Doch nicht nur die magere Wochenendbilanz gibt den Eisbären Anlass zur Sorge. Auch die Art und Weise der Auftritte säht Zweifel, ob der Titelverteidiger demnächst zur gewohnten Stärke zurückfindet. Die ob ihrer Spielstärke gelobten und gefürchteten Hauptstädter finden derzeit nicht den Faden: Fehlerhaft im Aufbau- und Passspiel, ungenügende Aggressivität in der Abwehr und ineffizient im Angriff. Wenn dann auch noch Torhüter Rob Zepp nicht den gewohnten Rückhalt vermitteln kann, kommt man eben auch gegen Nichtspitzenteams in Schwierigkeiten.
München und Hannover kamen als Liga-Hinterbänkler in die O 2 World. Und beide rangieren nach wievor am Ende des 14-er Feldes.
Wobei Hannover nach zwölf Tagen Wettkampfpause (Halle stand nicht zur Verfügung) und erst zwei Spielen anreiste. Und sieben Gegentoren, zwei Pleiten und erst einem selbst erzielten Treffer! Zudem hat man die Personalkosten reduziert. Cheftrainer Igor Pawlow wurde gar der übliche Ko-Trainer verweigert. Die Eisbären haben zwei davon. Nutzen zudem einen Torwart- und Mentaltrainer.
Dennoch oder vielleicht gerade wegen der angespannten Situation traten die Scorpions entschlossen und fokussiert auf. Egalisierten durch den schlitzohrigen Ivan Hlinka mit dem alten Bauerntrick (hinterm Tor aufs kurze Eck) die 1:0-Führung der Gastgeber durch Tyson Mulock. Und schlossen im zweiten Drittel Konter gegen die mehr oder minder unsortiert anrennenden Hausherren durch Ciernik und King eiskalt zum 1:3 ab. Jeweils mit harten Schüssen über die linke Fanghand des Berliner Torhüters.
"Die hungrigere Mannschaft hat heute gewonnen. Wir haben einfach zu viele Fehler gemacht", gestand der enttäuschte Berliner Cheftrainer Don Jackson. Ob das als Kritik am Kampfgeist seiner Schützlinge zu verstehen sei? – Nein. Gewollt hätte seine Mannschaft, "die hat Druck erzeugt, aber leider nicht genug". Was die Torschuss-Statistik von 49:36 für den EHC bestätigt. "Leider werden wir derzeit dafür nicht belohnt. Wir kreieren Chancen, nutzen sie nicht konsequent. Weil auch momentan das Selbstvertrauen fehlt", so Verteidiger Jens Baxmann. Zehn Jahre ist er im Verein. Half mit, sechs Meistertitel zu erobern. Ist 13-facher Nationalspieler. Doch das 500. DEL-Spiel für die Eisbären war für ihn "ein nicht so glückliches Jubiläum. Wir haben heute einfach schlecht gespielt."
Nach dem Fehlstart in die Saison sei der Erfolg – so auf der Gegenseite Hannovers Trainer – "enorm wichtig gewesen. Wir haben in der Spielpause die Konkurrenz beobachte und wussten, du hast in Berlin nur eine Chance, wenn du die Eisbären mit Zweikampfhärte und Einsatz aus dem Rezept bringst. Das haben meine Männer heute vorbidlich getan. Ich meine, sie haben etwa 60 Prozent der Zweikämpfe für sich entscheiden."
Weil die finanzielle Situation in Hannover nicht gerade zum Besten steht, wird sich dort keine Goldgräberstimmung breitmachen. Im Sinne der Kader-Aufmöbelung mit hochbezahlten Profis aus der nordamerikanischen NHL ist das an der Leine kein Thema. Im Gegensatz zu Klubs in Russland, Schweden, der Schweiz. Oder Mannheim, Krefeld, Nürnberg oder der Zweitligist Crimmitschau, der mit seinem "Jahrhundert-Transfer" von zwei Puck-Millionären für 30 Tage für Aufsehen gesorgt hat…
Eisbären-Manager Peter John Lee, mehr als 400 Mal auf NHL-Eis zugange, verweigert sich bislang ebenfalls diesem Goldgräber-Rausch. Weil man nicht wisse, wie lange der Lockout (Spieleraussperrung) dauere? Wann die NHL spielen werde? Und man möglicherweise mit einer kostspieligen Interims-Lösung der Mannschaft in ihrem Entwicklungsprozess mehr schade als nutze.
Also betreibt er momentan eine Personal-Politik der "ruhigen Hand". Wartet ab. Beobachtet den NHL-Streit und die Leistungen der Eisbären.
Lange dürfte jedoch das Geduldsspiel nicht mehr die beste Reaktion bleiben. Bleiben Erfolge aus, wächst nicht nur der Rückstand bedrohlich an. Die Spieler werden verunsichert. Zweifeln an sich selbst, an den Kollegen, am Spielsystem und möglicherweise am Trainer…und rutschen in eine Art Abwärtsspirale.
Darauf zu hoffen, dass die drei neuen Kanadier das Niveau steigern helfen. Die jungen FASS-Talente sich mehr und mehr etablieren. Und die Langzeitverletzten Constantin Braun, Darin Olver, Dominik Bielke sowie möglicherweise Urgestein Sven Felski (wenn er sein Servus doch aufschiebt) wieder voll bei der Sache sind – dieses Hoffen ist ein unwägbares Risiko.
Auch wenn die Vorrunde mit 52 Pflichtpartien nicht über den Meisterpokal entscheidet, sondern die folgenden Play-offs danach.