Wie sich allerdings die Teotihuacaner diesen Himmel vorstellten, ist so unbekannt, wie alles, was konkret das Leben der Bewohner angeht, denn sie, die um 500 nach Chr. mit über 160 000 Einwohnern die größte Stadt der Welt darstellten, hinterließen keine Schrift, keine Erklärung, nichts, nur neben den Monumentalbauten eine große Menge von gestalteten Steinen, als Skulpturen, Gebrauchsgegenstände, Werkzeuge, und ebenso viele aus Ton geformte sowie Wandmalereien, die nun in großer Anzahl von den Besuchern im Gropiusbau mit Recht bestaunt werden.
Grundsätzlich müssen wir wissen, daß unser Wissen über Teotihuacan erst einmal über die Azteken transportiert wurde, die einfach diese Hochkultur zu ihren Vorfahren erklärt hatten und 1519 in Tenochtitlán, dem heutigen Mexico Ciudad, von den Spaniern und dem berühmt-berüchtigen Hernán Cortéz 1519 überfallen und 1521 besiegt und versklavt wurden. Denn der Begriff „Teotihuacan“ bedeutet in der Aztekensprache Nahuatl „Der Ort, an dem die Götter wohnen“ oder „Der Ort, an dem die Götter geboren werden“ , auch „Der Ort, an dem man zu Gott wird“ und so sind auch die in Teotihuacan aufgefundenen Götter mit den Namen der aztekischen Gottheiten bezeichnet, also dem Quezalcoatl, dem Tlaloc, dem Huehuetéotl, dem Xipe Totec, wie die Gefiederte Schlange (Jaguarkopf!), der Regengott, der Feuergott und der Frühlingsgott heißen. Das ist sicher nicht falsch, denn sieht man diese umfangreiche Schau in Berlin, wird einem klar, daß in der Tat Teotihuacan der Schlüssel für die späteren Indio-Kulturen bedeutet. Wir sprechen vom mexikanischen Raum und noch nicht von den Mayas und Inkas, die andere Wurzeln und andere regionale Ausdehnungen haben.
Es geht also in dieser Ausstellung auch um Mexiko, um das Land, das sich vor 200 Jahren von spanischer Herrschaft befreite, vor 100 Jahren die mexikanische Revolution erfolgreich durchführte und dies zusammen nun 2010 gemeinsam feiert. In diesen Kontext gehören die Ausstellungsstücke in Berlin, die zum großen Teil aus jüngsten Grabungen stammen und in Mexiko noch nicht zu sehen waren. Insofern ist es nicht nur eine nette Geste, daß uns im ersten Raum viele Fotografien aus dem frühen und späten 20. Jahrhundert von der Sonnen- und Mondpyramide begrüßen, mal mit wichtigen Personen aus Politik und Gesellschaft, mal mit ausländischen Touristen oder Weltberühmtheiten, die alle ausdrücken: „Hier stehen wir vor den Grundlagen unserer heutigen Kultur. Wir waren auch da und sind ihre Repräsentanten.“
Die über 450 Ausstellungsstücke sind ihrer Funktion nach gegliedert, denn der Komplex der Götterstadt Teotihuacan mit den Pyramiden und Sakralbauten wird anschaulich durch die aufgefundenen Götterstatuen und viele rituelle Objekte in den ersten Räumen gezeigt. In der Folge wird deutlich, wie die Architektur und Stadtplanung einem religiösen Raumgefühl zugrundeliegen. Wie man sich das Herrschaftssystem vorstellen kann, ist ungewiß, aber im 4. Jahrhundert ist etwas passiert, denn in den Wohnanlagen der Zitadelle – Vorsicht, die Begriffe sind spanische und haben nichts mit der originalen Funktion zu tun, denn Teotihuacan muß man sich ohne Befestigungen als offenen Handelsort vorstellen, auch wenn es eine Kriegerkaste gab –, im 4. Jahrhundert also hat man die mächtigen skalpierten Schlangenköpfe der Quetzalcoatl-Pyramide abgeschlagen und das deutet auf neue Herrscher mit neuen Attributen hin.
Mit dem Feuergott Huehuetéotl wird die Privatsphäre eingeläutet, denn dies ist sozusagen ein Hausgott, den man bei den Ausgrabungen der Siedlungen auch reichhaltig auffand, wie eine ungemein große Auswahl an Räuchergefäßen oder Dreifüßen und die vielen wirklich wunderbaren kleinen und großen Menschengestaltungen, die ein Höhepunkt der Ausstellung darstellen. Die Dreifüße, der Feuergott und die Räuchergefäße, das wird einem fast zu viel, so umfangreiches Material wurde aufgefunden und erst, wenn man genau hinschaut, kann man die den Gegenständen innewohnende Gemeinsamkeit genauso unterscheiden wie die spezielle Ausführung.
