„Alles hätte gut und gern so weitergehen können, aber dann ist alles zerbrochen, was, wie Blank später sagte, ein sicheres Zeichen dafür ist, dass es eben nicht so habe weitergehen können, auch wenn ich das geglaubt hatte. Was man selber glaubt, ist, auch das sagte Blank später, manchmal unmaßgeblich in der Frage, ob etwas zerbrochen gehört oder nicht.“ (S. 7)
Die ersten beiden Sätze, die einen Prolog bilden, sind stark und überzeugend wie der Beginn eines Karate-Katas. Daran folgt die Erzählung der innigen Liebesgeschichte zwischen der Mittdreißigerin Katja, die als Übersetzerin in einem Großraumbüro ihr Geld verdient und Dr. Jakob Wiesberg, einem erfolgreichen Zahnarzt. Die beiden könnten unterschiedlicher nicht sein. Sie ist ängstlich, ein bisschen zu genau und grüblerisch, er das genaue Gegenteil, dafür aber einfühlsam und sensibel. Als Jakob anfängt, Katja mit einer anderen Frau zu betrügen, erleidet sie eine Augenkrankheit, die symbolisch gemeint ist. Sie kann ihn kaum mehr sehen, denn er ist schon gar nicht mehr bei ihr. Nachdem Katja verlassen wird, bricht nicht nur ihre Welt zusammen, sie verliert auch ihren Job und gibt sich ganz dem Trennungsschmerz hin:
„Ich wurde nicht wütend, ich dachte statt dessen die ganze Nacht lang an alles, was ich hätte besser machen können, an alles, was ich jetzt noch retten könnte, an Alina, von der ich nichts wusste, an Jakob, von dem ich plötzlich auch nichts mehr wusste, plötzlich schien es mir, wusste ich auch von Jakob nicht das Geringste mehr, obwohl alles voller Jakob war, die ganze Wohnung war voller Jakob, und bis zum nächsten Morgen hatte ich eine ganze Giftmülldeponie in mich hineingegrübelt.“ (S. 33)
Mit Sätzen wie diesen schafft Leky es trefflich, den gleichsam etwas umständlichen wie auch pragmatischen Charakter ihrer Hauptfigur zu fassen. Als Jakob kurze Zeit nach der Trennung an den Folgen eines Autounfalls verstirbt, verliert Katja jeden Halt. Nun hat sie nicht einmal mehr die Hoffnung.
Marianna Leky schreibt wie bereits Justine Lévi in „Rien de grave“ („Nicht so tragisch“) über eine liebestraurige Frau, voller Angst, die keine Kraft mehr zum Leben hat – oder sagen wir zu haben glaubt. Während sich Lévi darin ergeht, die Seelenqualen ihrer Protagonistin möglichst realistisch darzustellen und dabei schwere Kost liefert, werden die ernsten Themen von Leky mit einer augenzwinkernden Leichtigkeit erzählt. Trotz aller Schicksalsschläge, so der Tenor des Buches, das Leben ist schön. Die Geschichte, die Leky erzählt, ist ein modernes Märchen, absurd und komisch, und natürlich durchschauen wir das Ganze, ebenso wie die Protagonistin und Ich-Erzählerin des Romans die rührenden Versuche durchschaut, mit denen ihre beiden Schutzengel versuchen, ihr wieder Lebensmut einzuflößen.
„Nothing is forever“
Durch das Verlassenwerden erfährt Katja einen so großen seelischen Schmerz, dass sie einen Wackelkontakt mit der Wirklichkeit bekommt und plötzlich ein Gespenst sieht: einen mit einem schwarzen Anzug gekleideten, sympathischen älteren Herren, zu Lebzeiten Altphilologe, der Studenten durch das Latinum brachte, und herumgeistert, weil er sich nicht von seiner Frau verabschieden kann.
