Erdogan und die Paranoia

Erdogan und der Daimler.
© 2017, Karikatur: Marian Kamensky

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Erdogan, der Türke aus Ankara, hat wieder zugeschlagen. Mehr und mehr gewinnt man das Gefühl, der Kerl leidet unter akuter Paranoia. Wenn ein Erpresser den Erpressten zum Erpresser erklärt, ist das ein wenig verwirrend. Nun ja, wollen wir ihm zugestehen, dass er in diesem Zustand glaubt, er sei der Größte.

In der Vergangenheit wurden im türkischen Sultanat 5 Nachrichtenagenturen, 22 Fernsehsender, 27 Radioanstalten, 61 Zeitungen, 17 Magazine und 33 Verlage unter staatliches Kuratel genommen oder geschlossen. Im Anschluss säuberte der wahrscheinlich unter schwerem Verfolgungswahn leidende Osmane Universitäten von Professoren und an die Tausend Schulen von ihren Lehrern. Jetzt sind die bislang verschonten Kritiker vom Amnesty International im Visier. Nun ja, wer braucht schon Lehrer und Schulen, wer braucht schon kritische Zeitungen, wird er sich gesagt haben, dieser Erdogan. Hauptsache, mein Volk bleibt so blöde wie es ist und liebt mich. Die anderen sperre ich weg. Das ist in vielen anderen Ländern nicht anders. Wir haben Staatsfernsehen, Döner und Polizisten, mehr brauchen wir nicht.

Im Zusammenhang mit dem Putschversuch in der Türkei vor einem Jahr sind dort nach Erkenntnissen der Bundesregierung bislang 22 deutsche Staatsbürger festgenommen worden. Aktuell seien noch neun von ihnen in Haft. Darunter sind der deutsch-türkische „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel und die deutsche Journalistin und Übersetzerin Mesale Tolu Corlu. Gewiss, im Verhältnis zu 150.000 Eingekerkerten oder entlassenen Staatsdiener ist das ein Klacks. Aber seitdem macht sich Frau Merkel große Sorgen um die Türkei, deren Demokratie und deren Pressefreiheit.

Ja, ja, da darf man sich schon mal Sorgen machen, wenn im Land des Kümmels und der Teppichhändler plötzlich verkündet wird, die Einführung der Todesstrafe mit Hochdruck voranzutreiben. Das waren noch Zeiten, als das Ausstellen von Haftbefehlen, Durchsuchungsbeschlüssen oder Abhörgenehmigungen in einem Rechtsstaat, wie sich die Türkei nennt, alleine Richtern bzw. Staatsanwälten vorbehalten war. Und da kann man sich auch schon mal grämen, wenn unsere Regentin als Nazischlampe bezeichnet wird.

Nun ja, nicht von ungefähr bedeutet der Terminus „türken“ im deutschen Sprachgebrauch „betrügen, fälschen oder fingern“. Wenn jetzt auch noch deutsche Großunternehmen bezichtigt werden, den Putsch in der Türkei zu unterstützen, dann wird es nicht mehr lange dauern, dass im Osmanischen Reich sämtliche christlichen Kirchen abgerissen werden. Wahrscheinlich dürfen ab nächste Woche keine Autos deutscher Produktion in Ankaras und Istanbuls Straßen mehr bewegt werden. Selbstredend könnte man auch die deutschen Autobauer in der Türkei annektieren und zu türkischen Staatsbetrieben erklären, derweil unsere Politelite hinter verschlossenen Türen darüber beratschlagt, ob man den Kümmeltürken neuerlich ermahnt oder ihm gar eine unmissverständliche, diplomatische Note überreicht.

Welche Konsequenzen also wird Siggi, unser begnadeter Außenminister, nun ziehen? Ab sofort dürfen türkische Teppiche nicht mehr eingeführt werden. Des weiteren wird der Verzehr von Döner strikt untersagt und Teestuben rigoros geschlossen. Und wenn das nichts nutzt, wird Frau Merkel zum Äußersten greifen und diesem Despoten androhen, sämtliche deutsche Rentner nach Antalya zu deportieren. Die sind bei uns ohnehin nur eine Belastung. Unsere Versorgungskassen sind leer und der herkömmliche Rentner hat nur noch in Ländern wie der Türkei eine realistische Chance, einigermaßen in Würde zu altern. Die Mieten und Lebenshaltungskosten sollen dort noch günstig sein, wie man hört. Da wird der Türke schon sehen, was er davon hat.

Wie man hört, hat Siggi seinen Urlaub abgebrochen und die ganz harten Bandagen angezogen. Er hat eine Reisewarnung für Touristen ausgesprochen. Da wird der Sultan am Bosporus bestimmt angstschlotternd in die Knie gehen. Was will der Außenminister tun, wenn der wild gewordene Despot jäh vergisst, dass er vor kurzem 3 Milliarden Euro aus Deutschland erhalten hat, um uns bei dem Flüchtlingsproblem zu unterstützen? Welche Druckmittel stehen ihm zur Verfügung, um Erdogan die blanke Furcht in die Augen zu treiben. Mit der Warnung, die Überweisung der Eurogelder auf den Prüfstand zu stellen sicher nicht.

Mir würde da so Einiges einfallen, aber ich darf ja nicht. Immerhin, das Auswärtige Amt hat umgehend reagiert. Bereits am Mittwoch war der türkische Botschafter einbestellt worden. Dabei wurde ihm nach Angaben des Ministeriums „klipp und klar“ mitgeteilt, dass die Verhaftungen Steudtners und fünf weiterer Menschenrechtsaktivisten in Istanbul „weder nachvollziehbar noch akzeptabel“ seien. Alle Wetter! Das wird die Herrschaften tief getroffen haben. Ja, es gäbe einen ganzen Köcher von Maßnahmen, mit dem man dem wild gewordenen Herrscher über Teppiche und Kümmel klarmachen könnte, was man von seinen irrsinnigen Aktionen hält.

Was tun?

  • Abzug aller Soldaten aus der Türkei
  • Rauswurf aus der Nato
  • Stopp aller Waffenlieferungen
  • Hermes-Bürgschaften kappen
  • Abzug von deutschem Kapital
  • Einstellung von Zahlungen an die Regierung
  • Einstellung der Verhandlung über Außenhandel
  • Beendigung der Doppelpässe für Türken
  • Schließung türkischer Banken in Deutschland

Ich fürchte nur, es läuft wie immer. Wirtschaftliche Interessen vor Menschenrechten. Wenn sich etwas ändern kann, dann nur, wenn der gemeine Türke aufwacht, weil sein Betrieb pleite geht. Aber bis dahin wird’s noch dauern.

Anmerkung:

Die Erstveröffentlichung des Beitrags „Erdogan und die Paranoia“ von Claudio Michele Mancini erfolgte am 21. Juli 2017 im „Scharfblick“.

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