Anschaulich wird auch durch die vielen Ausstellungstücke, daß Teotihuacan durch den Handel reich wurde und durch das Monopol über den Osidianhandel, denn hier wurde dieser eigentlich schwarze, hier aber qualitativ hochwertige grüngoldschimmernde Stein gefunden. Im letzten Raum findet man dann die in Teotihuacan gefundenen Gegenstände, die aus anderen Kulturräumen stammen. Und da wundert man sich einfach, daß Maya-Stelen von der Schrift dieser Kultur auch in Teotihuacan zeugen oder auch zapotekische Inschriften auftauchen, also die Schrift als Phänomen den Teotihuacanern bekannt war, ohne daß es zu einer solchen dort gekommen wäre. Und was genau schlagartig um 650 nach Chr. diese blühende Kultur zum Erlöschen brachte, ist ebenfalls rätselhaft. Man weiß um den immer größer gewordenen Stadtstaat, den man sich nicht ausgedörrt unter heißer Sonne – wie heute – vorstellen darf, sondern der aufgrund der unterirdischen Wasserfunde und der vielen Becken eine grüne Oase gewesen sein muß, die reichlich Landwirtschaft betrieb, das zeigen die Funde genauso, wie die Wandmalereien voll von Pflanzen und Tieren sind.
Also ist eine der Theorien, die aber grundsätzlich für alle Hochkulturen gilt, die nicht von außen besiegt wurden, daß der Feind von innen kam. Daß die staatliche Verwaltung nicht mehr in der Lage war, die Versorgung der Bevölkerung zu organisieren und das Staatswesen zusammenbrach. Wohin die Leute gingen? Das weiß man nicht. Man weiß aber, daß die teotihuacanischen Wurzeln sich fürderhin in Zentralmexiko überall wiederfinden, sei es in Göttern oder grafischen Zeichen und Symbolen. Eine spannende Angelegenheit, in die man hineingezogen wird, sobald man die Ausstellung betritt.
Wir haben viel zu wenig über die außerordentlich kunstvollen Exponate berichtet, die von hoher Handwerkskunst, schönem Schmuck, phantasievollem Umgang mit Jade, Koralle, Muschelschalen und Stuck künden. Die Schönheiten der Ausstellungsstücke kann man kaum beschreiben, deren ästhetische Dimension kann man sozusagen genießen, auch ohne über die Hintergründe informiert zu sein. Was uns aber wundert, ist, daß alle Fundstücke aus Stein, Ton, Fell oder Holz sind. Was war mit dem Metall? Aber das ist eine andere Geschichte.
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Ausstellung: bis 10. Oktober 2010
Katalog: Teotihuacan. Geheimnisvolle Pyramidenstadt, Somogy Editions D’Art 2009. Die Ausstellung war zuvor in Paris zu sehen und in Zürich. Kuratiert hat sie Felipe Solis, Direktor des Museo Nacional de Antropologia in Mexico Stadt, der mit ihr und den Ergebnissen der jüngsten Forschungsarbeiten die herausragende Bedeutung Teotihuacans für die Entwicklung der gesamten mesoamerikanischen Kultur aufzeigen wollte. Er starb 2009 unerwartet, weshalb der dicke, schwere, inhaltsreiche Katalog als Hommage an ihn geriet, denn er war es in Mexiko und der Welt, der unermüdlich die Wurzeln der einheimischen Kulturen freilegte, die von den Spaniern erst einmal verachtet und ausgerottet wurde.
Dieser Katalog ist für das Verständnis der in der Ausstellung befindlichen Objekte von ungeheurem Wert. Denn neben den großzügig fotografierten Exponaten geben die Erklärungen uns Aufschluß über deren Funktion im privaten oder rituellen Leben, die dringend nötig sind, denn das Leben der vorkolumbianischen Völker ist so anders und so wenig im Detail erforscht, daß diese Informationen den Blick auf Wesentliches lenken. Wichtig natürlich auch die Essays, die die Grundlagen der Kultur von Teotihuacan beleuchten und auf die Verschränkungen dieses gewaltigen Handelsplatzes mit anderen Indiokulturen eingehen.
P.S.: Der Besuch des Gropiusbaus in Berlin lohnt auch deshalb, weil dort mit der Frida-Kahlo-Schau tatsächlich ein mexikanischer Schwerpunkt herrscht. Diese Ausstellung zieht Besucherströme – darunter sehr sehr viele junge Leute – geradezu magisch an und man kommt sich angesichts der Warteschlangen tatsächlich vor wie in Paris oder New York. Das umfangreiche Rahmenprogramm beider Ausstellungen erfahren Sie über die Webseite.
Internet: www.gropiusbau.de