Das zeigt dieses Geburtstagswochende von früh bis spat. Es ging los mit der Eröffnung des Struwwelpeterpfades, wo man die einzelnen Figuren durch Installationen auf den jeweiligen Ort bezieht. Ab 10 Uhr wurden durchgängig Führungen zur Hauptausstellung der Festlichkeiten im Historischen Museum geboten, in der Zentralbibliothek wurde vorgelesen. Historiker Björn Wissenbach, der schon den Frankfurter Hauptfriedhof zu einer lebendigen Kulisse für Hoffmann herbeigeredet hatte, machte einen „Stadtspaziergang zu Hoffmanns LebensWEg“, der nicht nur 3 Stunden dauerte, sondern „gute Kondition erforderlich“ voraussetzte. Und dann endlich um 16 Uhr im Kaisersaal im Rathaus Römer der Festakt zum Heinrich Hoffmann Sommer 2009, nicht für Krethi und Plethi, denn da hieß es: „Nur auf besondere Einladung“.
Stadtoberhaupt Petra Roth begrüßte und wurde eingerahmt durch musikalische Zwischenspiele vom Komponisten Wilhelm Speyer, eines nach einem Text von Heinrich Hoffmann. Kulturdezernent Felix Semmelroth sprach dann zur Konzeption dieses Heinrich Hoffmann Sommers, der allein acht Ausstellungen bringt.“ Unser Ziel jedoch, Hoffmann nicht nur als großen Kinderbuchautor zu ehren, sondern auch als herausragende Persönlichkeit der Frankfurt Stadtgeschichte in seinen eben genannten vielfältigen Tätigkeiten und Errungenschaften darzustellen, verwirklichen wir in zwei großen Schauen, der neuen Dauerausstellung im Struwwelpeter-Museum, die auch nach dem Ende des Heinrich Hoffmann Sommers bestehen bleibt, sowie unter dem Titel „Peter Struwwel –Heinrich Hoffmann“ im Historischen Museum. In diesen Häusern läßt sich die Lebensgeschichte Hoffmanns nachverfolgen.“ Zu dieser gehört die Initiierung einer neuen „Anstalt für Irre und Epileptische“, die Hoffmann als sein eigentliches Lebenswerk ansah.
Tja, was hätte Heinrich Hoffmann selbst zu seiner Ehrung gesagt? Wir meinen, am besten hätte ihm die Vertonung seines „Friederich“ gefallen, allerdings nur aus dem Munde von Cornelia Niemann, die Thorsten Larbig am Klavier begleitete. Da kommt das Plakative genauso zum Ausdruck, wie die Musikalität, die der Text sogar ohne Musik hat. Eine gute Einstimmung für die Festrede, die Professor Hans-Heino Ewers, Direktor des Instituts für Jugendbuchforschung der Johann Wolfgang Goethe Universität, hielt. Sein Motto: „Der Schlingel hat die Welt erobert – ganz friedlich“, die er eine Lobrede auf den Frankfurter Arzt und Struwwelpeter-Autor Heinrich Hoffmann anläßlich seines 200. Geburtstags nannte. Als Wichtigstes nannte er vorneweg: Bei so viel Reden sind Wiederholungen unvermeidlich, aber diese sind Grundlage jeglicher Didaktik, erst recht bei Feierstunden. Dies gilt im übrigen auch für Artikelfolgen zum Heinrich Hoffmann Sommer. Außerdem kann man das gar nicht oft genug wiederholen, wie zufällig dieser gedruckte Struwwelpeter zustandekam – er verdankte sich der gemeinsamen Vereinsarbeit in der Gesellschaft Tutti Frutti, wo unter dem Spitznamen Spargel der Verleger Loening dem Kollegen Zwiebel – der angesehene Heinrich Hoffmann – den Antrag auf Druck gleich nach der Zeichnung vom Dezember 1844 offerierte und schon 1845 druckte, erst in geringer Auflage, dann ohne Unterlaß.
Ewers verfolgte die Lebensschritte, denen auch wir in den Artikeln nachgegangen sind, wobei nie fehlen darf, daß Hoffmann anläßlich eines Jahrestag seiner Arzttätigkeit, die für ihn sein Lebenswerk darstellte, resignativ und dennoch zufrieden äußerte: „Erfolg ist immer da, wo wir ihn am wenigsten erwartet haben“, und spielte damit natürlich auf den Struwwelpeter an. Hoffmann hielt nicht nur seine psychiatrischen Anstrengungen, vom direkten Patientenkontakt bis zum Neubau des Irrenschlosses auf dem Affenstein, für bedeutender als sein Schriftstellerwerk, sondern dann innerhalb dessen seine Poesie und auch seine Komödie und andere Schriften für sehr viel bedeutsamer als ausgerechnet den Struwwelpeter. Aber, das Lesepublikum hat anders entschieden und von heute her, zu Recht.
