Da darf man schon mal herzlich gratulieren und sich für die unzähligen Pop- und Rocksongs aus seiner Kehle und seiner Feder bedanken, von denen ja viele die Zeiten überdauert haben und echte Evergreens geworden sind. Nicht zuletzt deshalb, weil immer wieder auch andere Größen der Unterhaltungsmusik seine populären Lieder nachgesungen oder -gespielt haben. Bis in unsere Tage hinein. Neil Diamond gehört zu den am meisten gecoverten Songschöpfern überhaupt. Wer kann sich schon rühmen, von solchen renommierten, freilich auch sehr unterschiedlichen Künstlern, Bands und Orchestern wie Frank Sinatra, Elvis Presley, Johnny Cash, Harry Belafonte, Al Martino, Sonny & Cher, Shirley Bassey, Cliff Richard, The Monkees, Deep Purple, UB 40, Les Humphries Singers, Mr. Ackerbilk, Bert Kaempfert, James Last, The London Philharmonic Orchestra, Gregorian, Chris Isaak, Karel Gott, Peter Alexander, Sarah Brightman, Andrea Bocelli, Ronan Keating und sogar erst jüngstens von DJ Ötzi interpretiert zu werden.
Wer und was ist eigentlich dieser am 24. Januar 1941 in Brooklyn, New York City, in einer osteuropäisch-jüdischen Einwandererfamilie geborene Neil Leslie Diamond?
Als Teenager schwärmte er für die Everly Brothers, Chuck Berry, Little Richard und natürlich Elvis Presley. Mit Barbra Streisand sang er im Schulchor. Zum 16. Geburtstag bekam er von seinem Vater eine Gitarre geschenkt, die er dann begeistert spielen lernte. Das erste Lied schrieb er 1958 für seine Freundin. In den frühen Sechzigern verdingte sich der talentierte Autodidakt und Selfmademan Diamond in New York bereits professionell als Songwriter für andere. Der Durchbruch kam 1965, als er seinen an den Beatles orientierten Titel „I’m A Believer“ der TV-Castingband „The Monkees“ überließ. Der rockige Song schoss an die Spitze der US-Charts, verkaufte sich rund 10 Millionen Mal – Neil Diamonds erster Welthit! Nun wollte er sich auch selbst als Sänger beweisen, und bereits 1966 gelang ihm mit der Single „Solitary Man“ sein erster eigener Knaller. Der tempogeladene Song über den einsamen, eigenwilligen Mann, den Einzelgänger, wurde zum Markenzeichen des jungen Diamond, der daraufhin von einem späteren Biographen sogar das Etikett „Solitary Star“ erhielt. Diamond – der funkelnde Solitär, der Ausnahmekünstler. Kein Geringerer als Country-Legende Johnny Cash gab diesem Schlüsselsong Neil Diamonds im Jahre 2000 in seinem hochgelobten Alterswerk „American III: Solitary Man“ gleichsam die Weihe für die Ewigkeit.
Nach „Solitary Man“ ging es Schlag auf Schlage weiter mit Diamond-Edelsteinen. „Cherry, Cherry“ erreichte bereits die Top Ten, und die Single „Cracklin’ Rosie“ war dann 1970 Neils erster Nr.1- Hit. Weitere Number Ones: Song Sung Blue (1972) und „You Don’t Bring Me Flowers“ (1978), das bekannte melancholische Duett mit Barbra Streisand über eine gescheiterte Liebesbeziehung. Weitere Top-Ten-Hits wurden „Girl, You’ll Be A Woman Soon“, „Sweet Caroline“, „I Am”¦ I Said”, “Longfellow Serenade”, “Holly Holy”, „Love On The Rocks“, “Hello Again”, “America” und „Heartlight“, wozu Diamond 1982 von Steve Spielbergs Science-Fiction-Film “E.T. – Der Außerirdische” inspiriert wurde. Übrigens, nicht nur die “Monkees” landeten einen von Neil Diamond geschriebenen Welthit, sondern fast zwanzig Jahre später auch die britische Reggae Band UB 40, die „Red Red Wine“ 1983 in GB und in den USA auf Platz 1 der Charts hievten. Der Song handelt von einem, der seine Liebe verliert und den Kummer darüber in Rotwein ertränkt. Diamond bereicherte die Popmusik mit einigen der schönsten Love Songs überhaupt. Man denke z. B. an die ergreifende Ballade „Play Me“ von 1972 mit dem Refrain „You are the sun, I am the moon, You are the words, I am the tune, play me.” Der große Harry Belafonte hat sie emphatisch nachgesungen. Oder an den melodischen Song “The Story Of My Life” aus dem Jahre 1986, in dem es heißt: „The story of my life is very plain to read. It starts the day you came and ends the day you leave.”
