“Crossing Over” beginnt mit den besten Aussichten. Wie ein Neuankömmling in dem Gelobten Land, als welches sich die USA gegenüber dem Rest der Welt gerne verstehen. Max Brogan ist Spezialagent der Einwanderungsbehörde. Ein harter Kerl, der zuviel trinkt und dem sein Leben entgleitet, glaubt man nach dem ersten Eindruck. Tatsächlich entpuppt sich Max Brogan als nettester Illegalenjäger der Staaten, der Agent, dem Immigrantenfrauen vertrauen. Das ahnt man schon, da ihn Harrison Ford spielt. Die Jahre im Dienst haben Brogan nicht verbittert gemacht, sondern milde gegenüber den illegalen Einwanderern. Ob Regisseur Kramer mittels Brogans nachsichtigem Verhalten seine Sympathie für die Einwanderer bekunden will, bleibt unklar. Sieht man den Spezialagenten, wie er gleich die erstbeste Einwanderin (Alice Braga) entwischen lassen will, wirkt das verharmlosend gegenüber dem Schicksal der ausgewiesenen Illegalen. Damit nicht genug, kümmert sich Brogan persönlich um den kleinen Sohn dieser jungen Frau, bringt ihn nach Mexiko zu den Großeltern und ist richtig niedergeschlagen, als er schließlich vom Tod der Frau bei einem zweiten Grenzüberquerungsversuch erfährt.
Soviel zum Hauptcharakter, wobei dieser Titel in “Crossing over” zeitweise mehreren zukommt. Herzensgute Agenten wie Brogan wünschen sich sicher viele Einreisewilligen. Die Realität sieht anders aus, eher wie es das Ende der jungen Frau aufzeigt. Doch hier bleibt der bittere Nachgeschmack der moralischen Strafe. Das hat die Unverbesserliche nun davon. Alice Braga kann ihre darstellerische Vielseitigkeit in den wenigen Szenen kaum zeigen. Harrison Ford hingegen darf oft und lange mit versteinerter Miene in die Kamera starren. Anders verfährt das Episodendrama mit Ray Liotta. Dessen Filmgattin (Ashley Judd) geht als weibliches Pedant zum Gutmenschen Brogan so weit, ein schwarzes Einwandererkind adoptieren zu wollen. Liottas Einwanderungsbehördenangestellter Cole Frankel hingegen bleibt als korrupter Widerling am längsten im Gedächtnis.
Ironischerweise ist der einzige schlechte Charakter der authentischste des Figurenensembles. Frankel erpresst die Australierin Claire (Alice Eve) sexuell im Tausch gegen eine Green Card. Für die sich für die Aufenthaltsgenehmigung prostituierende Claire hat der Film am wenigsten Verständnis. Das Überschreiten moralischer Grenzen ist in den prüden USA schlimmer als das von Staatsgrenzen. Claire muss zurück nach Down Under, ihr Freund Gavin Kossef (Jim Sturgess) hingegen darf bleiben. Dabei hat der sich über seine jüdische Herkunft die Einbürgerung erschlichen. Doch Kramer findet das halb so wild. Mal ehrlich, wer kann schon hebräisch? Der Behördenprüfer Gavin Kossefs jedenfalls nicht und so steht “bewilligt” dank etwas Fantasiegebrabbel auf Gavins Antrag. Je länger man “Crossing Over” sieht, um so unangenehmer fällt die anmaßende Haltung des Films auf. Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen. Auf den Einwandererstaat USA, der nur privilegierten Anwärtern den Daueraufenthalt gestattet, trifft dies im negativen Sinne durchaus zu. Nur sortiert Kramer seine Protagonisten mittels Tod, Verhaftung und Abschiebung mit spürbarer moralischer Wertung aus. Bleiben darf, wer sich anpasst, den Kindern amerikanische Werte predigt und Muttersprache und Schleier ablegt. Allerdings nicht mehr als den Schleier, sonst wird man erschossen, wie die moderne Zahra (Melody Khazae). Sie wird natürlich nicht von Amerikanern ermordet, sondern von ihren um die Familienehre fürchtenden persischen Verwandten. Doch im “Land der Freien” kommen sie damit nicht durch. Vor der Riesenflagge lässt Brogan die Schuldigen noch während der Einbürgerungszeremonie abführen. Der erste Schritt als Amerikaner führt für die, welche diese Ehre nicht zu schätzen wissen, in die Gaskammer. Willkommen in der neuen Heimat. Hier vergreift sich nicht nur der die Szene untermalende Sänger der Nationalhymne im Ton.
Neben dieser ansteigenden Bigotterie ist das Hauptproblem von “Crossing over”, immer zu anderen Episoden seines Handlungsgeflechts zu wandern, sobald man sich in eine vertieft hat. Anteilnahme für die Figuren kommt so nicht auf. Sie erschienen austauschbar, noch schlimmer: ersetzbar, was “Crossing Over” eine unfreiwillige zynische Note gibt. Der nächste Illegale ist schon auf dem Weg, während der vorige noch ausgewiesen wird. Das Traurige an “Crossing over” ist, dass der Film so gut hätte sein können. Hervorragende Darsteller und ein aktuelles, selten beachtetes Thema. Doch seine Möglichkeiten verschenkt Regisseur Wayne Kramer zu Gunsten des selbstverfassten Drehbuchs. Trotz vielversprechender Ansätze überschreitet “Crossing over” mit inhaltlichen Taktlosigkeiten die Geduldsgrenze. Eigentlich auch die Toleranzgrenze.
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Titel: Crossing Over
Genre: Drama
Land/Jahr: USA 2008
Kinostart: 25. Juni 2009
Regie und Drehbuch: Wayne Kramer
Darsteller: Harrison Ford, Ray Liotta, Ashley Judd, Cliff Curtis, Alice Eve, Alice Braga
Verleih: Senator
Laufzeit: 113 Minuten
FSK: Ab 16