Bildende Künstler haben von vornherein keine Aussicht auf eine feste Anstellung und sind auf sich selbst gestellt. Wo die Gesellschaft sie fördern will, erhalten sie Werkaufträge. In der DDR erhielten sie Aufträge von Betrieben, LPG, Staatsorganen, von Parteien und Massenorganisationen sowie vom 1950 gegründeten Kulturfonds. Große Bedeutung hatte die baugebundene Kunst.
In Westberlin wurde 1950 die Soziale Künstlerförderung geschaffen, ausdrücklich als eine Maßnahme zur Ankurbelung der Wirtschaft nach der Verselbständigung der Westsektoren. Sie war ein erklärtes Arbeitsbeschaffungsprogramm. Insgesamt erhielten in 53 Jahren 2149 Künstler eine finanzielle Unterstützung, davon zwei Drittel bis zu fünfmal. Auch später berühmt gewordene Maler wie Georg Baselitz, Arnulf Rainer, Mark Lüpertz und Wolf Vostell erhielten Aufträge von der Sozialen Künstlerhilfe. Nach dem Wegfall der Förderung in der DDR beschloss der Berliner Senat ein Sonderprogramm »Künstler in Not«, durch das in zehn Jahren 1057 Künstler gefördert und 4174 Werke in Auftrag gegeben wurden.
Die Zahl der in der DDR geförderten Künstler ist nicht bekannt. Anerkannt ist aber, dass ein »dichtes Netz von Förderstrukturen ein von sozialen Nöten freies Künstlerleben ermöglichte«, wie de Kunstwissenschaftlerin Simone Tippach-Schneider feststellt. Auch die Zahl der geförderten Werke ist nicht zu ermitteln.– sie waren faktisch in jeder Schule, in jedem Betrieb und in jedem öffentlichen Gebäude präsent. Als 1989/90 die politischen und ökonomischen Strukturen der DDR zerschlagen wurden, organisierte der Kulturminister im Kabinett de Maiziere, Herbert Schirmer, in einer entschlossenen Aktion die Sicherstellung Tausender Werke. Das Kunstarchiv Beeskow beherbergt die Bestände aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Auch Sachsen und Thüringen verfügen über Depots mit DDR-Auftragskunst. Alles in allem zusammen mit den Beständen der Sozialen Künstlerförderung in Westberlin ein riesiger Fundus schöpferischer Arbeitsleistung, geeignet für thematische und Personalausstellungen mannigfacher Art. Erwähnt sein nur die Beeskower Schau »Ein weites Feld« zum 60. Jahrestag der Bodenreform im Jahre 2005.
Ein Thema, das Gemeinsamkeiten der Kunstproduktion in Ost und West aufweist, war für die Kuratorinnen Simone Tippach-Schneider und Katja Widmann ein Motiv »aus dem Künstlerleben«, nämlich, wie staatliche oder gesellschaftliche Förderung das Schaffen der Künstler, profan gesagt: ihre »Erwerbsbiographien« beeinflusst hat. Die Bilder sind da, die Auftraggeber überwiegend bekannt. Tippach-Schneider und Widmann machten sich auf, zu einer Auswahl prägnanter Bilder die Biographien ihrer Schöpfer zu stellen. Sie suchten die Künstler und führten mit ihnen Interviews. Der Arbeitsaufwand setzte Grenzen, Alter und Auskunftsbereitschaft der Maler auch. Die Kuratorinnen entschieden sich für 33 Werke und Maler – 16 Ost und 17 West. Logisch war auch, die Ausstellung Im Osten – Beeskow- und in (West-)Berlin – Wedding – zu zeigen. Termine, Arbeitsteilung und anteilige Finanzierung waren im April 2007 klar, Plakate und Kataloge für beide Standorte gedruckt. Vom 15. Juli bis 2. Dezember lief die Schau in Beeskow, am 12. Januar 2008 sollte sie in den Räumen der Sozialen Künstlerförderung in der Gustav-Meyer-Allee in Wedding eröffnet werden. Unerwartet kam eine Absage der Berliner Seite, abgesegnet vom Präsidenten des Landesamtes für Gesundheit und Soziales, Franz Allert, und von der Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner. Insider wollen wissen, dass auch die Chefin der Senatskanzlei, Barbara Kisseler, die Hand im Spiel hatte. Begründung: keine Mittel im Haushalt. Eine Zusage habe es nie gegeben. Das hat die Zeitung jungeWelt am 11.1.2008 verbreitet. Schock, Verärgerung, Enttäuschung besonders bei den betagten Künstlern wie Harald Hakenbeck und Dietrich Nosky, die sich die Fahrt nach Beeskow erspart hatten, aber in Berlin ihre Bilder wiedersehen wollten.
Gibt es tiefere Ursachen? Wollte der Senat keine Aufmerksamkeit für die oftmals verzweifelte materielle Lage der Künstler in Berlin? In einer Hörstation kann man deren Aussagen anhören. Die Katastrophe war für viele komplett, als der Senat 2004 die Soziale Künstlerförderung ersatzlos strich (genau so bedenkenlos wie die Zuschüsse für die Berliner Symphoniker). Noch problematischer: Was wird mit ihren Werken, wenn sie nicht mehr arbeiten können oder sterben, wenn kein Museum diese übernimmt oder die Erben damit nichts anzufangen wissen? Harald Hakenbeck vernichtete viele seiner Bilder, Herbert Bergmann-Hannak verbrannte sie. Sie haben kein Geld mehr für die Ateliermiete, keinen Lagerraum, keine Käufer.
