Liebesbriefe, Fotos, verstörte Männer, Sonne. Das findet die siebzehnjährige Ich-Erzählerin und Hauptfigur aus Anna Stothard ´s Debüt vor, als sie nach Kalifornien reist. Der gut 350 Seiten starke Roman kreist um die jung verstorbene Mutter der Ich-Erzählerin. Die Mutter Lily, von der sie seit ihrer Kindheit nichts mehr gehört hat, war aus England entwichen, aus der zu frühen Mutterschaft. Sich annähern, in die Freundschaften, Lieben und jedweden Hinterlassenschaften der Mutter hinein-spüren und steigen, das ist Thema dieses Buches. Soweit nichts Ungewöhnliches, aber die Sprache der 28jährigen Engländerin (und ihrer einfühlsamen Übersetzer) besticht durch knappe, kraftvolle Bilder. Exzentrische Dialoge und traumhafte Liebesbriefe, wie der oben zitierte unbekannten Absenders. Dabei gibt es keine Gefälligkeiten, nicht niedliches. Das Pink als Hotel-Name und Roman-Titel täuscht über Tattoos, Drogennächte und Motorradfahrten der Personage hinweg, mit der es die kindlich wilde Engländerin allemal aufnehmen kann. Und die sie allmählich näher kennenlernt.
„Manchmal liebten wir uns nach meinen Albträumen, dann fühlte ich mich noch mehr wie ein seltsames Tier.“
In perfekter Dramaturgie zieht die Autorin ihre Kreise enger, springt von abwegigen Kindheitssünden des Mädchens durch verschiedene Betten und heiße Wochen in die Aufklärung eines tragischen Todes. Verlust und Liebe, Selbstfindung und Selbst(ver)achtung – dies könnten die Rahmenthemen der Mutter-Tochter Geschichte sein, aber vielleicht ist es auch ganz anders. Hier reift eine Stimme heran, die, mit Melancholie und Weisheit bereits angereichert, gleich ganz oben einsteigt, aus dem Chor der Debütanten herausragt und enormes verheißt. Wir sind gespannt und verbleiben schon jetzt als Fans!
Übrigens gibt die Autorin im aktuellen Diogenes-Magazin einiges zur Entstehungsgeschichte dieses Buches preis, unter anderem, woher die Liebesbriefe stammen, wo das Pink Hotel steht und welches der traurigste Eisladen der Welt ist.
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Anna Stothard, Pink Hotel, Roman, Aus dem Englischen von Hans M. Herzog und Astrid Arz, 355 S., Diogenes Verlag Zürich, September 2012, 14,90 €