In der Tat hat die EZB seit Beginn der Euro-Krise im Mai dieses Jahres für über 150 Milliarden Euro Schatzbriefe von hoch verschuldeten Ländern gekauft, welche große Investoren wie Pensionsfonds, aber auch Spekulanten wegen der zunehmenden Unsicherheiten loswerden wollten. Damit wurde verhindert, daß der Preis dieser Stsstapapiere total in den Keller geht, was auf den Märkten zu weiteren Panikverkäufen geführt hätte. Die Absicht der EZB hatte ursprünglich darin bestanden, durch einige meist verdeckte Stützungskäufe die Lage zu stabilisieren und die Investoren zu bewegen, die kritischen Schatzbriefe aus Portugal, Irland und Griechenland weiterhin in ihren Portfolios zu halten. Zusätzlich sollte die Stabilisierung durch die bereitgestellten 750 Milliarden Euro für den sogenanntenen EU/IWF-Rettungsschirm für angeschlagene Länder der Eurozone abgesichert werden.
Aber statt Beruhigung ist auf den Märkten das Gegenteil eingetreten, denn die Angst wächst, daß sich die Bevölkerung in den betroffenen Ländern gegen die rabiaten Sparmaßnahmen zur Rettung der Banken früher oder später auflehnen und eine Umschuldung durchsetzen werden. Immer mehr internationale Investoren begannen daher, die von der EZB angebotene Gelegenheit zu nutzen und an diese ohne Verluste die teilweise bereits auf Schrottpapiere herab gestuften Schatzbriefe der drei Länder zu verkaufen. Diese Absetzbewegung wurde durch die von Berlin ausgelöste Diskussion, in Zukunft nicht nur die Steuerzahler, sondern auch die Investoren an den Verlusten zu beteiligen, zusätzlich beschleunigt So spitzte sich die jüngste Irland-Krise früher als von vielen erwartet zu.
Nachdem diese Strategie zur Beruhigung der Märkte für die genanntren Schatzbriefe gescheitert ist, sieht sich die EZB mit einem Dilemma konfrontiert: Wenn sie den Ankauf der Schatzbriefe einstellt, dann riskiert sie die unkontrollierte Flucht aus diesen Papieren auf den Märkten, mit möglicherweise verheerenden Folgen für den Finanzsektor. Wenn sie ihre eigentlich statutenwidrige Politik des kontrollierten Ankaufs aber fortsetzt, dann riskiert die EZB, von einem wachsenden Berg von Schrottpapieren erdrückt zu werden. Im Fall einer Umschuldung der betroffenen Länder würden hohe Verluste auf sie zukommen, die dann von den großen Staaten wie Deutschland und Frankreich getragen werden müßten.
Am Dienstag suchten die EU-Finanzminister in Brüssel einen Ausweg aus dieser Sackgasse. Angesichts der Turbulenzen auf den Märkten und der schlechten Nachrichten aus Portugal wurde von einigen Teilnehmern gefordert, den 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirm zu vergrößern. Auch der zur gleichen Zeit in Athen weilende IWF-Chef Strauss-Kahn verlangt von der EU, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen, um die Euro-Krise zu meistern. Er will eine »umfassende Lösung für dieses Problem«, denn das bisherige Stückwerk sei »nicht gut«.
Diese »umfassende Lösung«, die auch vom Vorsitzenden der Gruppe der Euro-Staaten, Jean-Claude Juncker, und dem italienischen Finanzminister Giulio Tremonti unterstützt wird, sieht die Finanzierung der kritischen Staatsanleihen durch gemeinsame »E-Bonds« vor, um spekulativen Angriffen auf einzelne Ländern einen Riegel vorzuschieben. Doch von gemeinsamen Schatzbriefen will vor allem die deutsche Regierung ebensowenig wissen wie von weitergehenden Garantien. Offiziell werden derartige Maßnahmen schlicht für überflüssig erklärt.
Selbst der sonst so konziliante Jun cker reagierte darauf ungewohnt barsch und warf der deutschen Regierung vor, »ein bißchen simpel« zu denken und »eine uneuropäische Art, europäische Geschäfte zu erledigen« an den Tag zu legen. Offensichtlich liegen die Nerven der Eurokraten blank, weil eine einvernehmliche, nachhaltige Lösung der Euro-Krise nicht in Sicht ist. Auf den Märkten wird das aufmerksam registriert: Schon Stunden nach Bekanntwerden der scheinbar unüberbrückbaren Differenzen begannen die Zinsen für spanische Schatzbriefe einen erneuten Höhenflug. Die dahinterstehenden Ängste sind durchaus real. Allein spanische Banken haben noch nicht abgeschriebene faule Kredite des bankrotten Immobiliensektors im Nennwert von 630 Milliarden Euro in ihren Büchern.
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Erstveröffentlicht in junge Welt am 10.12.2010, Seite 9.