunde, denn morgen sollen die Pressekonferenzen laufen, von denen es auf dem Frankfurter Messegelände über 80 geben soll. Viele werden wohl noch bis zum Morgengrauen beschäftigt sein. Der Boden ist noch kahl und beschmutzt, viele Autos sehen noch ähnlich aus. Woran das liegt? Sie sind schmutzig, der Lack blitzt nicht und stehen einfach herum. Aufgrund der starken Regenfälle am Montagnachmittag sind die Böden übersät mit Reifenspuren, überall wird geputzt, geklebt, gebaut und organisiert. Ansonsten ist die Messe leer. Am Stand treffen sich die Hostessen & Servicekräfte zur Aufgabenverteilung. Küche, Infocenter, Theke, Reinigungsdienst etc.
Dienstag, 5.30Uhr: Der Tag der meisten Messebeschäftigten beginnt sehr früh. Viele reisen extra von weit her an, Berlin z.B., aber auch aus dem Ausland, ja aus Übersee, um an der berühmten Automobilmesse, der größten der Welt, teilzunehmen.
7 Uhr: Arbeitsbeginn. Umziehen, Getränkestation bestücken, Häppchen und Schnittchen organisieren, was sich hier primitiv als ’fingerfood auf der Essenskarte wiederfindet. Erst einmal den Rest des Teams „beschnuppern“, mit dem man die nächstenTage verbringen wird.
Bis 8 Uhr gibt es für den Servicebereich eine ausgiebige Essens& Getränkeunterrichtung. Das große Angebot muss internalisiert, jederzeit abrufbar und möglichst noch auf Englisch, Französisch und Spanisch übersetzbar sein. Eine schwierige Aufgabe, in derart kurzer Zeit die variationsreiche Menüfolge fehlerlos aufzunehmen. „Vom Tellerwäscher zum Millionär“ denken sich diejenigen, die erst einmal dazu verdonnert werden, das Geschirr zu reinigen. Zu den Pressekonferenzen werden Essen und Getränke gereicht, sowie die Mikrophone bei der Gesprächsrunde. Viel internationale Kundschaft ist anwesend, ein immer freundliches Lächeln, hohe Absätze und Fremdsprachenkenntnisse sind vorausgesetzt. Des Weiteren muss man sich an die Aufgabe jeglicher individuellen Freiheit gewöhnen – selbst jede Toiletten- oder Zigarettenpause muss gemeldet werden, jede Essenspause ist minutengenau festgelegt. Ab Mittag, wenn die erste Aufregung und die Pressekonferenz verflogen sind, kehrt gähnende Langeweile ein. Kaum Kunden betreten am ersten Tag die IAA, der Messestand ist eindeutig vom Personal her überbesetzt, jedoch aufgrund von Abrechnung über Tagespauschale (welche übrigens nur gezahlt wird, wenn eine bestimmte Stundenzahl überschritten ist, Überstunden werden oft nicht verrechnet), möchte niemand vorzeitig den Stand verlassen. 19Uhr: endlich naht der ersehnte Feierabend, es folgt noch ein kurzer Rundgang durch die IAA.
Mittwoch, 6 Uhr: Für diejenigen, die diese Arbeit nur des Geldes wegen verrichten, was bei Hostessen angesagt ist, ist es schon am zweiten Tag schwer, aus dem Bett zu kommen. Erst recht für diejenigen, die sich für Autos gar nicht so wirklich interessieren. Nach großen Diskussionen und Missverständnissen über den Arbeitsvertrag kam es endlich zu einer vorübergehenden Einigung zwischen den Parteien. An unserem Stand passierten zudem viele technische Pannen.
Mittwoch, 7 Uhr: die Spülmaschine streikt, das komplette Geschirr aus unserem Mannschaftscontainer des Vortags, sowie alle Gläser, die nach 18Uhr noch auf der Standparty verwendet wurden, mussten innerhalb von 30 Minuten per Hand gespült werden, denn bald kommen schon die ersten Kunden, der Koch braucht Platz. Die Küche ist in etwa 8 m ² groß, Platzangst sollte man besser nicht haben, wenn sich auf diesem Raum noch 2 Köche, 20 Servicehostessen, 3 Kühlschränke und das komplette Essen befinden. Außerdem Spülbecken, Spülmaschine, Gläser, Teller etc.. Die ersten „Zickenkriege“ zwischen den etwa gleichaltrigen Frauen beginnen, so viele Damen auf so engen Raum, ohne dass sie spezielle Aufgaben zu tun haben, das kann einfach nicht gut gehen.
