Dresdner Heldentaten am Sowjetischen Ehrenmal – Eine Kunstaktion in Dresden will eine Debatte über sowjetische Ehrenmale anregen

Sowjetisches Ehrenmal für die Gefallenen der 5. Gardearmee der Roten Armee. Foto: Kanjawe, CC BY-SA 4.0

Berlin, Deutschland (Weltexpress). Anfang des Jahres 1945 war die Niederlage Nazideutschlands abzusehen. Die Naziclique und ihre Generalität wehrten sich verzweifelt. Mit dem Übergang der sowjetischen Truppen über die Oder am 16. April 1945 begann die letzte große Schlacht. Sie kostete noch Zehntausende sowjetische Soldaten das Leben. Sie wurden in deutscher Erde bestattet. Überall errichteten die sowjetischen Truppen für ihre Gefallenen Denkmale. So auch in Dresden. Am 25. November 1945 wurde auf dem Albertplatz das Ehrenmal für die Gefallenen der 5. Gardearmee eingeweiht. Dies war das erste Denkmal für sowjetische Soldaten auf deutschem Boden, entworfen von dem Dresdner Bildhauer Otto Rost.

Bereits 1989 gab es Forderungen zum Abriß des Denkmals, und es wurde 1994 vom zentral gelegenen Albertplatz auf den abgelegenen Olbrichtplatz verlegt. Im Staatsvertrag von 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland, der DDR und den vier Siegermächten hatte sich Deutschland dazu verpflichtet, die Denkmale zu ehren und zu pflegen. Man konnte annehmen, die Frage sei entschieden und die sowjetischen Soldaten könnten in Frieden ruhen. Dies ist auch den toten amerikanischen, britischen, französischen, kanadischen und deutschen Soldaten in vielen Ländern Europas vergönnt. Der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge berichtet regelmäßig, das russische und bjelorussische Behörden ihn darin unterstützen, die Überreste deutscher Soldaten auf ihren Teritorien zu exhumieren und zu bestatten. Die Hinterbliebenen können die Grabstätten besuchen.

Wie isr das in Dresden? Der Zahn der Zeit macht auch vor Denkmalen nicht halt. Das neun Meter hohe sowjetische Ehrenmal wies Schäden auf. Die Fraktion Die Linke im Dresdner Stadtrat forderte bereits im Jahre 2020 seine Sanierung. Ein Gutachten ermittelte die notwendigen Arbeiten und die Kosten von 126.000 Euro. Das Denkmal sollte in seiner historischen Form erhalten werden. In der Begründung heißt es: »Das Ehrenmal hält die Erinnerung wach an den von Deutschland angezettelten Zweiten Weltkrieg und dessen 0pfer… Die Erhaltung des Ensembles in einem entsprechenden Zustand ist unser Land den gefallenen Soldaten und allen anderen Leidtragenden schuldig. Wirtschaftliche Belange sollten dabei nicht im Vordergrund stehen.» Auch Oberbürgermeister Dirk Hilbert (FDP) erklärte in einer Vorlage vom 14. Dezember 2021: »Die Erhaltung des Ehrenmals ist für unsere Stadt eine wichtige Pflicht.»

Doch der banale Vorgang denkmalpflegerischer Maßnahmen lässt schöpferische Geister nicht ruhen. Der Tag der Befreiung rückte heran. In einer Pressemitteilung vom 3. Mai teilte das Kunsthaus Dresden mit: »Seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine ist in vielen Ländern eine Debatte um sowjetische Denkmäler entbrannt – und auch in Deutschland gab es Forderungen zum Abriss sowjetischer Ehrenmäler, so auch im vergangenen Sommer in Dresden (durch den FDP-Stadtbezirksbeirat Stefan Scharf. Der Verf.)… wie die militaristische Formensprache des Denkmals wirft auch die Einordnung des Denkmals wie auch des 8. Mai als Tag der Befreiung (Hervorhebung S.Sch.) Fragen auf, die für eine zukünftige Kontextualisierung von Bedeutung sind – nicht zuletzt vor dem Hintergrund … einem differenzierten Erinnern der Gewaltgeschichte Ostmittel- und Osteuropas im 20. Jahrhundert (Originalsprache. S.Sch.)». Dazu veranstaltete das Kunsthaus Dresden am 8. Mai am Denkmal eine »temporäre künstlerische Intervention sowie ein öffentliches Diskussionsformat». Und die Künstlerin Svea Duwe legte Hand an. Wo der Denkmalschutz eine Umspannung zum Unfallschutz angebracht hatte, klebte Duwe Schilder in Deutsch, Englisch und Russisch darüber: »Dieses Gebilde ist fragil!» – nach ihrer Meinung auch »inhaltlich» fragil.