Versuche, andere Partner für die Ausstellung zu finden, waren erfolglos. Die Gewerkschaft ver.di, die eine eigenen Galerie im Hause hat, zeigte die kalte Schulter. Es ließe sich lebhaft spekulieren, ob es mit dem Wegfall der Systemkonkurrenz von Sozialismus und Kapitalismus zuammenhing, dass der rot-rote Berliner Senat glaubte, auf die Befindlichkeiten der bildenden Künstler keine Rücksicht mehr nehmen zu müssen. Zum Glück fanden sich doch noch Kunstfreunde: Wolfgang Brauer, der kulturpolitische Sprecher der LINKEN im Abgeordnetenhaus, bat den Präsidenten Walter Momper (SPD), das Haus für die Ausstellung zu öffnen. Der sagte zu. Inzwischen ist es amtlich: am 3. Juni wird Momper die Ausstellung »Lebens-Mittel Kunst« eröffnen. Die beteiligten Künstler werden eingeladen. Die Leiterin des Kunstarchivs Beeskow, Ilona Weser, war besonnen genug, die Bilder beisammen zu halten. Walter Momper nutzt seinen Etat.
Alles in Butter? Die Fragen werden neu aufbrechen: Was wird mit den Nachlässen der Künstler? Wer ist dafür zuständig? Simone Tippach-Schneider schreibt im Katalog: »80 Prozent der Künstler können nie von ihrer Kunst allein leben. Es dürften annähernd so viele Nachlässe sein, die es nie in den Bestand der Allgemeinheit schaffen.« Wohin also damit?
Fast ist man versucht, einen (faulen) Vergleich zu ziehen. Die Bundesregierung will in einer Bad Bank faule Kredite bunkern, bis ein Wunder geschieht. Abzusehen ist, dass dieses Geld in Milliardenhöhe verbrannt ist. Freilich ist es elektronisch gespeichert und nimmt kaum Platz weg.
Kunstwerke hingegen brauchen Depots. Die kosten Geld. Aber faule Kredite kosten auch Geld. An den Bildern und Plastiken hingegen werden sich noch einmal viele Menschen erfreuen.
Einen Ausweg oder wenigstens einen Rat sucht man vergeblich in dem 774-Seiten-Bericht »Kultur in Deutschland« der Enquete-Kommission des Bundestages unter Vorsitz von Gitta Connemann (CDU) vom Dezember 2007. Die Abgeordneten beklagten, dass die Museen wegen knapper werdender öffentlicher Mittel ihren Auftrag, das Kulturgut zu schützen, immer weniger erfüllen können. Der Bericht liefert aufschlussreiche Fakten zur Situation der Künstler. Zum Beispiel hatten die 49800 in der Künstlersozialversicherung erfassten bildenden Künstler im Jahre 2004 ein durchschnittliches Jahreseinkommen von 10 542 Euro, das sind 878,51 Euro im Monat (regionale oder soziale Schichtungen fehlen). Frauen verdienen noch 24 Prozent weniger. Oft liegt das Einkommen »im Bereich des Existenzminimums« (?!). Um in die Künstlersozialversicherung überhaupt aufgenommen zu werden, muss der Künstler wenigstens 3 900 Euro im Jahr verdienen. Viele müssen einer zweiten Arbeit nachgehen. Geringe Einkünfte bedeuten geringe Rente – Altersarmut. Von den 4 705 Künstlern, die 2004 bereits eine Altersrente bezogen, erhielten die bildenden Künstler 670,56 Euro (bei einem Durchschnitt aller Rentner von 785,12 Euro). Beim genannten Durchschnittseinkommen werden die Künstler »nur eine sehr kleine Altersrente beziehen«, prognostiziert der Bericht.
Wen wundert es da, dass Herbert Bergmann-Hannak in seinem kleinen Zimmer im Seniorenwohnheim nur noch eine kleine Staffelei in der Zimmerecke zu stehen hat? Hakenbeck verlegte sich auf Landschaftszeichnungen und Buchillustrationen, für die er nur einen Schreibtisch braucht – wie Tippach-Schneider berichtet. Die Enquetekommission , die für den Bericht vier Jahre brauchte, befindet, dass in Deutschland Instrumente und eine Infrastruktur (schönes Wort) der öffentlichen Künstlerförderung existieren, die auch selbständig arbeitenden Künstlern offen stehen. Beeindruckend ist die Zahl von 7,84 Milliarden Euro für öffentliche Kulturförderung im Jahre 2005, aber »was unten ankommt«, siehe oben. Gelobt wird der Hauptstadtkulturfonds (ohne Zahlenangabe), doch mit keiner Silbe wird die Abschaffung der Sozialen Künstlerförderung erwähnt. Die »Handlungsempfehlung« an Bund und Länder, »ein besonderes Augenmerk auf die Verbesserung der Einkommenssituation der Künstler und Publizisten zu richten« (S. 465), ist nicht anders als hilflos zu nennen. Und da hatten wir noch keine offene Finanz- und Wirtschaftskrise! Mit der Summe zur Stützung der Hypo Real Estate von mindestens 120 Milliarden Euro könnte die Kulturförderung 30 Jahre lang um 50 Prozent erhöht werden. Wie Nachlässe von Künstlern erhalten werden können, dafür findet sich im Bericht keine Idee.
Es hat sich eingebürgert, zu Ausstellungen begleitende Konferenzen abzuhalten, die deren Inhalt vertiefen oder erkannte Defizite ausgleichen. Eine Begleitkonferenz zu »LebensMittel Kunst« böte reichlich Stoff, um zumindest Berliner Landespolitiker zum Nachdenken zu bringen.
Ausstellung »Lebens-Mittel Kunst« vom 3. bis 25. Juni 2009 im Berliner Abgeordnetenhaus, Katja-Niederkirchner-Straße, Berlin.