„’Mein Name ist Dr. Friedrich Blank. Ich bin in ihrem Badezimmer.` [”¦] ’Mein Name ist Katja Wiesberg und mein Mann ist tot`, sagte ich, und dann brach ich in Tränen aus.“ (S. 46-47)
Das freundliche Gespenst Blank wohnt nun bei Katja und sorgt sich liebevoll um sie, damit sie nicht ganz und gar verkümmert. Die Idee ist amüsant und mit dieser Figur, die von sich selbst sagt, sie sei „extrem weit hergeholt“ (S. 47), gewinnt der Roman trotz des schweren Themas an Unbeschwertheit.
Neben Blank ist Armin Golling der zweite Schutzengel von Katja. Armin, ein karatefilmliebender Feuerwehrmann, ist zehn Jahre jünger als Katja. Eines Nachts, mitten in ihrer Trauerphase, in der sie die Wohnung so gut wie nie verlässt, klingelt er. Anstelle des gemeldeten Brandes kann er nur feststellen, dass die Wohnung und deren Besitzerin leicht verwahrlost sind, und bleibt auf einen Kaffee. Er findet Gefallen an der zehn Jahre älteren Frau und wird nun zum Dauergast. Zu dritt machen sie einen Ausflug zu einem verlassenen Badeort an der holländischen Küste, wo sie Armins Idol treffen, den alternden Karatefilmhauptdarsteller Ralph McQuincey, und einige absurd-komische Erlebnisse haben.
Leky arbeitet gerne mit Parallelen und Wiederholungen, bei der Skizzierung der Nebenfiguren auch mit Stereotypen, was bisweilen etwas ermüdend ist. Das ermöglicht aber einen Wiedererkennungseffekt und die Komplizenschaft mit dem Leser. Der Titel erschließt sich erst am Ende des Buches. Er steht symbolisch für die Lebenslüge, der sich auszusetzen jeder von uns Gefahr läuft. Die Figuren sind Antihelden. Katja ist voller Ängste und ohne Selbstbewusstsein. Jakob ist feinfühlig und sensibel, dafür aber so feige, seine Frau gerade dann zu verlassen, als er ihr, oder vielmehr sie ihm nach ihrer Augenoperation nicht mehr ins Auge blicken kann. Katjas Geist gespenstert auf der Welt herum, weil er noch einmal mit seiner Frau reden möchte, traut sich aber erst im vorletzten Augenblick zu seiner Witwe. Der Verehrer Katjas hat kleptomanische Anwandlungen. Als Katja ihm eröffnet, dass sie von ihm schwanger ist, gerät er in Panik und fühlt sich betrogen. Leky zeichnet hier ein neues Bild des Mannes: sind es doch die Männer, die nach Erfindung der Pille ungewollte Schwangerschaften fürchten. Für diese Umkehrung der Geschlechterverhältnisse wird Leky inkohärent. Wie kann es sein, dass Katja, obwohl sie versucht hat, mit ihrem Mann Kinder zu kriegen, auf einmal eine Spirale in sich trägt, die, der Spannung willen, ihren Dienst versagt?
„Gleich ist es vorbei“
Gegen Ende wird der Roman kitschig. Leky will das Happy-End und schreibt vom Glück des Kindes. Zunächst aber will Katja abtreiben und liefert uns eine wohlüberlegte Begründung:
„Ich dachte an alles, was man für ein Kind brauchte, man brauchte einen angemessenen Körper und eine angemessene seelische Verfassung, ein angemessenes Leben und eine Vorbildfunktion und Geld und innere Stärke und Gelassenheit, man musste für ein Kind in sich ruhen und gleichzeitig aus sich herausgehen können und andere Kunststücke.“ (S. 140)
Bevor Dr. Blank nun auch als Gespenst die Erde verlässt, macht er mit Katja eine Art Frühjahrsputz. Auch der ist symbolisch gemeint. Katjas Leben muss neu geordnet und von altem Ballast wie unnötigen Ängsten und mangelndem Selbstbewusstsein gereinigt werden. Ob die Liebe zwischen der Akademikerin und dem Feuerwehrmann Bestand haben wird?
* * *
Marianna Leki, Die Herrenausstatterin, DuMont Buchverlag, Köln 2010, 218 Seiten, 18,95 €