Gedämpfte rote Lampen tauchen das Zimmer in Schummerbeleuchtung. Die Dame im Negligé räkelt sich in verführerischen Posen auf dem Bett, während ihr Mann sie ablichtet. Jung und schlank ist Christel nicht, ebenso wenig ihre Berufskolleginnen Paula und Karolina. Die Fotos dienen der professionellen Hure als Eigenwerbung im Internet. Die über 50-jährige empfängt ungeachtet ihres Alters Klienten bei sich zu Hause. Ihr Ehemann hat sich mit dem außergewöhnlichen Beruf seiner Frau arrangiert. Karolina wiederum ist Dominatrix. Einmal ergriff ein Herr, der sie zum Tanzen aufgefordert hatte, die Flucht, als sie ihm unverblümt von ihrer Tätigkeit erzählte. Die kuriose Reaktion ist eine Ausnahme. Männer suchen und zahlen dafür, sich von Karolina beherrschen zu lassen. Der auf der Berlinale in Perspektive Deutsches Kino gezeigte Abschlussfilm der Studentin Saara Alia Wasner handelt nicht vom Elend älterer Frauen, welche sich aus Not prostituieren müssen. Unverkrampft und oft in humorvollem Ton ist Wasners Reportage Zeugnis der späten sexuellen Emanzipation ihrer Protagonistinnen.
Die selbstbestimmte Arbeit im Sexgewerbe erleben die „Frauenzimmer“ als Bestätigung ihrer Unabhängigkeit oder das Ausleben lange unterdrückter Sehnsüchte, das schnell verdiente Geld ist zusätzlicher Anreiz:“Wenn man einmal angefangen hat, als Hure zu arbeiten, hört man nie wieder auf.“, sagt eine der Damen:“Egal, ob in einer Beziehung, der Ehe oder ob man in einem Geschäft anfängt zu arbeiten.“ Erfahrungen mit sexueller Ausbeutung und seelischem Misshandlungen mussten einige in der Vergangenheit erleiden. Allerdings nicht in ihrem Beruf, sondern ihrem „normalen“ vorherigen Leben. „Jetzt bin ich in dem Alter, wo ich Sex genieße wie eine 20-jährige. Vorher war es nur eine Dienstleistung am Ehemann.“, berichtet eine der Huren. Seine Träume ausleben zu wollen, sei unbescheiden, hatte ihre Mutter ihr früher eingeredet. Erst im Alter gelang es ihr, sich von dem Gedanken zu befreien. Über die Stereotypen der Hure als unersättliche Nymphomanin oder hilfloses Opfer der Männer ist Wasners Reportage erhaben. Die „Frauenzimmer“ sind letztendlich auch gewöhnliche Arbeitsstätten, in denen Christel, Karolina und Paula jede auf ihre Weise pragmatisch ihrer Tätigkeit nachgehen. Aus einem der „Frauenzimmer“ tönt stöhnen, aus einem anderen Peitschenschläge und am Telefon lädt Christel „auf ein Fickerchen ein“. So offenherzig wie sie ihre Sexualität leben sprechen die Frauen zu der Regisseurin darüber. Diese Natürlichkeit macht die Protagonistinnen ebenso sympathisch wie Wasners ungewöhnliche Dokumentation. Wie die Berliner „Frauenzimmer“ kann mancher seine Passion erst in gehobenem Alter zum Beruf machen. Besser spät als nie.
Titel: Frauenzimmer
Berlinale Perspektive Deutsches Kino
Land/ Jahr: Deutschland 2009
Genre: Dokumentarfilm
Regie und Buch: Saara Alia Wasner
Laufzeit: 74 Minuten
Bewertung: ***