Besonders deutlich nachvollziehbar wird dies in dem Stück „Psalm“ des Choreografen José Limón, dem als Handlungsablauf der Stoff einer alten jüdischen Legende zugrunde liegt. In wirbelnder Virtuosität demonstrieren die Tänzerinnen und Tänzer bei beschwörender Gestik die existenziell durchlebte Gottesbeziehung des Einzelnen. Jenes Individuums, das im Kreislauf von Leben und Tod mit dem Höheren ringt und in seiner inneren Zerrissenheit auch Halt und Geborgenheit sucht in der menschlichen Gemeinschaft.
Tänzerischer Stilwandel
Von gleicher Eindringlichkeit erweist sich der stimmungsvolle Psalmengesang des Komponisten Jon Magnussen, der in seinem liturgischen Grundcharakter eine enge Verbindung eingeht mit der rhythmischen Tanzbewegung. Eine vollendete Symbiose, die keiner weiteren Requisiten bedarf und sich bei sparsam eingesetztem Lichtdesign (Steve Woods) und schlichten Kostümen (Marion Williams) konzentriert auf die elegant fließenden Körperbewegungen des Ensembles (Raphael Boumaila, Dante Puleio, Kristen Foote u.a.).
Als Höhepunkt des Abends ist der „Psalm“ auch ein Meilenstein der Tanzgeschichte. Beginnend vor siebzig Jahren mit dem aus Mexiko stammenden amerikanischen Tanzpionier José Limón, der mit Gleichgesinnten wie Doris Humphrey und Carla Maxwell den strengen Bewegungskodex des klassischen Balletts auf brach und mit dem Modern Dance einen tänzerischen Stilwandel auf den Weg brachte.
Ästhetischer Reiz
Noch älter als „Psalm“ (1967) ist Limóns Choreografie „Chaconne“ (1942) nach der Musik von Johann Sebastian Bach. Es ist Limóns erstes wichtiges Tanzsolo, das mit Bachs Violinsolo hervorragend korrespondiert und nach all den Jahrzehnten nichts von seinem ästhetischen Reiz eingebüßt hat. Besonders dann, wenn Tanzsolistin Roxanne d’Orléans Juste die von Limón eingearbeiteten Flamenco-Passagen temperamentvoll interpretiert.
Überzeugend auch das Stück „Come with me“ (2012) des Brasilianers Rodrigo Pederneiras, das sich die Limón Dance Company als Geschenk zu ihrem 65. Geburtstag gewünscht hat. Die Originalmusik von Paquito d’Rivera ist inspiriert von den „Ladies in White“, einer revolutionären Gruppe von Frauen, die seit 2003 in Havanna für Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit auf die Straßen geht.
Tanzformationen zu leichtfüßiger Musik
So ist der lateinamerikanische Charakter des Stückes unverkennbar, wenn weiß gekleidete Tänzerinnen sich bei leichtfüßiger Musik zu immer neuen Tanzformationen vereinen. Nicht als Selbstzweck, sondern in der Absicht, den Familienmitgliedern und Dissidenten in kubanischen Gefängnissen mit ihrer tänzerischen Botschaft den Weg in die Freiheit zu ebnen.
Den Einstieg in den Abend hatte sich die künstlerische Leiterin der Limón Dance Company, Carla Maxwell, für ihren eigenen choreographischen Lobgesang an den großen Meister vorbehalten. In „Etude“ (2002) benutzt sie Franz Schuberts Lied „Gretchen am Spinnrade“, um darin Bewegungsabläufe aus gleich drei Limón-Choreographien unterzubringen. Ein leidenschaftlicher und kraftvoller Auftakt eines außergewöhnlichen Abends, der vom Publikum mit lang anhaltendem Applaus gewürdigt wurde.