Tatsächlich ist es Ernst Ludwig Kirchner, der sich 1924 als „Stehender Maler“ selbst porträtierte, was man – sieht man genau hin – auch am Malerpinsel in der linken Hand sehen kann, der andererseits auch ein Taktstock sein könnte. Denn ein Dirigentenporträt könnte das auch sein, was Kirchner hier mit sich selbst veranstaltet und was als Pose des selbstbewußten und nonchalanten Künstlers unwillkürlich an die Selbstporträts von Max Beckmann erinnert, seien es die früheren oder das spätere von 1927 „Mann im Smoking“. Es ist eine gute Zeit für Kirchner, obwohl er gerade in der Schweiz keine Fortune mit der Anerkennung seiner Kunst hat, wo er in Davos seiner angeschlagenen Gesundheit wegen hauptsächlich lebt, sich dort nach der Verdammnis seiner Bilder in der Nazi-Ausstellung „Entartete Kunst“ auch 1938 umbringt. Es ist also trotzdem eine gute Zeit, denn langsam beginnt er die Schrecken des 1. Weltkrieges zu vergessen oder besser zu verdrängen, als es ihm seit 1915 möglich war, wo er seinen Zusammenbruch als Freiwilliger angesichts der Kriegsgreul in Sanatorien mit viel Rauschgift, als Medizin verabreicht, zu kompensieren suchte.
Ganze 79 Kirchner-Bilder – Gemälde und Graphiken – aus der Sammlung Max Fischer sind in der Staatsgalerie aufgeboten und bilden den eindeutigen Schwerpunkt dieser Ausstellung. Und das ist gut so, denn was derzeiten überall passiert, das ist eine Wiederbelebung des nie toterklärten Expressionismus, der von Übersee bis nach Hause uns vor Augen führt, mit welchen künstlerischen Mitteln auf die Umbrüche eines ganzen Zeitalters reagiert wurde. Das, was schon vor dem 1. Weltkrieg als marode und zu überwinden gemalt wurde, einschließlich der ekstatischen Lebensformen für einige, während das Volk darbte, schuftete und sich dann im Krieg umbringen ließ, und das, was nach dem Kriegsende an Zusammenbruch und Neuanfang aus den Ruinen blühte. Keiner hat die gesellschaftlich virulente Situation so widersprüchlich wiedergegeben wie Ernst Ludwig Kirchner, der zudem auch so lebte. Und wir stehen noch immer vor seinem Selbstproträt, eigentlich schon wieder, denn nach den nervösen Strichbilder wie „Mähende Bauern“ oder „Bauern am Brunnen“ von 1917/19, treten die rosa-grünen Beruhigungen ein wie „Die Brüder Müller“ von 1919, die wir uns alle angeschaut haben, alle 79.
Wie war das also mit Max Fischer, den wir in Kirchners Selbstporträt hineinsahen? Seine Lebensdaten und der Erwerb der Sammlung sind der Ausstellung vorangestellt und auch im Katalog wird „Die ’andere Seite` meines Ichs“ beleuchtet. 1920 erwirbt der 1886 geborene Fischer sein erstes Werk. Erst wird er altmeisterliche Kunst sammeln, aber schon gleichzeitig Max Beckmann, Heinrich Campendonck, Otto Dix, Conrad Felixmüller oder Max Pechstein sowie Oskar Schlemmer. In der Ausstellung kann man dann die Erwerbungsdaten nachlesen und es fällt das auf, was sowohl an der Wand wie auch im Katalog zu den Lebens- und Erwerbungsdaten fehlt und einen fragen läßt: „Was war eigentlich mit der Sammlungstätigkeit im Dritten Reich?“ Das bleibt ausgespart, was schade ist, denn man möchte doch gerne wissen, was einer, der sich so früh der Kunst der Moderne verschrieb, mit seinen Bildern zu der Zeit machte, als diese Kunst verfemt wurde und derartige Künstler Malerverbot hatten, wenn sie nicht gleich sich ins Ausland retteten, was für manche eben keine Rettung wurde.
