Während in Österreich die „Streif“ 75 wird und Kitzbühel in Weiß erstrahlt, heißt es in der deutschen Hauptstadt Grüne Welle für „Green Me“. Als ob die Grüne Woche, die ihren Namen nicht von den Grünen hat, die Stadt nicht schon grün genug macht, und Schnee liegt ja am 24. und 25. Januar auch keiner in Berlin. Die „Internationale Grüne Woche Berlin“ (IGW), die Ausstellung für Ernährungswirtschaft, Landwirtschaft und Gartenbau, ist im Wandel und kann sich der Biowelle nicht entziehen. Diese ebbt nicht ab, sondern gewinnt im Gegenteil an Kraft. Zudem ist Gesundheit natürlich ein Hauptthema, und Umweltschutz. Schon ab Freitag, 23. Januar noch bis Sonntag, 25. Januar gibt es auf bzw. parallel zur Grünen Woche gleich zwei Sonderschauen: Zum einen die "V delicious", eine Messe für Vegetarier, Veganer und Leute, die einfach weniger tierische Produkte zu sich nehmen und um sich haben möchten. Zum anderen die "Allergy & Free From-Show", die sich, wie der Name sagt, an Menschen mit Unverträglichkeiten richtet, aber auch an solche, die bestimmte Zutaten und Inhaltsstoffe aus ethischen Gründen weder in Speisen und Getränken noch in Haut- und Haarpflegeprodukten haben möchten. Hört sich, obwohl nicht deutsch, nach „Frisch, fromm, fröhlich, frei“ an, wie an einer Berliner Turnhalle geschrieben steht, doch „free from“, das sich auf „Freedom“ reimt, ist einfach frei von bestimmten, nicht nur tierischen Zutaten.
Einerseits gibt es auf der IGW gewohnt viele Aussteller – 1.689, davon 671 ausländische – andererseits viel Neues, begleitet von den Feiern zum 80jährigen Jubiläum und dem Erinnern an das, was mal war. Die deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft (DLG) hielt im 19. Jahrhundert in der Reichshauptstadt ihre Wintertagungen ab. Eine Woche lang bestimmten grüngekleidete Menschen in Berlin und im Neuen Westen das Bild – begleitet von einem Markttreiben. Ein Mitarbeiter des Fremdenverkehrsamtes – der Dengländer von heute sagt natürlich Tourist office – der Landwirt Hans-Jürgen von Hake, hatte die Idee 1926, in der Hochphase der Weimarer Republik, die Tagung mit einer landwirtschaftlichen Schau zu verknüpfen, am Kaiserdamm. Reitturniere, Saatenmarkt und Jagdschauen wurden in Charlottenburg zusammengeführt, zunächst in nur 2 Hallen, die aber schon im ersten Jahr von 50.000 Menschen besucht wurden. Synergieeffekte, so würde man das heute erklären. Warum im Januar? Nun, da hat der Bauer Zeit!
Solange es den Kaiser gab nach dem die Straße an der Ausstellungshalle benannt ist, war Charlottenburg eine stolze königliche Residenzstadt. (Der deutsche Kaiser war stets in Personalunion preußischer König.) Erst 1920 schloss sich die Stadt Charlottenburg, zeitweise reichste Stadt Preußens, mit Berlin und anderen Städten wie Schöneberg zu Groß-Berlin zusammen. 300.000 Einwohner waren Charlottenburger, später bis zu 345.000. Charlottenburg hatte Geld, Manpower, freien Geist, war grüner als das engbesiedelte und einst durch eine Stadtmauer begrenzte Berlin. Dies ist historisch bedingt – Charlottenburg war als Idealstadt mit einem regelmäßigen, rechtwinkligen Straßenmuster gebaut worden als Denkmal dafür, dass das Kurfürstentum Brandenburg-Preußen Königreich wurde. Es hatte Wasser, einen Schlosspark an der Spree und einen berühmten Karpfenteich, und war bis fast zur Reichsgründung 1871 grüne Lunge und Ausflugsziel für die Hauptstädter. Für neue Ideen war es prädestiniert – vor dem Ersten Weltkrieg gab es schon mehrere kleine Autofabriken, darunter für Elektroautos, die bis nach Japan exportiert wurden – und: es hatte den Platz. Kein Zufall also, dass erst am Kaiser-, dann am Messedamm die Austellungen stattfanden, und nicht irgendwo sonst. Die Austellungshalle 1 stand übrigens an der Stelle des heutigen Internationalen Congress-Centrums (ICC), wobei das Gebäude des ICC die Grundform der alten Halle mit angeschrägten Dächern übernahm. Aber zum Leidwesen vieler Besucher und vor allem der Kongressteilnehmer ist ausgerechnet die Jubiläums-Woche die erste ohne ICC, das seit 1979 Berlin und der Welt diente.
Auch, dass es nach 89 Jahren „erst“ die 80. Grüne Woche ist, hat geschichtliche Gründe. 1938 fiel die Messe wegen einer Tierseuche aus, ab 1940 wegen des Krieges. Aber auch 1946, Frieden hin oder her, konnte es noch nicht wieder losgehen. Erst 1948 fanden sich Mutige für ein – in moderner Sprache – Green-Week-Revival. Das war die Zeit von Bizonien und Trizonien, noch gab es die Reichsmark, erst im Sommer die D-Mark und dann die Blockade. Doch die IGW überlebte auch sie, die Gründung der BRD, den 17. Juni und den Mauerbau. Ab 1990 kamen auch wieder nicht nur 66Jährige und ältere Köpenicker, Pankower und Potsdamer.
