Ettlingen, Deutschland (Weltexpress). Karin Ruder, Zootierpflegerin und Reittherapeutin war Gründungsmitglied des Bundesverbandes für therapeutisches Reiten und tiergestützte Therapien und ist:
- Vorsitzende im Deutscher Bundesverband der Hufheilpraktiker nach Dr. Strasser – DSHP
- Focusing – Begleiter lt. Richtlinien der „Deutschen Focusing Stiftung“
- Kursleiterin nach Universität Leipzig für therapeutisch-beraterische Selbsterfahrung, Entspannung und verhaltenstherapeutische Stressbewältigung, sowie Theorie und Methodik des Stressbewältigungstrainings
Nach einer Pferdeausbildung in Kalifornien im Jahr 2000 bei Monty Roberts arbeitet sie jetzt selbstständig als Hufheilpraktikerin und Reittherapeutin in Ettlingen
Das Interview
Paschel: Liebe Karin, wir sind ins Gespräch gekommen beim Weltkongress der Hufpfleger 2018 in der Bretagne. Du bist erste Vorsitzende beim DSHP. Über die Hufbearbeitung haben wir bei Weltexpress schon viel berichtet, deshalb lass uns über die Reiterei allgemein plaudern. In deiner 25-jährigen Berufserfahrung als Hufpflegerin hast du viel gesehen. Ist in den Jahren der Umgang mit dem Pferd besser geworden?
Ruder: Ein klares Nein. Umgang und Haltung gehen wieder rückwärts.
Paschel:Wow! – Lass uns Schritt für Schritt einzelne Bereiche betrachten. Die Ständerhaltung, wie die Anbindehaltung genannt wird, die bei Kühen heute noch gebräuchlich ist, wurde in fast allen Bundesländern nach Landesrecht verboten: Nach Baden-Württemberg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen, Rheinland-Pfalz trat zum 1.1.2014 auch in Bayern ein Verbot in Kraft. Jetzt stehen viele Pferde in Boxen. Ist das besser?
Ruder Ja, die Boxenhaltung war gegenüber der Ständerhaltung ein Fortschritt, aber das ist noch meilenweit entfernt davon, was man artgerecht nennen könnte. Ich komme in Ställe und kläre die Leute auf, was eigentlich wichtig ist für ein Pferd.
Junge Leute, teils noch Kinder, bekommen ein Pferd von ihren Eltern. Keiner hat auch nur die geringste Ahnung über das Pferd, das zur Gattung Weitwanderwild gehört. Überall wo ein Plätzchen frei ist, wird ein Pferd hingestellt.
Wenn ich nach dem Sinn frage, höre ich z. B. : Ein junges Pferd und ein junger Mensch – „DAMIT SIE ZUSAMMEN AUFWACHSEN KÖNNEN“. Das Pferd bleibt wie immer auf der Strecke.
Da krieg ich einen Hals!
Paschel: Das geht mir auch so. Pferdeleute sind manchmal selbstherrlich!?
Ruder: Ja, sie sind meist selbstherrlich und besserwisserisch, die Turnierreiter aus meiner Erfahrung um 90%, weil es da ums Geld geht oder Ruhm und Anerkennung.
Paschel: Und Otto-Normalverbraucher?
Ruder: Die kleinen Tussis meinen doch, wenn sie ein Pferd besitzen, können sie dieses rumkommandieren und wenn das Pferd es nicht mit sich machen lässt, werden sie grob und wenden Gewalt an.
Und wo lernen sie das? Von den Vorbildern im Stall oder Fernsehen.
Paschel: Aber es gibt doch im Deutschen Tierschutzgesetz Leitlinien, 1995 herausgegeben vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft.
Ruder: (Haha) Schau dich doch mal um in den Ställen, wie diese eingehalten werden.
Schon dass man den Tierschutz beim Landwirtschaftsminister verortet, ist paradox, denn das Pferd ist schon lange kein Nutztier mehr, sondern eine unheilige Symbiose aus Sportgerät und Kuscheltier. Bei vielen Landwirten sind die Reiter sogar unbeliebt, weil sie nicht selten über ihre frisch gesäten Felder laufen. Ein Landwirt würde übrigens auch eine Kuh nicht eindecken.
Heute sehe ich Decken auf der Weide und keiner hat auch nur die geringste Ahnung, was er seinem Pferd damit antut. Für mich ist das schon Tierquälerei und nicht genug, auch beim Ausreiten sind die meisten schon eingedeckt, geschweige denn zum Spazieren gehen, die Menschen sind einfach krank, ohne Hirn und Verstand.
Paschel Wenn du mit einem Pferd auf ein Dressur-Turnier gehst, das ein Winterfell hat, wirst du ausgelacht. Dass die Immunabwehr des Pferdes geschwächt wird durch Ausschalten des Thermoreguliersystems, wird heruntergespielt oder negiert. Hauptsache, die Bandagen passen farblich zur Satteldecke.
Ruder: Werbung und Industrie beherrschen die Pferdewelt.
