Berlin, Deutschland (Weltexpress). Am 1. November dieses Jahres ist des 50. Todestages des Schriftstellers und Regisseurs Pier Paolo Pasolini zu gedenken. Ich hatte das große Erlebnis, ihm während meiner Arbeit als Auslandskorrespondent in Rom (1973 bis 1979) zweimal persönlich zu begegnen, zuletzt wenige Wochen vor seinem schrecklichen Tod. Ich war erstaunt, wie fundiert Pasolini sich zu den 1973/74 bekannt gewordenen neuen faschistischen Putschversuchen äußerte. „Ich weiß die Namen der Verantwortlichen für das, was man Putsch nennt“, hatte ihn der Corriere della Sera am 14. November 1974 zitiert. Er charakterisierte das als „ein System der Herrschaftssicherung“, und verwies auf die „Unterstützung der amerikanischen CIA“ und die „der griechischen Obristen und der Mafia“ und vergaß auch den „11. September 1973 mit dem Putsch in Chile“ nicht.
Pasolini war eine faszinierende Persönlichkeit, an sein hageres Gesicht mit den asketischen Zügen unter dem schwarzen Haar und an den durchdringenden Blick erinnere ich mich noch heute. Seine politischen Gedanken, die er streitbar und manchmal mit einem Anflug von Besessenheit darlegte, waren von einer Scharfsinnigkeit, die kaum einer seiner Genossen in der Kommunistischen Partei (PCI) und schon gar nicht in der Führung aufzuweisen hatte. Seine Homosexualität hat Pasolini nie verheimlicht.
Pasolini wurde Mitte der 1950er Jahre als Schriftsteller mit seinen Büchern „Ragazzi di Vita“ (1955) und „Una Vita violenta“ (1959) sowie durch seine ersten Filme „Accatone – Wer nie sein Brot mit Tränen aß“ (1961) und „Mamma Roma“ (1962 mit Anna Magnani) als Regisseur rasch auch international bekannt. Er schrieb Gedichte und Essays in bildhafter, lebendiger Sprache, verfasste Streitschriften (Freibeuterbriefe, Lutherbriefe, Paulusbriefe) die seine kommunistische Gesinnung bezeugten, aber auch seine Sicht auf religiöse Gefühle ausdrückten, was auch seine verfilmte Matthäus-Evangelisation zeigte. In der Lyrik sind „Gramscis Asche“ (1957 und “Die Nachtigall der katholischen Kirche“ (1958) zu nennen, von den Romanen “Der Traum von einer Sache“ (1962) und „Ali mit den blauen Augen“ (1965). In der Bundesrepublik erschienen viele seiner Werke bei Wagenbach.
In seinem letzten Film “Salò oder die 120 Tage von Sodom“ gestaltete er nach Marquis de Sade fiktiv die grausamen Zustände in einem Gefangenenlager in Salò, dem Sitz des Mussolini-Regimes am Gardasee unter der Okkupation der Hitlerwehrmacht. Den heftig umstrittenen Film, den wir im Auslandspresseklub sahen, prägten Resignation und Lebensekel.
Am Strand von Ostia bei Rom wurde er von mehreren Männern überfallen, schwer misshandelt und dann umgebracht. Der Mord ist bis heute nicht aufgeklärt worden. In seinem preisgekrönten biographischen Roman „In der Hand des Engels“ (1985) verbreitete Dominique Fernandez (Sohn des französischen Literaturkritikers Ramon Fernandez) die Version, der Dichter habe den Tod gesucht. Glaubwürdiger stellte Regisseur Marco Tullio Giordana in seinem dokumentarischen Spielfilm „Pasolini, ein italienisches Verbrechen“, 1996 auf dem Festival in Toronto uraufgeführt, die Tat als einen politisch motivierten Mord dar. Als 30 Jahre nach seinem Tod die Ermittlungen neu aufgenommen wurden, schrieb die Neue Zürcher Zeitung am 12. November 2005, „Faschismus, Mafia und Geheimdienste“ würden als „mögliche Täter identifiziert“. Eine späte Erkenntnis, denn schon in den 1970er Jahren war bekannt geworden, dass der Name Pasolinis zusammen mit anderen linken Schriftstellern, darunter Alberto Moravia, auf den Mordlisten faschistischer Putschisten stand.
Am Vorabend des 40. Todstages von Pasolini legte einer der renommiertesten italienischen Historiker, Giorgio Galli, bekannt durch zahlreiche fundierte Werke zur faschistischen Spannungsstrategie wie „Staatsgeschäfte, Affären, Skandale, Verschwörungen“, Hamburg 1994 und „Il Partito armato. Gli anni di biombo‘ 1968-1986“ (Mailand 1993) über ihn eine Biografie vor, in der er das Bild eines überaus hochgebildeten Kommunisten und Intellektuellen, der auf dem Weg war, ein führender Ideologe zu werden, zeichnete. Er schrieb: „Der Marxismus Pasolinis ist eine zweifellos treue Ableitung aus jenem des Philosophen aus Trier – ein bipolarer Klassenkonflikt, in dem das aufstrebende Proletariat die langsam niedergehende Bourgeoisie herausfordert und letztlich besiegt.“ Galli hat treffend die theoretischen Ansichten Pasolinis herausgearbeitet, der das bürgerliche Staatsmodel, zu dem sich die IKP im „Historischen Kompromiss“ bekannte, als „nur eine Scheindemokratie“ entlarvte; der im Scheitern der Studentenrevolte von 1968 („ein kurzes bürgerliches Strohfeuer“) bereits „ein Vorzeichen für die unmittelbar anstehende reaktionäre Wende“, die in die Ermordung Aldo Moros mündete, sah; der Jahre vor dessen Scheitern die Unmöglichkeit des „Historischen Kompromisses“ voraussagte. Wenn Galli allerdings Pasolini wegen seiner kritischen Haltung zur IKP-Führung einen „Dissidenten der kommunistischen Bewegung“ nannte, musste dem widersprochen werden. Dafür war Pasolini ein zu entschiedener Marxist, der in diesem Bekenntnis die einzige Lösung nicht nur für die Gesellschaft, sondern für die Menschen schlechthin sah (Pasolini- der dissidente Kommunist. Laika Verlag, Hamburg 2014).
Pasolinis Hinwendung zur PCI war der Liebe eines Kindes vergleichbar, das sich nach Zuneigung sehnt. Im Leben oft nicht erwidert, wurde sie ihm im Tode zuteil. Unter den Trauergästen, die zu Tausenden zu seinem Begräbnis kamen, befanden sich viele Parteimitglieder, an ihrer Spitze Generalsekretär Enrico Berlinguer. Alberto Moravia sagte in seiner Totenrede: „Jedes Jahrhundert werden nur drei oder vier Dichter geboren, und wir haben einen Dichter verloren.“
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