„Dumm, gemein und brutal“ – Zur Gewehrattacke des israelischen Kommandeurs Shalom Eisner auf einen jungen Dänen

Der israelische Kommandeur Shalom Eisner bei seiner Gewehrattacke auf einen jungen Dänen. Screenshot vom YouTube-Video vom 16.04.2012. © WELTEXPRESS

Das Wort „brutal“ fällt auf, weil es unglaubwürdig erscheint, dass Jabotinsky wirklich dieses Wort meinte. Sein Hebräisch war nicht sehr gut, und er meinte wahrscheinlich etwas wie „hart“.

Falls Jabotinsky den heutigen Likud sähe, würde er schaudern. Er war eine Mischung von extremem Nationalismus, Liberalismus und Humanismus des 19.Jahrhunderts.

Paradoxerweise ist Brutalität der einzige der drei Wesenszüge, der in unserm Leben heute auffällig ist, besonders in den besetzten palästinensischen Gebieten. Es gibt dort nichts, auf das man stolz sein könnte – und Großzügigkeit ist etwas, das zu den verachteten Linken gehört.

Die tägliche Routinebrutalität, die in den besetzten Gebieten herrscht, wurde in dieser Woche auf Video aufgenommen. Ein scharfer Blitz in der Dunkelheit.

Es geschah auf der Straße 90, einer Schnellstraße, die am Jordan entlang Jericho mit Beth Shean verbindet. Es ist die Hauptstraße im Jordantal, das unsere Regierung in irgend einer Weise annektieren will. Diese Straße ist allein dem israelischen Verkehr vorbehalten und für Palästinenser gesperrt.

(Es gibt dazu einen palästinensischen Witz. Während der Nach-Oslo-Verhandlungen bestand das israelische Team darauf, diese Straße zu behalten. Der palästinensische Chefunterhändler, der gerade aus Tunis zurückgekommen war, wandte sich an seine Kollegen und rief aus: „Was – zum Teufel – wenn wir 89 andere Straßen bekommen haben, warum sollten wir auf dieser einen bestehen?“)

Eine Gruppe junger internationaler pro-palästinensischer Aktivisten entschied, gegen die Schließung dieser Straße zu demonstrieren. Sie luden ihre palästinensischen Freunde zu einer fröhlichen Fahrradtour auf dieser Straße ein. Sie wurden von einer israelischen Armee-Einheit angehalten. Einige Minuten standen sie sich gegenüber, die Fahrradfahrer, einige mit der arabischen Keffije über den Schultern und die Soldaten mit ihren Waffen.

In solchen Situationen ist die Armee dahingehend gedrillt, dass sie die Polizei rufen soll, die für solche Fälle trainiert ist und die die Mittel hat, um eine Menge mit nicht-tödlichen Mitteln aus einander zu treiben. Aber der Kommandeur der Armeee-Einheit entschied anders.

Was dann geschah, wurde auf einem Videoclip von einem der Demonstranten aufgenommen. Es ist total klar, eindeutig und unmissverständlich.

Der Offizier, ein Oberstleutnant, steht einem blonden jungen Mann, einem Dänen, gegenüber, der nur zusieht, nichts sagt und nichts tut. Um die beiden stehen Demonstranten und Soldaten. Kein Anzeichen von irgendwelcher Gewalt.

Plötzlich hob der Offizier sein Gewehr, hielt es horizontal, mit einer Hand am Kolben mit der andern am Lauf und schlug mit dem vorspringenden Stahlmagazin mit voller Kraft den jungen Dänen direkt ins Gesicht. Das Opfer fiel rückwärts auf den Boden. Der Offizier grinste befriedigt.

Am Abend zeigte das israelische Fernsehen den Filmausschnitt. Bis jetzt hat fast jeder Israeli dies hundert Male gesehen. Und je öfter man dies sieht, um so mehr ist man geschockt. Die schiere Brutalität des völlig unprovozierten Aktes lässt einen zurückschrecken.

Für Veteranen von Demonstrationen in den besetzten Gebieten war dieser Vorfall nichts Neues. Viele haben unter solcher Brutalität in verschiedenen Formen gelitten.

Was bei diesem Fall ungewöhnlich war, war, dass er photographiert wurde. Und nicht einmal durch eine versteckte Kamera. Es gab eine Menge Kameras rund herum. Nicht nur die der Demonstranten, sondern auch die der Armeephotographen.

