Dabei und das soll gleich deutlich gesagt werden, handelt es sich nicht nur um eine sehr sinnliche Ausstellung, die den Augen Futter geben, auch ohne die Gegenstände in den Bildern anzurühren, sondern es ist auch – wie immer – eine kunsthistorisch gut erschlossene Schau, die zudem einen Vorteil des Kunstforums für Besucher der Kunstmetropole Wien sehr gut ausspielt: daß die Räume überschaubar sind, daß eine Ausstellung sich also auch auf Wesentliches zum Thema besinnen muß, der Besucher sich also nicht überfordert fühlt, sondern geleitet von Wandtexten sich hier selbst auf den Weg machen kann.
Es ist ein Gemeinplatz, daß sich die Kunstgattungen, seien es die Landschaft, die Porträts, die Genreszenen ab der Neuzeit aus dem einst religiösen Bild befreiten und eine eigenständige Entwicklung auf eigenen Bildträgern erfuhren. So auch das Stilleben und hier bevorzugt das mit den Abbildungen von Essen. Letzteres hat gleich drei Wurzeln. Schon der Sündenfall begann mit dem Apfel, ob als Granatapfel oder in unserer Version. Der Apfel der Erkenntnis verband seit jeher den Geist mit dem sinnlichen Genuß. Folge war die Erbsünde. Das zweite sind die Wunder des Jesus Christus, wo die Speisung einen besonderen Raum einnimmt: die der 5 000, dann der wunderbare Fischzug, aber erst recht die Wandlung von Wasser in Wein als Wunder von Kana. Ja, Brot und Wein wurde so bedeutend, daß es sogar mit der Wandlung in der Messe die entscheidende Sakralisierung in das Fleisch und Blut Christi gelang. Zumindest nach katholischer Auffassung. Auch die andere bildhistorische Wurzel verweist als Drittes auf das Essen. Es sind die Markt- und Küchenbilder, die im 16. Jahrhundert ausgehend von den Niederlanden entstehen, wo das Volk breiten Raum erhält, die Titel der Bilder aber noch christlichen Inhalts sind.
So auch bei Pieter Aertsens „Christus bei Maria und Martha“ von 1552, mit dem uns das Kunstforum begrüßt. Wirklich ein Paradebeispiel für das, was malerisch passiert. Denn im Vordergrund springt uns geradezu eine Hammelkeule an, die überdimensioniert in der Bedeutungsperspektive das Bild bestimmt und in Rosa-Weiß und dem auslaufenden Knochen fast surreal wirken, wenn man länger hinschaut. Sie liegt auf dem Tischaufsatz, der eine gefüllte Blumenvase trägt und viele Spuren des Lebens wie Beutel, Körbe, Wasser- und Weingefäß, Öl, Schlüssel, Brot und auf einem Teller ein verzehrfertigen Stück der Lammkeule. Maria und Martha und Jesus Christus? Ach, ja, dahinten vor den sphingengeschmückten Kamin gepfercht, geben sie als Winzlinge die inhaltliche Legitimation für das Bild ab. Aber dennoch ist auch der Vordergrund der überwältigenden Dingwelt noch christlich zu interpretieren: Brot und Wein, das Fleisch auf dem Teller wie eine Oblate auf der Patene, also man kann das noch hineinlesen, aber die gemalten Gegenstände gewinnen für den Betrachter längst ein Eigenleben.
Das zeigt Aertsen noch deutlicher in einem Marktstück, das im Frankfurter Städel hängt und „Jesus und die Ehebrecherin“ heißt, die man im Bild weit hinten kaum mehr erkennt. Denn das Marktleben ist es, das Aertsen hier zeigen will und den Honigtopf zwischen den Beinen eines Marktweibes genauso zu einem Beispiel für sündige Frauen macht, wie der klapprige Alten, der das Geflügel aufgespießt als Andeutung auf ’Vögeln` herhalten muß. Noch sprechen die Gegenstände ihre eigene Sprache und auch wenn das Christliche im Hintergrund verschwindet, dominiert die Moral im Vordergrund.