In den anschließenden privaten Diskussionen bei einem Glas Wein galt: Hoffmann ist etwas fast Archaisches gelungen. Er hat ohne die wissenschaftlichen, hier psychologischen und psycho-analytischen Erkenntnisse von heute, das in Reime gebracht, was Kindern Angst oder Lust macht, ihren Trotz genauso hervorruft, wie ihre zerstörerisches Triebe ausagieren läßt. Mit den Konsequenzen des Lebens. Da geht es nicht um aufgesetzte Moral, die die Menschen, auch kleine Kinder, besser machen möchte als sie sind, sondern schlicht um den Realitätssinn, der für Kinder geschult werden muß, damit sie nicht aus Versehen großes Unglück erleiden. Gleichzeitig ist Hoffmann von tiefem demokratischen Gefühl getragen, auch wenn er 1848 für den preußischen König als neuen deutschen Kaiser eintrat und auch später das deutsche Reich unter der Führung der Hohenzollern begeistert begrüßte.
Nein, hier geht es nicht um Politik, sondern um das Grundgefühl Hoffmanns, daß Menschen gleiche Rechte haben, was der hl. Niklas so wunderbar mit der schwarzen Tinte demonstriert. Ewers ging ausführlich auf die Ausstellung des Historischen Museums ein, die einen dezidiert wissenschaftlichen Hintergrund hat, in der die Wirkungsgeschichte vom Kopf auf die Füße gestellt werde. Dabei ging Ewers auch auf den kulturpolitischer Streit ein, der in der Ägide Hoffmanns als Städeladministrator am Städelschen Kunstinstitut von 1841 – 1856 ausbrach. Wie, was? Neben all den anderen gesellschaftspolitischen Aktivitäten kümmerte sich Hoffmann auch noch um Kunst? Nicht nur das, er kümmerte sich auch um die zahlreichen Künstler in der Stadt, mit denen er vielfach befreundet war. Ausführlich geht darauf der Begleitband zur Ausstellung ein. Kurzgesagt geht es um folgendes: Führende Kunstrichtung waren die Nazarener, die nach Rom geeilt waren, um den Stil der Maler vor Raffael nachzuahmen und mit ihrer Malerei auch das katholische Element zu feiern.
So hatte Städeldirektor und nazarenischer Maler Philip Veit durch Rücktritt auf den maßgeblich durch Hoffmann initiierten Ankauf des „Johann Hus vor dem Konzil von Konstanz“ von Carl Friedrich Lessing reagiert, der für das hauptsächlich evangelische Frankfurt ein Gegengewicht schaffen sollte zu den beiden katholischen Nazarenerwerken „Der Triumph in der Religion in den Künsten“ von Johann Friedrich Overbeck und „Einführung der Künste in Deutschland durch das Christentum“, das Veit selbst schuf. Den Einsatz von Heinrich Hoffmann kann man gut verstehen, für ihn selbst kam hinzu, daß er dies auch aus eigenem protestantischen Ethos für richtig hielt: „den hierarchischen Katholizismus, den hasse ich“. Ansonsten aber hielt Hoffmann die Religion für eine Privatsache, die keinen Einfluß auf öffentliche Ämter haben dürfe und er hat sich Zeit seines Lebens so verhalten und trat aus der Freimaurerloge aus, als die in Frankfurt begann, keine Juden aufzunehmen, bzw. dieselben auszuschließen. Er war also ein rechter Demokrat dieser Heinrich Hoffmann, auch wenn er politisch die konstitutionelle Monarchie befürwortet.
Ganz im Gegensatz zu seinem Studienfreund Friedrich Hecker, der plötzlich vor der Festversammlung steht, und in Revoluzzergewandung einlädt in die benachbarte Ausstellung zu „Peter Struwwel“, wie sich Hoffmann als politischer Mensch auch nannte. Und da erlauben sich die Veranstalter einen kleinen, aber einsehbaren Scherz. Denn auch Heinrich Hoffmann ist da! Aber als ehrwürdiger Alter mit weißem Haar, der versucht den jugendlichen Hecker niederzureden. Aber Revolutionäre bleiben halt ewig jung, denkt man sich. Und als dritte im Bunde, das Paulinchen, just wie dem Bilderbuch entstiegen und mit roten Backen, das etwas älter gewordene Mädel erfreut auch nach dem Museumsbesuch durch seine traurige Moritat mit hinreißendem Miauen und Mioen.