Wir befinden uns im Jahr 1915, der Erste Weltkrieg tobt, die SPD, verkommen wie eh und je, bewilligt jubelnd mit allen anderen Parteien weitere Kriegsanleihen, während im Feld der deutsche Michel verreckt. Erich Mühsam, erfolgreich ausgemustert, kann endlich Mitte des Jahres den Tod seines Vaters beweinen – und sein Erbe antreten. Seit Kriegsbeginn von Beruf Sohn, da niemand mehr seine Texte oder Gedichte druckt, er auch vor lauter Nervenleiden und Kopfzerbrechen kaum zu Dichten kommt. Doch er polemisiert in seinem Tagebuch und bei diversen Kneipen-Kegel- und heimlichen Diskussionsabenden leidenschaftlich gegen den Krieg. Er ist eindeutig dagegen. Da die Zensur ist allen Schädlingen der Wehrkraft auf der Spur ist, muss er vorsichtig sein, zumal sich öffentlich nur wenig Stimmen gegen den Krieg äußern. Und wenn sie sich äußern, wie z.B. Karl Liebknecht, Clara Zetkin und Rosa Luxemburg, sehr schnell die deutschen Knäste von innen kennen lernen.
Frauen bestimmen nach wie vor Erichs Leben, penibel wird jeder Koitus festgehalten, er ist aber auch ständig in Liebe entbrannt! Bis er eines Tages seine Zenzl trifft, mit der er, dank Vatis Geld, tatsächlich 1915 eine eigene Wohnung bezieht und mit der er in den Stand der Ehe treten kann. Denn andernfalls wäre ihnen die Sittenpolizei auf den Pelz gerückt.
Mühsam ist in seinen Tagebüchern eine überaus ehrliche Haut, die sich selbst nie schont. Das macht die Lektüre auch im dritten Band zu einem Ereignis. Ich bin gespannt auf den 5. Teil, der noch im August erscheinen soll.
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Tagebücher: Band 4. 1915, Erich Mühsam, 479 Seiten, Verbrecher Verlag, Berlin 2013, 28 Euro