U.a. in Halle 26 findet man an diesem Week-End die Speerspitze derer, die nicht nur ohne Tierversuche, sondern weitestgehend auch ohne Schlachten und Schlachterei auskommen wollen (siehe auch die Fotos bzw. Fotostrecke mit veganen ‚Würstchen‘ und Glutenfreiem). Doch wenn man auf der Grünen Woche mehr als nur ein Imagefilmchen auf einem Flachbildschirm sehen will, sucht man vergebens. Zwar gibt es viel Folkore und Unterhaltungsbeiträge und Treffen von Wissenschaftlern oder Fachbesuchern sowie Gesprächsrunden, aber wer Filme zum Thema sehen will, sollte zum Potsdamer Platz wechseln. Die rote U-Bahnlinie 2 bringt einen vom Kaiserdamm ohne Umsteigen zu Green Me.
Nach 80 Grünen Wochen tobt dort das Grüne Leben auf dem 8. Green-Me-Fest. Eine Null weniger, aber was ist eine Null schon wert?
Im „UN-Jahr des Bodens“ 2015 liegt der thematische Schwerpunkt von Green Me auf den Themen „Soil“, „Soul“, „Food“ – Boden, Seele, Essen.
Essen hält Leib und Seele zusammen, und ohne BODEN hätte wir nur eine Tatsache, und die hieße Hunger. Da trifft es sich gut, dass Veganer und Vegetarier im Aufwind sind, zudem ja auch die Weltbevölkerungszahl ansteigt. Mit einem 1 kg Fleisch kann man jemanden ernähren, oder gleich die 7 bzw. 12 kg Getreide zur Ernährung nutzen, ohne erst umständlich eine Pflanzenernte zu verfüttern um Fleisch zu „erzeugen“ – allerdings mengenmäßig viel weniger. Vegetarisch kann man etwa 10mal soviele Menschen ernähren, also keine Angst vor 7 oder 8 Milliarden. Indien macht es vor, und wer einmal in einem guten indischen Restaurant die Speisekarte studierte, weiß, dass vegetarische Ernährung vielseitig ist, trotz aller Gerüchte, die manche Wursthersteller streuen.
An hohem Besuch bei der Green-Me-Preisgala am Sonntag wird u.a. die Schirmherrin erwartet, die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit Dr. Barbara Hendricks. Aber auch Grand-Jury-Mitglied Dr. Auma Obama, die Schwester Barack Obamas; die in Deutschland Germanistik und (Film-)Regie studierte, Landwirtschaftsministerin a.D. und Vorsitzende des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz im Bundestag Renate Künast sowie Simone Peter, die Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/Die Grünen.
2015 gibt es 15 Diskussionsforen bei Green Me, und zweimal 15, das macht 30 Filme. Herausragend Wim Wenders‘ Dokumentarfilm "Das Salz der Erde" über das Lebenswerk des weltberühmten Fotografen Sebastião Salgado. Was den Film noch äußerst wertvoll macht: Hier wird unter anderem erklärt, wie man den Regenwald wieder aufforsten kann; denn – das geht, trotz anderslautender Gerüchte. Weitere Dokumentationen sind „Song from the Forest und „Wenn ein Garten wächst“. Für die Kinder, die ja hier ganz groß rauskommen, gibt es bei freiem Eintritt „Amazonia“, „Wall-E“ und – als Berlinpremiere – „Giraffada“.
„Ratatouille“, „Food Inc.“, Spirit Berlin“, „Fairy Trail“, „Das Geheimnis der Bäume“ – alle Streifen können wir hier nicht aufzählen. Auf jeden Fall enthalten die Festivalbeträge viel „Mitgefühl, Weisheit und Humor“, die wir dringend brauchen, solange die „Natur unter Beschuss“ liegt, so weitere Filmtitel.
Der dänische Film „VIEL GUTES ERWARTET UNS“ von Phie Ambo kann noch nicht gezeigt werden, da er erst am 19. März 2015 in die Kinos kommt. Aber auch so erwartet uns viel Gutes: Zum Bodenthema „Symphony of the Soil“, „Sand Wars“ und „Dirt! The Movie“. Dazu ein kurzer Bodensatz: Den Namen „Dreck“ hat der Boden im Grunde nicht verdient.
Fazit: Hingehen.
Eintritt: Tageskarte Grüne Woche 14 Euro, Tageskarte Green Me 9 Euro, für Binchviewer gibt es die Wochenendkarte für 16 Euro und Frei-Bionade (ohne Gewähr), Kinder bis 14 Jahren haben freien Eintritt!
Die „Grüne Woche“ befindet sich auf dem Charlottenburger Messegelände am Funkturm, der Eingang Nord Messedamm/ Masurenallee ist u.a. erreichbar über den S-Bhf. Messe Nord/ICC (auf dem Ring S41/42).
Das Filmfestival „Green Me“ läuft im Kino Cinemaxx in mehreren Sälen, im Untergeschoss gibt es einen nur für Green-Me-Besucher abgesperrten Bereich mit Kauf- und Infoständen zum Thema. Das Kino ist in der Potsdamer Straße 5, der Eingang aber an der Voxstraße (auf der Seite zur Alten Potsdamer Straße). Da der S-Bahnhof zurzeit nur mit Ersatzverkehr erreichbar ist, empfiehlt sich die Anfahrt mit der U2, dem M41er oder mit den BVG-Bussen 48, 85 und 200 bis Haltestelle Varian-Fry-Straße.