Finanzkrise als erster Crash der internationalen Dienstleistungswirtschaft

Brasilien, Mexiko, China, Indien: diese Länder kennen aktuell keine Finanzkrise. Hauptproblemgebiete sind in Sachen Finanzkrise Nordamerika und Europa. Voneinander lernen könnte viel bringen! Am besten in systematischer Form. Und das heißt, dass Jugendliche lernen und üben sollten – z.B. im Rahmen von Auslands-Studiensemestern – miteinander umzugehen, da sie im Beruf und überhaupt im späteren globalisiert funktionierenden Erwachsenenleben auf das gegenseitige internationale Verstehen und miteinander Leben angewiesen sein werden. Das Wortspiel „Inder/Kinder“ erübrigt sich von selbst, die „gelbe Gefahr“ wird zum Rettungsanker der dümpelnden europäischen und US-amerikanischen Wirtschaft.

Nur müßte diese Erkenntnis in den „splendid insolated“ Köpfen der immer noch uneingeschränkt von ihrer einzigartigen Vorreiterstellung in der Welt überzeugten Mehrzahl der Menschen dieser am wirtschaftlichen Abgrund stehenden Erdteilbereiche in Europa und Amerika ankommen! Man betrachte die von lokalen Geschehnissen überfüllten Gazetten der USA, in denen die außeramerikanischen Ereignisse nicht zu existieren scheinen, die Migrationsdiskussionen in Deutschland, die klar machen, daß hier noch lange nicht von den weltweiten Verflechtungen in Politik und Wirtschaft gelernt worden ist: Kennzeichen ist das Ignorieren der tatsächlich einzigartig wesentlichen globalen Interdependenzen der Mehrzahl der Menschen.

Das war schon einmal anders: Die USA waren das Land der unbegrenzten Möglichkeiten, Deutschland mit vielen Nobelpreisträgern bewundertes Land der Technik und bereits seit Beethoven, Bach, Schiller und Goethe auch der Kultur; heute hat sich diese besonders in einer Richtung ausgeprägte Haltung des Verstehens und Achtens leider nicht mehr erhalten, auch nicht in ausgeglichener, abgewandelter Form gegenseitigen Verstehens. Das muß alles noch wachsen! Erst wenn die Menschen von der Globalisierungsidee „mitgenommen“ werden, haben die auf dem Unverständnis der Betroffenen und der kriminellen Energie der Krisen-Gewinnler beruhenden wirtschaftlichen Katastrophen-Szenarien keine Chance mehr.

Wie weit der Alltag in Deutschland heute noch von diesem Unverständnis geprägt ist, läßt sich an vielen Dingen erkennen. In Berlin spricht man von den „drei A“s, die umgangssprachlich in einen Topf geworfen werden: Arbeitslose, Ausländer, Asoziale. Alles „Nicht-Normale“ wird als zumindest merkwürdig empfunden. Dazu gehören eben auch viele Ausländer, die wegen sprachlicher Mängel, Hautfarbe oder sonstiger Besonderheiten „auffallen“. Diesen sozialen Makel gibt es tatsächlich heute noch, als kaum erträgliches Negativum für die Betroffenen. Trotz aller Integrationsbemühungen vieler politisch Verantwortlichen.

Besonders deutlich wird das im beruflichen Alltag, wie z.B. auch in Schule und Hochschule: Mir wird dabei das Beispiel eines indischen Hochschullehrers bewußt, der als Werkstoffexperte von einem wissenschaftlichen Institut an eine Hochschule einer norddeutschen Metropole wechselte, in der er wegen seiner sprachlichen Auffälligkeit – er sprach „nuschelnd“ in seinen Bart hinein – bei den Studierenden einen schweren Stand hatte und von den Kollegen offensichtlich herablassend behandelt wurde. Trotz der fachlich einwandfreien Qualifikation. Er sah wie „Mahatma“ aus, wurde als Außenseiter behandelt und hatte massive Integrationsprobleme. Noch nach zehn Jahren Tätigkeit in der Hochschule war er stark isoliert, eigentlich nur gestützt von seiner Familie, die ihn dann in seiner plötzlich auftretenden Erkrankung stützen konnte.

