Ich behaupte nun, dass versteckter Rassismus vor allem dort anfängt, wo man nicht mehr offen sprechen darf. Wir Deutschen sind mit unserer Holocaust-Schuld, die nie vergessen werden darf, ganz besonders betroffen. Wir sind jedoch so dermaßen betroffen, dass diese Betroffenheit bereits in eine ganz besonders subtile Art von Rassismus mündet, weil wir nicht aussprechen sollen, was wir denken. Und das, was wir als demokratische und verantwortungsbewusste Bürger denken, sind manchmal ganz banale Dinge, aus denen möglichst kein Strick einer Volksgesinnung gedreht werden sollte. Wenn den auch hier gut- und weniger gutsituierte Türken nicken: ich stehe in der Türkei bei einem Schalter an, warte geduldig in der Schlange, wie ich es gelernt habe, bis sich dann der 3. oder bereits der 4. Kunde vorgedrängt hat und die türkische Kassiererin dann entrüstet proklamiert, dass das so nicht gehe, wenn das türkische Volk gerne Mitglied in der Europäischen Union sein möchte, habe sich gefälligst jeder in der Warteschlange einzureihen, ist die Kassiererin dann rassistisch? Warum also sollte dann die deutsche Kassiererin in Deutschland nicht sagen dürfen, man solle sich bitte in die Warteschlange einreihen und nicht wie „bei Ihnen daheim“”¦? Dann ist sie genervt und will einfach nur ihre Arbeit machen und nicht zwangsläufig Trägerin rassistischen Gedankenguts. Auch für Türken in der Türkei ist das ein großes Ärgernis, dieses Vorgedrängel, das schwer einzudämmen und noch immer eine alte Gewohnheit ist. Das behaupten nicht nur Rassisten! „Wie ihr das bei Euch daheim macht, interessiert mich nicht, hier machen wir das so!“ sagt die türkische Nachbarin zu mir in der Türkei, wenn sie mit ihren Schlammschuhen durch das Treppenhaus stapft, weil sie ja vor ihrer Wohnungstüre die Schuhe auszieht! Rassismus oder schlichtweg persönliche Ignoranz?
Wenn ich als Deutsche in der Türkei als „Ungläubige“ und „Fremde“ (Yahudi/Yabanci) betitelt werde, nehme ich das gelassen und behaupte keineswegs, dass Türken Rassisten sind. Dass Ausländer regelmäßig in Restaurants oder bei Behörden mindestens das Doppelte als normal bezahlen müssen, eben weil sie Ausländer sind, ist eine ärgerliche Tatsache. Dass Deutsche im Ausland oft genug selbst dafür sorgen, als „Biertrinkende Schweinefleisch- oder Sauerkraut-Fresser“ bezeichnet zu werden, liegt weniger am latenten Rassismus der Bewohner des jeweiligen Ortes, wo sie so genannt werden, als daran, wie sie sich die Deutschen diese Bezeichnung „verdient“ haben. Und die, die in Mallorca einfallen, um ein Wochenende im Dauersuff zu verbringen, dienen mit Sicherheit nicht der Völkerverständigung, etwa genauso wenig wie diejenigen Türken, die seit Jahrzehnten im Ausland in einer Parallelgesellschaft leben und sich über versteckten Rassismus ihrer Umgebung beklagen. Das gilt für Deutsche auf Mallorca, den USA oder in Panama genauso wie für Türken, Griechen, Spanier etc. in Deutschland, Belgien oder Holland.
Nein, wenn wir latenten Rassismus ausmerzen wollen, dann geht das nur, indem wir auch offen kritisieren dürfen, ohne gleich ein ganzes Volk zu beschuldigen. Wenn mir zufällig im Supermarkt eine aus Burma stammende junge Frau, die man für eine Thailänderin halten könnte, die aber in Deutschland geboren und aufgewachsen und mit einem Deutschen verheiratet ist, den Einkaufswagen in die Hacken rammt, dann will ich mich eventuell spontan entrüsten dürfen, ohne zuerst ihre Herkunft, Religions- oder Staatsangehörigkeit und Aufenthalts-Status geprüft zu haben, weil sie evtl. eine Asylantin sein könnte, die wiederum”¦ Kann ich das nicht, dann herrscht Rassismus!
Bevor das Thema jetzt ausufert, bleibe ich lieber beim „Döner“. Es gibt Regeln, die in der Türkei schon längst selbstverständlich geworden sind, während so mancher Türke in Deutschland davon noch nichts mitbekommen hat. Es sind nämlich oft die kleinen Dinge, die uns gegeneinander aufbringen und die so leicht zu vermeiden wären. Denken wir nur daran, wie viel Paar Schuhe vor der Wohnungstür einer türkischen Familie stehen können, wenn Besuch da ist und über die der deutsche Nachbar genauso stolpert wie der aus China oder Hawaii. In den meisten Appartement-Häusern der Türkei ist genau das per Hausordnung untersagt, beschwert sich jedoch jemand in einer deutschen Hausgemeinschaft darüber, gilt dies bereits als Fremdenfeindlichkeit”¦stimmt`s? Die Liste wäre endlos lang zu führen. Und ja, natürlich, gibt es Ausländer, die das deutsche Sozialsystem ausnutzen – und nicht zu knapp! Doch ist das vor allem auf die falsche oder schlicht nicht vorhandene Einwanderungs-Politik Deutschlands zurück zu führen und keineswegs darauf, dass alle Ausländer nach Deutschland kommen, um das deutsche Sozialsystem auszunutzen. Hier gilt es, gemeinsam und mit vereinten Kräften diesen dumpfen und höchst gefährlichen Nazi-Parolen den Wind aus den Segeln zu nehmen.
In Sachen „Dönermorde“ schließlich ist es unwidersprochen, dass hier die Politik grandios versagt hat, dass sie den Terror und den ganz offensichtlichen Fremdenhass von Rechts nicht wahrhaben wollte und jetzt überrascht tut, das ist in der Tat eine Schande! Und wissen Sie, woran mich das erinnert? Es erinnert mich an die Serie der Christenmorde in der Türkei, für die Jugendliche missbraucht, von ehemaligen türkischen Generälen dafür bezahlt wurden, um Gewalt und Terror zu provozieren und neben vielem anderen das Land in den Ruf zu bringen, Christen würden in der Türkei verfolgt und ermordet. Es handelt sich hier um eine mutmaßliche nationalistische Untergrundorganisation. Lange galt, dass dieser Terror von links komme, der in Wahrheit stramm nationalistische Ziele verfolgte.