Zwar kann man auf so einer Messe gut Geld verdienen, in den 13 Tagen kann man schon auf ein in Deutschland durchschnittliches Monatsgehalt kommen (1200 Euro bekommt man ausgezahlt). Dennoch ist es ganz wichtig, die Verträge genau zu studieren und wenn nötig mit dem Arbeitgeber abzusprechen, damit es nicht zu Missverständnissen kommt. Beispielsweise ist es für die meisten Catering-Agenturen üblich, dass Arbeitsbeginn 9 Uhr bedeutet, dass man um 9 Uhr eintreffen sollte und sich dann umzieht, also sprich um ca. 9.15Uhr mit der Arbeit beginnt. Auf der Messe scheint man davon nichts zu wissen, 9 Uhr bedeutet faktischer Arbeitsbeginn, Eintreffen also 8.45Uhr, was selbstverständlich NICHT verrechnet wird. Man meint, es sei erbsenzählerisch, aber auf die Anzahl der Mädels und alle Tage verrechnet, kommt doch ein nettes Sümmchen zustande. Täglich pro Person eine halbe Stunde unbezahlte Arbeit sind bei 20 Personen und 10 Stunden PRO TAG, bei 13 Tagen 130 Stunden, also 1.300 Euro!
Wenigstens gab es gute Ganztagsversorgung im Teamcontainer mit Frühstück, Mittagessen und Kaffee und Kuchen am Nachmittag – auch die Pause wird bezahlt. Ob man denn auf der IAA viel lernen würde, wird man oft gefragt. Da müsste man erst die Definition von „Lernen“ bestimmen, habe ich oft geantwortet. Wenn man „Lernen“ mit Erfahrung gleichsetzt, dann ja, mit Sicherheit. Wenn man jedoch mit Lernen das abrufbare Wissen meint, dass man beispielsweise in Schulen erhält, dann eher nicht. Denn von der IAA selbst sieht man nicht viel, der Arbeitsbeginn ist vor der Öffnung der Messe, Arbeitsschluss kurz vor Ende so zwischen 18 und 19Uhr. Vielleicht kann man noch schnell beim Vorbeigehen in eine Halle huschen, aber wirklich profitieren tut man davon nicht, denn auch dort ist Feierabend angesagt.
Das Besichtigen der neuen Modelle, die Überprüfung, ob das so stimmt, daß hier eine Grüne Messe in Frankfurt abläuft und das Im-Auto-Sitzen, gar das Ausprobieren draußen, haben wir darum auf die Tage nach der vereinbarten Arbeit gelegt. Denn es war uns selbstverständlich, so hatten wir das verstanden, dass wir die Ausstellerkarten behalten dürften und man die IAA nochmals während der Besuchertage zu Gemüte führen könnte – jedoch nichts dergleichen, die Karten mussten am letzten Pressetag abgegeben werden. Der Frust war deshalb groß. Wenn man dann jedoch im Fernsehen die Menschenmassen betrachtet hat, die sich täglich durch die Gänge der IAA drücken, vor allem am Wochenende, und man dagegen die verwöhnende Freiheit stellt, die man während der Tage des Fachpublikums besitzt, ist es fraglich, ob man sich derartigen Stress überhaupt noch mal antun möchte, wo man doch aufgrund der Arbeit schon selbst übersättigt ist von der Messeluft, die Luft zu nennen, ein Euphemismus ist und die so viele nicht vertragen.
Donnerstag, 7 Uhr: Die Messeluft hat schon ihre ersten Opfer gefunden. Klimaanlage in Kombination mit feuchter, warmer Spülmaschinenluft, 20 Virenträger auf engen Raum – ein perfekter Nährboden für alle Arten von Bakterien und Erkältungen. Das gesamte Team wirkt leicht angeschlagen und das an einem Tag, wo sich schon am Eingang Schlangen bilden und starke Kontrollen durchgeführt werden. Nach Statistik ist Donnerstag seit Jahren der meistbesuchte Fachbesuchertag, an dem die Messe feierlich eröffnet wird, und deshalb auch die Presseleute noch nicht alle abgefahren sind und so soll es auch diesmal sein. Schon ab Punkt 9 Uhr gleicht unser Stand einem Ameisenhaufen und ist kaum wiederzuerkennen. Alle Schwätzchen des Personals sind verstummt, die ersten Schweißperlen auf deren Stirn bilden sich, Hektik und Panik bricht in der Küche aus.