Das ist kein Einzelschicksal! Das kann noch schlimmer kommen: man stelle sich diesen indischen Hochschullehrer an einer bayerischen Hochschule vor, mitten in der Provinz in einer der vielen kleinen Hochschulstädte. „Mahatma“ wird dort mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zwar freundlich begrüßt, aber dann sofort alleine gelassen. Er muß alles erfragen, vieles erahnen, das Bringen von Information scheint nicht zu den Gepflogenheiten der Wissenden zu gehören. „Mahatma“ wird auch sicher nicht bevorzugt behandelt oder besonders unterstützt, sondern argwöhnisch beobachtet und als Opfer-Subjekt möglichst ausgeschlachtet, d.h. seine Rechte werden systematisch auf ein Minimum reduziert – vielleicht nur, um die „Machtposition“ der Alteingesessenen zu unterstreichen. Für „Mahatma“ ist es mühsam bis unmöglich, sich dagegen zu wehren. Leistungsstärke führt zwar u.U. zur Anerkennung, häufig aber gepaart mit ungläubigem Staunen über die offensichtlich unerwartete Leistung: kann doch nicht sein, daß dieser Ausländer mehr kann als wir.

Das Wachsen einer Integrationskultur scheint angesagt! Zuerst einmal Achtung vor allem Fremdartigen, Absage an eigene Überheblichkeit. Freude darüber, daß der „Andere“ gekommen ist und seine mit Sicherheit auch „bereichernde“ Anwesenheit schenkt. Verpflichtung zu Toleranz und zur Betreuung, vor allem in der Phase der Eingewöhnung, die meist über viele Jahre andauert. Die Hinwendung zum anfänglichen Gast, der später ein Partner werden kann, ist Voraussetzung zum Verständnis seiner kulturellen Hintergründe und gibt auch ihm die Möglichkeit, sich einzuleben und die Kultur seiner neuen Umgebung zu erkennen und mit ihr umzugehen.

Hans-Joachim Wefeld, Hochschullehrer für Betriebswirtschaft an der Beuth-Hochschule für Technik Berlin und Betreuer des dortigen Historischen Archivs, hat in einer Darstellung zur Siebenhundert-Jahr-Feier Berlins darauf hingewiesen, daß bereits 1870 an der vom preußischen Staatsminister Beuth initiierten späteren Beuth-Akademie ein Auslands-Semester zum „normalen“ Studienablauf der dortigen Ingenieurstudenten gehörte, das von ca. 70 % auch tatsächlich realisiert wurde. Das war Ausdruck der Aufgeschlossenheit gegenüber „dem Ausland“ und Basis des Aufschwungs deutscher Technik und der damit verbundenen wirtschaftlichen Entwicklung des Landes.

Heute ist das Verständnis für die Notwendigkeit einer funktionierenden Integrationskultur noch viel zu sehr im Theoretischen stecken geblieben, um befruchtend für die anspruchsvolle Situation der EURO/DOLLAR-Krise zu wirken. Die Zeit drängt, die positiven Erfahrungen der zur Zeit wirtschaftlich stabilen Nationen für die demokratisch erprobten und in diesem Punkt einzigartigen Länder Europas und Nordamerikas nutzbar zu machen. Banken- und Währungskontrolle muß jedenfalls sein und sollte auch auf demokratische Art und Weise realisierbar sein.

Die Finanzwirtschaft ist Teil der Dienstleistungswirtschaft, die heute kennzeichnend für die global funktionierenden Wirtschaftsbeziehungen zwischen Unternehmen und Nationen sind. Gemeinsame Erforschung dieser Zusammenhänge tut not: Mindestens Amerikaner, Europäer, Chinesen und Inder tragen hier gemeinsam die Verantwortung für Initiativen, Programme und Perspektiven.

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