Die in Frankreich an der Macht stehenden Sozialisten um Präsident François Hollande kritisieren offen Berlins Sparpolitik und schieben Bundeskanzlerin Angela Merkel persönlich die Schuld für die Schuldenkrise in der Eurozone zu. In Berlin räumt man seinerseits ein, dass Merkel und Hollande einen beiderseitig nützlichen Dialog nicht einleiten konnten bzw. wollten.
Eine neue Eskalation zwischen den Deutschen und Franzosen löste der in die Medien geratene Entwurf eines Programms der französischen Sozialisten aus, in dem die von Berlin initiierten Sparmaßnahmen als „schädlich für Europa“ und Merkel als „ungefügige Egoistin“ bezeichnet wurden.
Der sozialistische Vorsitzende des Parlamentsunterhauses, Claude Bartolone, goss zusätzlich Öl ins Feuer, indem er sagte, die Franzosen sollten keine Angst vor einer Konfrontation mit Deutschland haben und ihre nationalen Interessen verteidigen.
In Berlin wurden diese Aussagen nahezu als Kriegserklärung bewertet – die ersten Staatspersonen hatten sich noch nie dermaßen offen gestritten.
Hollande habe selbst Anlass für Kritik gegeben, als er in einem Interview Anfang April von Schwierigkeiten in den Freundschaftsbeziehungen mit Deutschland sprach, sagte die Frankreich-Expertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Claire Demesmay. Zu der jüngsten Aussage Bartolones sagte sie, alles wäre halb so schlimm gewesen, wenn er nicht die dritte Person im Staate Frankreich gewesen wäre.
Zum letzten Mal war die Rhetorik zwischen Berlin und Paris in den frühen 1990er-Jahren dermaßen aggressiv gewesen, als die Franzosen die Position der Deutschen in Bezug auf die Euro-Einführung kritisierten. In beiden Fällen gehe es um den Kampf um die EU-Führung, so Demesmay weiter. Zugleich verwies sie auf eine Art Minderwertigkeitskomplex der Franzosen angesichts der deutschen Einflusskraft in Europa.
Die Expertin stellte zwar fest, dass Merkel und Hollande bei ihren Treffen keine gegenseitige Antipathie zeigen, aber ein deutsch-französisches Tandem wie zu Sarkozys Zeiten komme nicht in Frage. Die Sozialisten in Paris haben kein Verständnis für die von Berlin gepredigte Sparpolitik. Falls Hollande aber in den kommenden Monaten keine Reformen zur Sanierung der französischen Wirtschaft beginne, könnte das schlimme Folgen für Paris’ Beziehungen zu Berlin, aber auch für die allgemeine Situation in der Eurozone haben, warnte Demesmay.
Hollandes Aktivitäten in Richtung Deutschland könnten aber für ihn selbst böse enden. Er hat damit sogar bereits eine Spaltung innerhalb der Partei ausgelöst. Innenminister Manuel Valls, der den rechten Flügel der Sozialisten vertritt, nannte die jüngsten Aussagen seiner Parteikollegen „verantwortungslos, demagogisch und schädlich“. Hollandes Gegner aus der Union für eine Volksbewegung (UMP), Jean-François Copé und Ex-Premier François Fillon, traten mit ihrem ersten gemeinsamen Kommuniqué auf, in dem sie Hollande „Deutschland-Phobie“ vorwarfen und ihn für die „erschreckende Verschlechterung der deutsch-französischen Beziehungen“ verantwortlich machten.
RIA Novosti