Nun konnte ein jeder die Gefahr erkennen. Doch mal wieder kam ein Wanderer des Wegs und fragte: »Was haben die toten Soldaten von 1945 mit dem Krieg in der Ukraine zu tun?» Er wusste nicht, dass die Freiheit der Kunst künstlerische Interventionen und beklebte Denkmale erlaubt. Nach Einschätzung der Leiterin des Kunsthauses Dresden, Christiane Mennicke-Schwarz, verlief die Diskussion zu der Performance, bei der am 8. Mai ungefähr 150 Personen anwesend waren, »nach einer zunächst aufgeregten Atmosphäre» und trotz Zwischenrufen »insgesamt friedlich»

Kontextualisierung und Neukontextualisierung

Doch was ist eine Kontextualisierung oder Neukontextualisierung? Dazu wird die Dresdner Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch von Mennicke-Schwarz allgemeinverständlich zitiert. Es sei vorgesehen, »unter anderem eine Ergänzung weiterführender Informationen und eine historische Einordnung und Vermittlung des historischen Ehrenmales» vorzunehmen. Für »beide Maßnahmen», Sanierung und Kontextualisierung, sehe der Haushaltsbeschluss des Stadtrats 250.000 Euro vor (das bedeutet für die Kontextualisierung die gleiche Summe wie für die bauliche Sanierung – ein schönes Polster für die Geniestreiche der Dresdner Neu-Historiker).

Als eine mögliche Art von Kontextualisierung kann die Rede von Justus H. Ulbricht, Historiker in Dresden, verstanden werden. Er monierte die Folgen des »offiziellen, antifaschistischen Erinnerungsgebots der DDR». Er erinnerte die Dresdner an eine »überdeterrminierte, offizielle Erinnerungslandschaft» auf dem ehemaligen Platz der Einheit (benannt laut Ulbricht nach der »Zwangsverheiratung» von SPD und KPD. S.Sch.), wo das Ehrenmal einst gestanden hatte. Vieles müsse man anders sehen. Der Redner beanstandete zum Beispiel, dass der Soldat auf dem Denkmal die rote Fahne zum Zeichen des Sieges hochhält und nicht in Trauer senkt. Er schreckte auch nicht davor zurück, die Lieder, die in Deutschland und Italien auf die rote Fahne gesungen wurden, mit dem Horst-Wessel-Lied zu vergleichen. Und zum Kontext des »fragilen Gebildes»: »Wir» müssten nicht nur das Denkmal »ertüchtigen», sondern auch unsere Erinnerung. »Wie kommentieren wir künftig ein Monument, das uns weitgehend oder komplett fremd geworden ist?» Heute empfände man nur Fremdheit oder Nichts. »Müssen wir unsere Beziehung zu Rußland überdenken, wenn wir auf ein sowjetisches Denkmal schauen, das auch an viele gefallene Ukrainer erinnert?»

Voller Erfolg

Medial wurde die Performance ein voller Erfolg. Der Mitteldeutsche Rundfunk Kultur titelte am 11. Mai 14.40 Uhr: »Dresden: Kunstaktion will Debatte über Sowjetische Ehrenmale anregen». Eine deutschlandweite Initiative? Der Autor fragte den Ministerpräsidenten des Freistaates Sachsen, Michael Kretschmer, in einer Pressekonferenz in der vergangenen Woche, ob es das Anliegen des Freistaates Sachsen und der Kunststadt Dresden sein könne, an sowjetischen Denkmalen »herumzumodeln». Kretschmers Antwort: »Es gibt viel Gerede, wie wir mit den sowjetischen Ehrenmalen umgehen sollen.Wir haben uns in der Bundesrepublik Deutschland der Geschichte gestellt. Wir haben das in einem Staatsvertrag geregelt. Der Denkmalschutz wird gewahrt. Ein Abbau kommt nicht in Frage. Einzelne können Einwände machen. Wir sollten das mit viel Gelassenheit und Ruhe behandeln».

Indessen herrscht Unruhe unter den Mitgliedern der Linken in Dresden. Viele fühlen sich getroffen und verletzt in ihrem Gefühl der Dankbarkeit für die Befreiung vom Faschismus durch die sowjetischen Soldaten. Die in der DDR gepflegte Freundschaft zur Sowjetunion überträgt sich auf ihr heutiges Weltbild. Sie fragen, was es an der Befreiung zu deuteln gäbe. Welchem Geist seien das Kunsthaus Dresden und die Kulturbürgermeisterin Annekatrin Klepsch verpflichtet? »Wir sind schon in der Diskussion!», versichert der Geschäftsführer der Fraktion Die Linke im Dresdner Stadtrat,Thomas Feske, auf Anfrage. »Natürlich ehren wir die Sowjetsoldaten,wie wir das jedes Jahr tun.»

Anmerkung:

Eine kürzere Fassung des Beitrags von Sigurd Schulze wurde in „junge Welt“ vom 23. Mai 2023 veröffentlicht.

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