In den Siebzigern knüpfte Diamond auch Beziehungen zum Film an. Für den überaus erfolgreichen, mit klassischen Elementen arbeitenden Soundtrack zur Verfilmung des existentialistischen Romanbestsellers „Jonathan Livingston Seagull“ („Die Möwe Jonathan“) von Richard Bach erhielt er 1974 den höchsten Musikpreis Grammy. Die Musik zu dem 1980 herausgekommenen Spielfim „The Jazz Singer“ stammt ebenfalls von Diamond, der an der Seite des berühmten britischen Mimen Sir Laurence Olivier auch die Hauptrolle spielte – einen jungen New Yorker Juden, der nicht mehr in der Synagoge singen, sondern Pop-Star werden will. Dieser Soundtrack u. a. mit den Hits „America“, „Hello Again“ und „Love On The Rocks“ erreichte die Nr. 1 der US-Billboard Charts. Die beiden Filme floppten damals allerdings, so dass sich Diamond aus dem Filmgeschäft wieder zurückzog. Doch 2001 ließ er sich von Regisseur Dennis Dugan noch einmal zu einem Gastauftritt in der Filmkomödie „Saving Silverman“ (bei uns: „Zickenterror – Der Teufel ist eine Frau“) überreden, in deren Mittelpunkt eine Neil-Diamond-Coverband steht. Einige seiner großen Hits wurden in den Soundtrack aufgenommen, und die melodiös-schwelgerische Hymne „I Believe In Happy Endings“ schrieb er eigens für dieses Movie.
Von Neil Diamond komponierte Songs finden sich außerdem in dem 1994 gedrehten Quentin-Tarantino-Kultstreifen „Pulp Fiction“, wo Urge Overkill eine gelungene Neuaufnahme von „Girl, You’ll Be A Woman Soon“ (1967) singt, sowie in dem computeranimierten Erfolgsfilm „Shrek – Der Tollkühne Held“ (2001); dort rocken die Band „Smash Mouse“ und Eddie Murphy mit „I’m A Believer“ heftig ab. In mindestens zehn weiteren US-Spielfilmen erklingen ebenfalls Hits von Mr. Beautiful Voice, wie man Diamond in Abwandlung seines wohl besten Albums „Beautiful Noise“ von 1976 nennen darf.
Auch wenn Neil Diamond seine größten Chart-Erfolge von Mitte der 60-er bis Anfang der 80-er Jahre feierte, auch danach brachte er in schöner Regelmäßigkeit bemerkenswerte Alben heraus, so 1986 Headed for the Future, 1988 The Best Years of Our Lives, 1991 Lovescape, 1993 Up on the Roof, 1996 Tennessee Moon, 1998 The Movie Album: As Time Goes By. Nach der Jahrtausendwende leitete der Singer/Songwriter eine neue Schaffensperiode ein, indem er wieder Alben mit ausschließlich eigenen Songs veröffentlichte. Die 2001 erschienene CD „Three Chord Opera“ war vom Sound her insgesamt noch ein wenig traditionell verhaftet und wohl deshalb kein großer Renner. Doch dann tat er sich mit dem Starproduzenten Rick Rubin, der schon das Spätwerk von Johnny Cash erfolgreich betreut hatte, zusammen.
Rubin erreichte, dass Diamond von den früher oftmals überproduzierten Arrangements abließ und sich wieder ganz auf seine kompositorischen und stimmlichen Stärken konzentrierte. Und siehe da, die puritanisch angelegten, ohne soundtechnischen Schnickschnack produzierten Alben „12 Songs“ von 2005 und „Home Before Dark“ von 2008 erreichten wieder den Chart-Himmel; letzteres verdrängte sogar Madonna von Platz 1. Ein großer später Triumph für den „Altmeister“ Neil Diamond, dem es nun erstmals in seiner Halbjahrhundert-Karriere gelungen war, die Nr.1 in den Alben-Charts zu entern. Auch die 2009 veröffentlichte Doppel-CD „Hot August Night/NYC“, ein Live-Mitschnitt seines bisherigen Ouvres aus dem New Yorker Madison Square Garden, platzierte sich wieder an der Spitze (Platz 2) der US-Charts. Kurz vor seinem „70.“ machte sich Neil Diamond quasi selbst ein Geburtstagsgeschenk. Im November 2010 kam das von ihm diesmal allein produzierte Album „Dreams“ mit filigran neu arrangierten und anrührend gesungenen Rock- und Popklassikern von den Beatles über Randy Newman bis zu Leonard Cohen heraus.