Der Offizier muss sich dessen bewusst gewesen sein. Es war ihm aber völlig egal.

Die unerwünschte Veröffentlichung verursachte einen nationalen Aufschrei. Offensichtlich war es nicht die Tat als solche, die das Militär und die politische Führung aufregte, sondern die Publicity, die damit verbunden war. Gerade nach der ruhmreichen Verteidigung des Tel Aviver Flughafens durch 700 Polizisten und Polizistinnen gegen die schreckliche Invasion von etwa 60 internationalen Menschenrechtsaktivisten war solch eine zusätzliche Veröffentlichung auf keinen Fall erwünscht.

Der Armeestabschef verurteilte den Offizier und suspendierte ihn sofort. Alle ranghohen Offiziere folgten seinem Beispiel, der Ministerpräsident äußerte sich auch dazu. Wie ja bekannt ist, ist unsere Armee „die moralischste auf der Welt“, was also hier geschah, war die unverzeihliche Tat eines einzelnen Schurkenoffiziers. Es wird eine gründliche Untersuchung geben etc. etc.

Der Held dieser Affäre ist der Oberstleutnant Shalom Eisner (ein deutscher Name der wie „eiserner Mann“ klingt).

Weit davon entfernt, eine Ausnahme zu sein, scheint er der Inbegriff des Armeeoffiziers zu sein, ja, tatsächlich der Inbegriff eines Israeli.

Das erste, was ein Fernsehzuschauer bemerkte, war die Kippa auf seinem Kopf. „Ach natürlich“, murmelten viele zu sich selbst. Seit Jahrzehnten infiltriert die national-religiöse Bewegung systematisch das Offiziers-Corps der bewaffneten Kräfte, indem sie mit Offizierskursen beginnt und langsam mit dem Ziel hochklettert, einer von ihnen möge Stabschef werden. Jetzt sind schon Kippa tragende Oberstleutnants normal – wie es Kibbuzniks am Anfang unserer Armee waren. Zu dem Zeitpunkt des Vorfalls war Eisner ein stellvertretender Brigadekommandeur.

Die national-religiöse Bewegung, zu der der Kern der Siedler gehört, war auch die Heimat von Yigal Amir, dem Mörder von Yitzhak Rabin, und von Baruch Goldstein, dem Massenmörder in der Moschee in Hebron (1994).

Eine der Stützen dieser Bewegung ist die Jeshiva Merkaz Harav („Zentrum des Rabbi“), wo Eisners Vater ein prominenter Rabbiner war. Während Ariel Sharons Evakuierung der Siedler aus dem Gazastreifens war Eisner jr. unter den Protestierenden. Im letzten Jahr wurde Eisner an genau derselben Stelle auf der Straße 90 photographiert, wie er sich mit extrem rechten Demonstranten verbrüdert, die auch dort auf Fahrrädern protestierten.

Er nahm den offiziellen Tadel nicht an. Mit beispielloser Unverschämtheit griff er den Stabschef, den Kommandeur der Zentralfront und seinen Divisionskommandeur an. Er winkte mit seiner verbundenen Hand, um zu beweisen, dass er zuerst angegriffen worden sei und in Selbstverteidigung gehandelt habe. Er zeigte sogar die Bestätigung eines Arztes, dass einer seiner Finger gebrochen sei.

Das ist ziemlich unwahrscheinlich. Zunächst wäre die Art und Weise, wie er auf dem Video sein Gewehr hielt, mit einem gebrochenen Finger unmöglich gewesen. Zweitens zeigt das Video, dass sein Handeln nicht die Reaktion auf irgend eine Gewalt war. Drittens gab es mehrere Armeephotographen rund herum, die jedes Detail aufnahmen (um als Beweis zu dienen, wenn die Demonstranten zur Anklage vor ein Militärgericht gebracht werden). Wenn irgend ein Gewaltakt stattgefunden hätte, wäre er von der Armee noch am selben Tag vorgeführt worden. Viertens, schlug Eisner in ähnlicher Weise zwei Demonstrantinnen ins Gesicht und einem Demonstranten auf den Rücken – leider ohne Kamera.