Die so ersehnten Bestellungen während des Wartens am Dienstag kommen nun alle auf einen Schlag. Natürlich gibt es dazu noch technische Probleme: Die PDAs – Geräte zur Erfassung von Bestellungen, die dann automatisch in die Küche und an die Theke gesendet werden, wie sie in Italien häufig üblich sind – funktionieren oft nicht, sodass über Stunden keine Bestellung eintrifft, alles muss per Hand notiert werden – und plötzlich – oh Wunder – funktioniert das Gerät wieder und alle Bestellungen der letzten Stunden werden zeitgleich gedruckt. Das Thekenpersonal verliert die Nerven, ca. 80 Bestellungen müssen nach Uhrzeit sortiert werden, um die bereits erledigten von den neuen unterscheiden zu können. Kunden beschweren sich schon über lange Wartezeiten. Ständig treffen neue Bestellungen ein, die Küche bietet schon jetzt keinen Platz mehr für das überall gestapelte schmutzige Geschirr. Jedes Teil muss vorher abgespült und im Anschluss poliert werden, was bei dem Ansturm an Geschirrmassen unmöglich ist, sodass es bald zu Gläsermangel kommt. Oft führt dieser psychische Stress zu einem Zusammenhalt des ganzen Teams, Freundschaften entstehen, man wird rücksichtsvoll und hilfsbereit. Doch in diesem Fall trat das Gegenteil ein. Jeder war auf den eigenen Vorteil bedacht, egoistisch, rücksichtslos und interessierte sich nicht im mindesten für die Aufgaben der anderen. Dass die Arbeit im Team erledigt werden sollte, wurde völlig vergessen. Die am meisten Stress hatten, wurden alleine gelassen, die wenig zu tun hatten, nutzen dies, um heimlich zu essen oder sich einen alkoholfreien Cocktail zu gönnen oder ihre Zeit auf der Toilette zu vertrödeln.
Negative Nachrede stellt sich ein, die Stimmung fällt von Minute zu Minute. Dennoch vergeht die Zeit wie im Flug, da man keine Minute zum Sitzen hat und durch den Stress gar keine Zeit hat, daran zu denken, wie lange es noch bis Feierabend ist. Um 18Uhr lichtet sich endlich das Feld, das jedoch einem Schlachtfeld gleicht, welches nach all der körperlichen und seelischen Anspannung nun auch noch beseitigt werden muss. Wieder gibt es Diskussionen mit dem Arbeitgeber. Die versprochenen RMV Tickets für den Zeitraum der Messe wurden nicht, wie im Vertrag zugesagt, ausgeteilt, nach langem Hin und Her bekommen die Betroffenen die Wochenkarten dann doch zurückerstattet. Unzufriedenheiten beiderseits machen sich breit, den Hostessen ist ein perfekter Arbeitslauf nun nicht mehr so wichtig, als Trotzreaktion auf die ständigen Probleme mit dem Kunden. Den denen konnte es oft nicht schnell genug gehen und wurde man aufgehalten, war gleich eine Beschwerde fällig.
Freitag, 7 Uhr: Viele von uns erfreuen sich eines letzten Arbeitstages. Die meisten von uns sind krank geworden, von überall ist ein Niesen und Husten zu vernehmen, fiebrige Schweißperlen stehen einigen auf der Stirn, Halsschmerzen inklusive. Fehlen möchten trotzdem niemand, 100€ Arbeitsausfallentschädigung müssten sonst laut Vertrag gezahlt werden, niemand möchte einen Messetag umsonst gearbeitet haben. Die Stimmung im Team ist gereizt, die anfallende Müdigkeit wird mit Überdosen an Kaffee ausgeglichen.
Der Stress vom Vortrag wiederholt sich nicht, jedoch ist man trotzdem ständig in Bewegung.
Wird die Pause nur um 3 Minuten überzogen, wird einem gleich eine halbe Stunde des Lohns abgezogen, bei dem wir bis heute nicht wissen, ob er nun per Stunde oder per Tagespauschale abgerechnet wird. Das übriggebliebene Essen soll heute gezählt werden, darf also nicht mal an das Personal nach Ende der Messe verteilt werden sondern wird weggeschmissen.
19 Uhr: „Feierabend, wie das duftet”¦.“ Endlich ist für viele von uns alles überstanden. Ein Teil des Teams wird noch bis Messeende am Stand sein, Presse und Fachpublikum waren jedoch die „wichtigeren“ Kunden, deshalb ist der Stand nicht mehr so stark besetzt. Sicherlich wird es stressfreier werden, obwohl es voller wird, da ein großer Anteil an Stress dadurch erst hervorgerufen wurde, dass für die vielen Mitarbeiter auf dem Stand einfach zu wenig Platz ist.
Wer Berührungsängste hat, ist nach dieser Woche entweder durch eine Art „Konfrontationstherapie“ geheilt oder wird sich nie wieder in Menschenmassen bewegen wollen.
Mindestens genauso lang, wie die Messetage für uns selbst gedauert hatten, müssen sich viele von uns von ihr erholen. Bein und Fußschmerzen sind vor allem für die mit hohen Absätzen, die schwungvoll sich in die Autos gesetzt hatten und noch schwungvoller ihnen entstiegen, unerträglich, alle Tricks wie Magnesium, Aspirin, Schuheinlagen etc. helfen nicht mehr. Bis man alle Grippeviren, die im Körper herumtoben, wieder los hat und sich von dem psychischen Stress regeneriert hat, dauert wohl mindestens so lange, wie bis das Geld endlich auf dem Konto ist und man die Sache geistig abschließen kann – oder bis zur nächsten Messe?
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Nach dem Gespräch mit der 22jährigen Studentin N.K., als Servicehostess auf der IAA beschäftigt, aufgezeichnet von Claudia Schubert