Immer wieder begeisterte der US-Superstar auf Welttourneen in stets ausverkauften riesigen Konzerthallen und Sportarenen Heerscharen von Fans und Liebhabern. Denn Diamond mit seiner eigenen Band ist ja auch ein begnadeter Live-Performer und Entertainer. Seine nächste internationale Tour beginnt der 70-jährige schon im Februar 2011 in Australien, danach geht’s zum ersten Mal nach Südafrika. Nichts da von Rückzug oder Ruhestand. Wann er auch wieder mal nach Europa kommt, ist freilich noch ungewiß.
Bei allen Riesenerfolgen über nahezu fünf Jahrzehnte hinweg, der strahlende Fixstern am Pop- und Rockhimmel Neil Diamond polarisiert natürlich auch. Kritiker meinten es nicht immer gut mit ihm, was an oberflächlich verabreichten Etiketten wie „Leichtmatrose ohne Tiefgang“, „Schmalzsänger“, „Schmuse-Barde“ oder gar „Weichspüler“ und „Witwentröster“ ablesbar ist. Die „Berliner Zeitung“ drückte ihm vor einigen Jahren das eher fragwürdige Label „größter Schlagersänger der Welt“ auf. Allerdings, das sensationelle Alterswerk seit 2005 hat Diamond sozusagen rehabilitiert.
Ohne Zweifel: Neil Diamond, das Urgestein, spielt in der obersten Liga der populären Musik. Als Singer/Songwriter gehört er zur Königsklasse des Showbusiness. Siegfried Schmidt-Joos und Wolf Kampmann schrieben in der jüngsten Ausgabe ihres renommierten „Rock-Lexikon“ (Rowohl Taschenbuch Verlag, Juni 2009), dass Neil Diamond „in den letzten drei Jahrzehnten des 20.Jahrhunderts und darüber hinaus der erfolgreichste Entertainer der USA“ war. In dem 2005 erschienenen Bildband „Neil Diamond“ mit Fotos von Didi Zill aus dem Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf heißt es: „Neil Diamond zählt zu den erfolgreichsten Künstlern aller Zeiten.“ Erst kürzlich wehrte sich Diamond gegen sein angebliches Softie-Image. Der deutschen Zeitschrift Classic Rock Heft (01 / 2011) vertraute er an: „Die Leute meinen immer, ich wäre ein Softie – dabei habe ich mehr Rock ’n’ Roll in mir als manch anderer.“ Viele sehen das offenbar genauso. Denn im März 2011 wird Diamond endlich in die Rock and Roll Hall of Fame aufgenommen (zur Songwriters Hall of Fame gehört er ja bereits seit 1984; und 2000 bekam er von ihr den Lebenswerk-Award).
Ein Geheimnis für den großen, lang anhaltenden Erfolg Neil Diamonds ist zweifellos das perfekte Zusammenspiel von facettenreicher, eingängiger Musik, poetischen, subtilen Texten und markanter, wandlungsfähiger Baritonstimme. Schon in den frühen Jahren seiner Karriere wurde Diamond gerne die neue oder junge Stimme Amerikas genannt. Heute zeigt sich immer deutlicher: Als Sänger mit dieser unvergleichlichen männlichen-kräftigen, aber auch warmen und nuancenreichen Stimme, die sich freilich im Laufe der Jahrzehnte auch verändert hat und reifer geworden ist, steht er in der Tradition großer amerikanischer Crooner und Enterntainer, wie Bing Crosby, Perry Como, Dean Martin, Frank Sinatra, Elvis Presley und Johnny Cash. Ja, man kann sogar sagen, dass Neil Diamond der letzte Mohikaner in dieser glorreichen Ahnenreihe ist – eine wirklich lebende Legende!
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Internet: www.sonymusic.de; www.neildiamond.com