So wissen wir zu wenig und lesen mit Staunen, wie einer seine beruflichen Erfolge in der prosperierenden Bundesrepublik so ausbauen konnte und doch gleichzeitig persönlich als Sammler kundig und konsequent seine eigene Sammlung Stück für Stück erweiterte, auch in der Gesellschaft Baden-Württembergs eine große Rolle spielte, aber für die übrigen Bundesrepublik als Sammler bisher weithin unbekannt blieb. Man denkt sich sofort, in welchen privaten Gemächern noch Kunstwerke lagern, die von der Öffentlichkeit abgeschlossen werden. Die Erben des Max Fischer taten auf jeden Fall gut daran, diese Sammlung nicht über Auktionen in aller Welt auseinanderzureißen, sondern den Sammler selbst dadurch zu ehren, daß sein Werk geschlossen dem Stuttgarter Museum als Dauerleihgabe überlassen ist. Aus den insgesamt über 250 Werken ist nun diese Ausstellung bestückt.
Kirchner hatten wir schon erwähnt, nicht aber, daß – sehr ungewöhnlich- es auch Handzeichnungen von ihm gibt und innerhalb der bekannten Druckgraphiken eben auch fast unbekannte und selten aufgelegte Blätter. Daß so viele Munchs zu sehen sind, macht Staunen, wie Fischer an diese herankam, aber inhaltlich ist das wichtig, denn sicher stellte der Norweger Munch für die Expressionisten eine wesentliche Anregung dar und man wundert sich heute, wie seine Bilder in Berlin zum Aufruhr führten. In der Vorstellung der „Brücke“ werden dann auch die anderen Mitglieder an den Wänden vorgeführt; viel von Erich Heckel und Karl Schmidt-Rottluff und auch Otto Mueller, dessen kantige Mädchen und Frauen eine eigene Ästhetik besitzen. Was uns heute auffällt, ist, wie schmal der Grat ist, die Bilder von Fränzi und vielen anderen sehr jungen Mädchen nicht als pädophil zu interpretieren.
Nolde ist mit seiner Tänzerin von 1913 vertreten und mit vielen schönen Bildern, die zeigen, daß er ein ganz eigener, aber eben ein Expressionist ist, eine Bezeichnung, die Kirchner für sich vehement ablehnte, auch wenn wir sie ihm genauso vehement verpassen. Natürlich ist auch der Blaue Reiter angemessen vertreten und trotz aller neuzeitlichen Versuche, auch den Malerinnen Werefkin und Münter Raum zu lassen, sind es hier doch wieder die Heroen Kandinsky, Jawlensky, Marc und Macke, die eigene Kapitel haben. Daß Beckmann eine künstlerische Ausnahmeerscheinung war, zeigt sich auch hier in seinem Kabinett und die kleine, aber einsichtige Auswahl der Meister am Bauhaus: Schlemmer, Feininger und Paul Klee zeigt, wie weit ein gemeinsames Kunstverständnis geht, aber auch wie ungeheuerlich die Nationalsozialisten die deutsche Kunst und damit die deutsche Kultur geschädigt hatten, mit ihrem Verdikt der ’entarteten Kunst`. Die Vorstellung, was alles hätte entstehen können, hätten diese Künstler nicht ab spätestens 1933 den Kahlschlag erlebt, bleibt eine der Erkenntnisse, die die Sammlung Fischer uns auf den Weg gibt.
Ausstellung: bis 20.6.2010
Katalog: Brücke. Bauhaus. Blauer Reiter. Schätze der Sammlung Max Fischer, hrsg. von Ina Conzen, Edition Braus 2010. Dem Katalog gelingt ausgezeichnet, diese zusammengetragene Sammlung in den Kontext der kunsthistorischen Bewegungen einzubetten, die sich aus dem Titel ergeben. Es werden also nicht nur die Werke aufgelistet und im Werkkatalog – Verzeichnis der ausgestellten Werke ab Seite 224 – übersichtlich dargeboten, sondern in Essays zu einzelnen Malern dieser jeweiligen Künstlervereinigungen in der Gesamtoeuvre eingebettet, was sehr sinnvoll ist. Zudem erfährt man Genaueres über den Sammler Max Fischer und seine Frau.
Internet: www.staatsgalerie.de