Er bestand hartnäckig darauf, dass er genau das Richtige getan habe. Schließlich habe er die Demo abgebrochen, nicht wahr?

Aber er war nicht ganz ohne Reue. Er gab öffentlich zu, dass er einen Fehler gemacht haben könnte, als er in Gegenwart der Kameras so handelte. Darin stimmten die Armee und viele Kommentatoren aus vollem Herzen überein: sie kritisierten nicht seine Brutalität, sondern seine Dummheit.

Als Individuum ist Eisner nicht sehr interessant. Wenn dumme Leute erst gar nicht vom Militär einberufen würden, wohin würden wir dann kommen?

Das Problem ist, dass Eisner keine Ausnahme ist, sondern ein Vertreter einer Norm. Es gibt ein paar ausgezeichnete Leute in der Armee, aber Eisner verkörpert viele Offiziere, die aus dem militärischen Schmelztopf kommen.

Und nicht nur in der Armee. Um Jabotinsky zu paraphrasieren: unser Bildungssystem produziert „eine Rasse / dumm und gemein und brutal“. Wie könnte dies nach 60 Jahren nicht nachlassender Indoktrination und 45 Jahren Besatzung anders sein? Jede Besatzung, jede Unterdrückung eines anderen Volkes, korrumpiert den Besatzer und macht den Unterdrücker dumm.

Während ich noch ein Teenager war, arbeitete ich als Angestellter bei einem an der Oxforduniversität studierten jüdisch-britischen Anwalt; viele seiner Klienten waren Mitglieder der britischen Kolonialverwaltung. Ich fand sie meistens freundlich, intelligent und höflich, mit einem angenehmen Sinn für Humor. Doch die britische Verwaltung handelte mit einem erstaunlichen Mangel an Intelligenz.

In jener Zeit war ich Mitglied des Irgun, deren Ziel es war, die Briten aus dem Land zu vertreiben. In meiner Wohnung war ein kleines Lager von Pistolen, die dazu dienten, sie umzubringen.

Das war ein Leben zwischen zwei Welten. Ich fragte mich ständig: wie können diese netten Engländer sich so dumm verhalten?

Meine Schlussfolgerung ist die, dass keine Kolonialherren sich intelligent verhalten können. Die koloniale Situation selbst zwingt sie, gegen ihre eigene bessere Natur und ihr besseres Urteil zu handeln.

Während der ersten Jahre der israelischen Besatzung wurde sie weithin als „fortschrittlich“ und „liberal“ gepriesen. Der damalige Verteidigungsminister Moshe Dayan gab die Order, die Palästinenser so großzügig wie möglich zu behandeln. Er ließ sie mit dem Feind Handel treiben und nach Belieben die feindlichen Radiosender hören. In einer Geste ohne Präzedenzfall hielt er die Brücken zwischen der besetzten Westbank und Jordanien, einem Feindesland, offen. (Ich scherzte damals, Dayan habe nie ein Buch gelesen und wisse deshalb nicht, dass dies unmöglich sei.)

Hinter seiner Politik steckte kein Wohlwollen – nur die Überzeugung, dass, falls den Arabern erlaubt würde, ihr tägliches Leben in Frieden zu führen, sie keinen Aufstand machen würden, sondern sich mit einer ewigen Besatzung abfinden. Dies funktionierte tatsächlich mehr oder weniger 20 Jahre lang. Bis eine neue Generation die erste Intifada anfing und die Besatzung – nun, dumm und gemein und brutal wurde – zusammen mit den verantwortlichen Offizieren.

Vor zwei Tagen beging Israel den jährlichen Holocaust-Gedenktag. Dazu würde ich gern Albert Einstein, einen Juden und Zionisten zitieren: „Sollten wir unfähig sein, einen Weg zu ehrenhafter Zusammenarbeit zu finden und einen ehrlichen Pakt mit den Arabern zu schließen, dann haben wir absolut nichts während der zwei tausend Jahre Leiden gelernt und verdienen all das, was auf uns zukommen wird.“

Anmerkungen:

Vorstehender Artikel von Uri Avnery wurde aus dem Englischen von Ellen Rohlfs übersetzt. Die Übersetzung wurde vom Verfasser autorisiert. Die Erstveröffentlichung erfolgte unter www.uri-avnery.de am 19.04.2012. Alle Rechte beim Autor.

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