Gute Wehrmacht, böse SS – Der Fernsehfilm »Wir, Geiseln der SS« erzählt eine dramatische Episode des Naziterrors und der Befreiung

... vor dem Erschießungskommando der SS. © Frank van Vught

Wo nun ein echter Akt der Befreiung vorgeführt werden kann, ist auch für ARTE  der Anlass nicht der 70. Jahrestag der Befreiung, sondern der 70. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges. Desto verwunderlicher beim deutsch-französischen Sender, denn das französische Volk und seine Regierenden feiern den Sieg über den deutschen Faschismus natürlich als Befreiung.

Es geht um 139 Familienmitglieder von Attentätern des 20. Juli 1944, um prominente Staatsgefangene wie Leon Blum und Kurt von Schuschnigg, um den Pastor Heinrich Niemöller, um Bogislav von Bonin, einen hochrangigen Befehlsverweigerer, und um widerspenstige britische Bomberpiloten, die sich das Naziregime erhält, um sie als Faustpfand für einen Deal mit den Westalliierten einsetzen zu können. Tatsächlich hatte Heinrich Himmler vor, sie als Verhandlungsmasse für einen Kuhhandel mit den Alliierten in der »Alpenfestung« zu verstecken und gegen politische und persönliche Vorteile einzutauschen.

Himmler lässt die Familien der Attentäter, soweit sie noch nicht eingesperrt sind, Anfang 1945 verhaften, im Kz Dachau sammeln und Ende April unter strenger Bewachung der SS in Richtung Brenner transportieren. Die mit dem Heranrücken der Alliierten, dem Zusammenbruch der deutschen Fronten und den abgerissenen Verbindungen zu ihren Vorgesetzten verunsicherten SS-Leute werden damit nur gefährlicher. Willkürliche Morde sind nicht auszuschließen, was die Gefangenen fortwährend in Todesangst versetzt.  Einen erzwungenen Aufenthalt im Ort Niederdorf nutzt der inhaftierte Oberst Bogislav von Bonin für einen Hilferuf an ein Wehrmachtskommando, um die Gefangenen der Gewalt der SS zu entziehen. Die Rivalität von Wehrmacht und SS ist dabei von Vorteil. Schließlich werden die immer noch gefangenen Zivilisten und Kriegsgefangenen von us-amerikanischen Truppen befreit und auf die Insel Capri zur Erholung (und zum Verhör) gebracht.

Soweit die vermutlich reale Geschichte, die sich als Spielfilm-Sujet anbietet. Was nach den heutigen TV-Gewohnheiten Dokumentation genannt wird, ist es in den seltensten Fällen. Denn wo es sich um geschichtliche oder verbürgte Vorgänge handelt, können sie von Zeugen und Betroffenen berichtet werden, zum Teil mit Dokumenten unterlegt. Aber die Kamera war nicht dabei. So wird eben erzählt und nicht dokumentiert, was auch durch »Experten« nicht besser wird. Letzten Endes ist der Ausweg ein Spielfilm, illustriert mit Dokumentareinlagen und Interviews mit Zeitzeugen.

Der Autor und Regisseur Christian Frey wählt denn auch die Form des Doku-Dramas, das jede Freiheit der Gestaltung zulässt. Die fürchterliche Realität des Schicksals der Geiseln wird denn auch veredelt zu schönen, leidenden jungen Frauen, lieben Kindern und ritterlichen Offizieren. Ob Wehrmacht oder SS – die Uniformen sitzen tadellos. Wie schlimm es war, auch mit der seelischen Belastung nach der Befreiung, begreift man eher aus den Aussagen der Überlebenden als aus den Szenen. Und sieht man dann die wenigen, kurzen Aufnahmen der echten Personen – Niemöller, Blum, von Bonin, Fey von Hassell oder Ingeborg Schröder – möchte man wissen: wie mögen die gewesen sein? Die Dokumentareinblendungen sind übrigens bestens ausgewählt.

Der Film zeigt eines der vielen Naziverbrechen, doch er entgeht nicht dem Klischee gute Wehrmacht, böse SS. Ob ihn die angekündigte Kurzfassung im ZDF besser oder schlechter macht?

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Wir, Geiseln der SS, zweiteiliges Doku-Drama von Christian Frey, ARTE/ZDF/ORT, Deutschland 2015, 2×52 Min., Dienstag, 7. April, 20.15 Uhr auf ARTE, und Dienstag, 14.April, 20.15 Uhr, ZDF

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