Paschel: Ja, gerade heute in der digitalen Welt. Wenn du das Stichwort Pferdedecke bei Google eingibst, findest du frühestens auf Seite 5 den ersten kritischen Bericht der Zeitschrift Cavallo. „Am wohlsten fühlen sich Pferde wissenschaftlich erwiesen bei Temperaturen zwischen rund minus 8 und plus 15 Grad, abhängig von ihrem Fell.“
Ruder:Ein guter Kälteschutz für Pferde ist auch mehr Heu, aber Tiere kommen auf abgefressene Weiden und bekommen zu wenig Heu. „Man muss ja sparen bei der jetzigen Heuernte ist der Ertrag nicht so hoch wie vor Jahren und auch teuer. Die Fütterung allgemein ist ganz schlimm, weil nicht artgerecht. In den letzten Jahren ist eine enorme Verschlechterung zu sehen. Hufrehen, Koliken, Kotwasser usw. haben zugenommen, warum?
Paschel: Heulage z. B., das man in der freien Natur nach meiner Kenntnis nicht findet, wird wegen des hohen Säuregehaltes und der Pilzgefahr in Fachkreisen abgelehnt als Pferdefutter. Wiederkäuer wie Kühe können es verdauen – Pferde nicht. Es kann sogar langfristig dazu führen, dass die Darmflora vollkommen zerstört wird mit der Folge, dass andere Krankheiten wie Mauke, Cushing u. a. auftreten, die durch die gleichzeitige Schwächung der Immunabwehr begünstigt werden.
Auch viele Tierärzte sagen den Besitzern nicht die Wahrheit, weil der Pferdebesitzer nicht hören will, dass er etwas falsch macht. Ich kenne keine Sportart – und das sind nicht wenige – wo Sportler so trotzig und emotional sachliche Kritik abwehren.
Ruder: Schon wegen der Gefahr des Pilzbefalles ist die Heulage ein Problem, da der Laie sie nicht sieht. Das Pferd ist vor ca. 5.000 Jahren domestiziert worden, es trägt aber noch alle Gene in sich, die man in der Pferdehaltung berücksichtigen muss. Das Pferd ist auch heute noch ein selbstständiges „Steppentier“, welches sich nur in einer Pferdegesellschaft sicher und geborgen fühlt.
Paschel: Auch die Zuchtauslese ändert daran nichts.
Viele Pferdebesitzer unterliegen dem Irrglauben, dass sie für ihr Pferd wichtig seien.
Ruder: Meiner Meinung nach sind ca. 80% der Pferdebesitzer Egoisten und Selbstdarsteller und missbrauchen dazu das Pferd.
Ich weiss, das sind harte Worte aber es sind meine Erfahrungen und das war der einzige Grund wo ich schon einige male übers Aufhören nachgedacht habe.
Warum habe ich es nicht getan? – Da sind diese einmaligen Momente, wo du mit diesen wunderbaren Tieren zusammen bist, sie reden mit dir – ununterbrochen -, obwohl kein Wort zu hören ist. Das macht die Arbeit so schön. Die Besitzer wundern sich nur, warum es bei ihnen nicht so klappt.
Du fragst dich jetzt sicherlich woher ich das weiß oder wo ich es gelernt habe? – Von den Pferden, ja nur von den Pferden kann man es lernen. Aber wie bei allen, das wollen reicht nicht aus, da muss dann auch zeitversetzt das Tun kommen, sonst wird es nichts. Die Menschen müssen lernen, nicht die Pferde.
Paschel: Das geht mir auch so. Es setzt aber voraus, dass man das Pferd wirklich respektiert. Die meisten Reiter denken jedoch, sie müssten den Pferden etwas beibringen, selbst das Laufen, das die Pferde von Natur aus besser beherrschen als wir Menschen, wenn man sie denn laufen lässt in der Herde, wo sie sich alle Bewegungsabläufe spielerisch aneignen können, die ihrer Natur entsprechen. Dann braucht man auch kein Gebiss, mit dem das Pferd über Schmerz in die „Versammlung“ gezwungen wird.
Bei meiner letzten Zahnbehandlung sagte mir mein Zahnarzt, der seine Kinder zum Reitunterricht begleitet, dass die Eisenstange im Maul des Pferdes vergleichbar ist mit eine Wurzelbehandlung ohne Betäubung.
Wir sollten mal ein Rundschreiben an alle Zahnärzte schicken. Vielleicht würden dann zumindest die Reiterinnen mit Zahnproblemen aufwachen.
Ruder: Oh ja, deine Idee gefällt mir! Aber das große Problem ist halt, die Pferdebesitzer haben ihre Vorstellung wie das Pferd zu funktionieren hat und das muss auf Biegen und Brechen durchgesetzt werden, aber die große Kunst ist es doch das das Pferd nicht die Lust verliert mit mir zu arbeiten, das sollte doch das Ziel eines jeden Reiters sein. Man braucht nur die richtige Einstellung, Fokus, Gefühl, Timing, Balance und immer ein Lächeln, so arbeitet man mit Pferden und nicht mit Ausbindern, Schlaufzügeln, scharfen Gebissen, Mechanik, Angst und Einschüchterung.