Das ändert sich dann bei Aertsens Neffe Joachim Beuckelaer 1568 ganz offen. Das Bild heißt „Schlachterladen“ und zeigt genau diesen in einer Deutlichkeit, die uns, den Zivilisierten, die das Fleisch zwar essen, aber den abgezogenen Rinderkopf und die abgehackten Schweinsfüße dennoch nur mit einem Grausen betrachten, deutlich machen, wie verlogen unser eigenes Tun ist. Dieses Bild aus Neapel zeigt einerseits die Lust am Malen, auch am Schockierenden und einen solchen Drang, die Fleischstücke geradezu lebensecht naturalistisch zu präsentieren, das dies als Motiv für den Maler schon genug wäre. Die Szene im Hintergrund, wo geputzt, aber auch gefummelt wird, zeigt, daß der Reichtum im Vordergrund hart von den Armen erarbeitet wird. Wenn nun im Katalog ausgeführt wird, daß hier „die zunehmende Kommerzialisierung der Fleischwirtschaft“ das Thema sei, muß man hinzufügen, daß auch die Ambivalenz des Begriffes Fleisch eine Rolle spielt. Denn der christliche Bezug bleibt genauso wie die Tatsache, daß am Fleischgenuß sich die Menschheit in die Armen und die Reichen teilte. Fleisch war immer etwas für die Besseren oder für den Sonntag. Und behielt als lebendiges Fleisch den sündigen Aspekt.
So könnte man als einen Strang in der Ausstellung sich auf Fleisch konzentrieren und die Räume auf der Suche danach durchwandern. Man wird immer wieder fündig, erst recht im dafür eingerichteten Raum, der dem Fleisch vorbehalten ist. Daß die ausgeweideten Ochsen und hängenden Kadaver ein durchgängiges Bildmotiv sind, zeigt Maerten van Cleves Gemälde von 1566, der auch noch das Hackbeil zeigt, mit dem eben der Hausbursch den Ochsenkopf abhackte, der in der Schüssel liegt, während sich die Frau um die Gedärme kümmert, der Mann einen trinkt und die Kinder mit der Blase spielen. Der Hund dagegen hat wohl noch nicht mitbekommen, daß sein Feind tot ist und knurrt diesen an. Die vielen modernen Bildbeispiele variieren dies nur.
Wir kümmern uns derweil um das Gemüse und Obst, was ebenfalls am Eingang als zweiter Zugang zur Ausstellung im Kopf des Gemüsegärtners von Arcimboldo eine Rolle spielt. Denn dieser Hofmaler aus Italien hat dessen Physiognomie aus den Bestandteilen seiner Arbeit zusammengesetzt. Das sieht man im Bild mit eigenen Augen, aber das beleuchten die Vergrößerungen im Katalog noch einmal in die Richtung, daß Arcimboldo tatsächlich mit wissenschaftlicher Präzision die Gegenstände malt, die im Zusammenhang gesehen dann den Eindruck des Gesichts ergeben, eigentlich aber im Naturzustand verbleiben. Das üppig Haar sind die Blätter, der Helm eine umgedrehte Schüssel, die Augen bestehen aus Nüssen, Zwiebel, Rübe und Rettich werden zu Wangen und Nase, erinnern aber auch deutlich an das männliche Genital, ein beliebtes Thema der zeit, inwieweit Analgien zwischen Naturformen und Gesichtsteilen herrschten.
Da haben wir nun ordentlich eine Herleitung für diese Ausstellung „Augenschmaus“ geliefert, die dennoch den Sinnfreuden beim Anschauen der Bilder von Max Beckmann, Christian Ludwig Attersee, Piere Bonnard, Georges Braque, Paul Cézanne – er vor allem!!!, aber auch Chardin!, Lovis Corinth, Damien Hirst, Oskar Kokoschka, Maria Lassnig, Paula Modersohn-Becker, Berthe Morison, Koloman Moser, Picasso, Chaim Soutine, Daniel Spoerri, dem wunderbar durchsichtig malende Sébastian Stoskopff und so vieler anderer nicht andeuten kann, die man mit eigenen Augen anschauen muß, denn ein echter Augenschmaus läßt sich nicht mit Worten weidergeben, den muß man probieren: in Wien im Kunstforum.
Ausstellung: bis 30. Mai 2010
Katalog: Augenschmaus. Vom Essen im Stilleben, hrsg. von Ingried Brugger und Heike Eipeldauer, Prestel Verlag 2010
Unbedingt zum Mitnehmen zu empfehlen, als Ersatz für die Ausstellung auch. Die Bilder sind zum Aufessen, nein, natürlich nicht alle, die grauslichen mit den Fleischstücken lassen wir im Band, der zudem für diese und fürs Gemüse und das Obst auch, einige Rezeptbeispiele bringt, die auszuprobieren, wir noch keine Zeit hatten. Machen Sie es.
Internet: www.bankaustria-kunstforum.at