Paschel:Du hast bestimmt auch noch eine nette Geschichte aus dem Leben?
Ruder: Na klar, ich hatte vor Jahren eine neue Kundin, die ein altes blindes Pferd hatte, beschlagen und auch sonst sehr krank. Dieses Pferd begann mit mir zu kommunizieren. Es stand zuerst ganz still da, als ich das erste Mal die Hufe gemacht habe. Als ich fertig war, hat es begonnen, wie verrückt zu speicheln und zu kauen, es kam wirklich unendlich viel Schaum aus seinen Mund, ich hatte so etwas noch nie beobachtet und auch die Besitzerin war etwas ratlos, aber da das Pferd nicht den Eindruck machte, dass es jetzt gleich tot umfällt, obwohl mir nicht so wohl war dabei, haben wir es so hingenommen.
Nach einigen Tagen bekam ich eine Nachricht, dass das Pferd seit langen nicht mehr so gut gelaufen sei. Puh, da war mir doch etwas besser zumute, denn ich war mir nicht sicher, was da noch passiert.
Beim nächsten Besuch war es genauso, da wusste ich, es ist die Art wie sie es mir sagt, dass alles ok ist, was ich mache.
Heute ist es schon so, dass sie sabbert, wenn sie meine Stimme hört und es wird jeder Schnitt kommentiert. Wir scheinen mittlerweile schon so verbunden zu sein, dass sie meine Gedanken lesen kann. Sie fängt an zu kauen, wenn ich denke, da muss noch was weg, – einfach unglaublich – , die Besitzerin ist auch immer ganz fasziniert.
Das ist das, was diese Arbeit so schön macht und auch das ist es, was eine gute Therapie-Arbeit als Reittherapeutin ausmacht, das wichtigste sind die Pferde und diese müssen es auch spüren und da beginnt die Kommunikation, die Arbeit mit dem Pferd, oder wie immer man es auch nennen möchte.
Diese Verbundenheit mit den Pferden – und nur das. Die Menschen sind eher uninteressant.
Paschel: Diesen Satz habe ich schon von mehreren Pferdeflüsterern hinter vorgehaltener Hand sinngemäß gehört. Ein spezieller, dessen Namen ich natürlich nicht sagen werde und dem die Leute die Tür mittlerweile einrennen, sagte mir mal vor einem Kurs: „Am liebsten wäre es mir, wenn die Besitzer alle abhauen würden und ich mit den Pferden allein arbeiten könnte.“
Aber lass uns zum Schluss doch noch dein Spezialgebiet die Hufe thematisieren.
Pferde kommen ja nicht mit Hufeisen auf die Welt und trotzdem sind Eisen immer noch sehr verbreitet, sogar bei Reitern, die für eine artgerechte Haltung eintreten.
Ist es möglich, dass wir das kurz abhandeln können?
Ruder: Na klar – Eisen im Maul und an den Hufen ist nicht artgerecht, also was will mir dann ein Reiter über „artgerechte Haltung“ erzählen oder dafür eintreten wenn er noch nicht einmal das Wort artgerecht definieren kann. Wer etwas anderes sagt, ist entweder dumm oder ein Opfer der Tradition.
Das Eisen im Maul eines jeden Pferdes ist grundsätzlich ein Fremdkörper und Eisen am Huf ist kein Schutz sondern das Gegenteil, nämlich eine Ursache für viele Krankheiten, nicht nur der Hufe. Mittlerweile ist es hinreichend erforscht, dass nicht nur die Durchblutung des gesamten Hufes behindert wird, sondern auch die umgebenden Gelenke Schaden nehmen können und der Stoffwechsel extrem gestört wird, wenn die unbrauchbaren auszuscheidenden Eiweiße nicht zu Hornsubstanzen umgebaut werden können und somit im Körper verbleiben. Zu diesen Themen möchte ich der Kürze wegen nur auf Deine Interviews und Artikel mit Frau Dr. Strasser und Professor Cook verweisen.
Leider gibt es immer noch genügend Ignoranten, die deren wissenschaftlich anerkannten Untersuchungen anzweifeln und mit Begriffen wie Tierquäler, Guru oder sogar Scharlatan unterhalb der Gürtellinie diskutieren.
Paschel: Danke liebe Karin für das Gespräch: Ich liebe Menschen, die so offen wie du ihre Meinung sagen. Ich hoffe, es fühlen sich einige Reiterrinnen angesprochen – Ich vermute aber, es sind nur wenige, denn es gilt offensichtlich der Grundsatz eines bekannten Politikers: „Relevant ist nicht die Wahrheit, sondern das, was die Leute hören wollen.“ (Zitat eines Beraters von Helmut Kohl).
Weiterführende Informationen: http://www.ag-shp.de
oder auf Facebook: https://es-la.facebook.com/pg/strasser.hufpflege/posts/