Wenn wir nun Sonntagabends das Spiel am ausverkauften Bieberer Berg mit 24 000 Zuschauern verfolgten – das Angebot der Eintracht, ihr eigenes große Stadion, ehemals Waldstadion genannt und heute direkt am Flughafen, zu nehmen, was sicher mit über 51 000 ausverkauft gewesen wäre und einen dicken Geldsegen nach Offenbach gebracht wurde, wurde nicht akzeptiert, zumal trat auf dem dortigen Rasen auch seine Heiligkeit, der Dalai Lama auf und an – und zwar ohne Fußball. Ist doch auch schön, daß sich die Offenbacher ihre Würde und ihren Heimvorteil nicht durch Geld abkaufen lassen. Das sieht zwar im Nachhinein anders auf, aber eine konsequente Geste in einer Fußballwelt, wo das Geld regiert, war das schon. Und deshalb schmerzten so manche die drei Tor erst recht als zu hoch.
Wir aber begannen, wenn wir nun Sonntagabends das Spiel am Bieberer Berg verfolgten, hatten wir einen anderen Ablauf als gewöhnlich. Da kommen sonst die Pressekonferenzen und die Gespräche mit Spielern und dann das Schreiben. Nicht für uns. Wir begannen endlich zu packen. Am Montag früh um 5 Uhr ging es nämlich auf eine Pressereise nach Grönland und die Woche war hart und keine Vorbereitungen möglich. So vielen Leuten hatten wir gesagt, wir fliegen nach Grönland, nach Kangerlusuaq und von dort eine Woche später wieder zurück und hinzugefügt, mit dem Schiff umrunden wir Grönland, bis einer daherkam, der nur sagte, na, dann braucht ihr einen Monat. Und hier hören wir jetzt, man braucht von der Strecke her sogar zwei Monate, kommt aber sehr oft nicht durch, da oben zwischen Alaska, Kanada und Nordgrönland durch die Nares Straße in die Lincoln See. So wenige wissen wir und viele Deutsche über die regionalen Verhältnisse dieser riesigen Eisscholle, die außen herum auch besiedelt ist und gerade seine Unabhängigkeit vom ehemaligen Kolonialherrn Dänemark Stück für Stück erringt.
Wir also wollten auf dem Flug den angefangenen Fußballartikel fertigschreiben und von unterwes wegschicken. Das war’s dann auch. In Kopenhagen, wo man umsteigen muß, durfte man 55 Minuten auf das Gepäck warten und nichts war mit Fertigstellen und Wegschicken. Und in den Wolken, die über vier Stunden Flug und viereinhalb Stunden Zeitunterschied grenzenlos sind, gibt’s keinen Empfang, also unten auf dem Schiff dann endlich den fertigen Artikel verschicken. Schließlich ist das Spiel am Sonntag gewesen, da muß schon am Montag der Artikel kommen. Schiff, Grönland, kein Empfang. Überhaupt keiner. Nicht mal für die Leute mit ihren Superhandys. Ist das nicht eigentlich schön. Eine Welt, die nicht auf Knopfdruck reagiert. Dann wollten wir den Artikel überhaupt lassen, denn, wenn er nicht erscheint, geht die Welt nicht unter. Das stimmt zwar, aber dann haben wir die ausführlichen Passagen zum Spiel – weil peinlich überholt – herausgenommen und statt dessen dies geschrieben und noch stärker die Begebenheiten um das Spiel geschildert, denn das bleibt noch in fünf Jahren und mehr topaktuell.
Also, das Spiel war aus traditionellen Prestigegründen auch für die Offenbacher, leider derzeit 3. Liga, wichtig, aber nach den Verwerfungen in Frankfurt wurde dieser Fußballauftakt für die Eintracht nachgerade existentiell. Das Management war Volkes Stimme gefolgt, sprich den lauten Sprechchören der Fankurve in den Spielen und den bösen Kommentaren, zuvor und danach, und hatte sich vom bisherigen Trainer Friedhelm Funkel getrennt – aus kosmetischen Gründen ließ man ihn um seine Demissionierung bitten – und mit Michael Skibbe nicht einen wirklichen Spitzentrainer, aber einen verläßlichen Fußballlehrer verpflichtet, den manche als jüngeren Bruder von Funkel bezeichneten und es gehört zum guten Stil, daß der Neue dem Alten nichts nachsagt und umgekehrt.
Einig waren sich alle, und der neue Trainer vorneweg, daß die Eintracht nicht mehr so brav vom Blatt spielen dürfe, sondern wagemutiger und auch schöner das Fußballspiel zelebrieren sollte. Und dann kam der Hammer. Der traf gleich doppelt. Die ersten Spiele nach den Trainingslagern gegen drittklassige Mannschaften zeigten eine völlig konfuse Eintracht, unfähig zum Kombinationsspiel, gar recht erst intelligenten ungewöhnlichen Spielzügen. Noch braver als bisher, einfaltslos und von gestern, auf jeden Fall nicht bundesligareif. In dieser Situation, wo der Trainer gleich mit denselben Vorwürfen konfrontiert war, an denen Funkel scheiterte, und offen von den alten Verhältnissen in einer neuen Saison gesprochen wurde, machte der Trainer etwas Ungewöhnliches und schwer Verständliches. Er servierte unter Lobesworten dem Spieler gegenüber den bisherigen Kapitän der Eintracht und griechischen Stürmerstar, Ioannis Amanatidis, ab und bestimmte den Schweizer Christoph Spycher zum Mannschaftsvorderen.
Der erfolgten Aufregung und Anklagen von Amanatidis wegen tat er verwundert und fand das alles ganz Unaufregend. Einsichtig, daß er und alle drumherum daraufhin dieses Derby zum wichtigsten Spiel der nächsten Bundesligahinrunde erklärten, auch wenn es ja nominell keines war. Obwohl die Eintracht Frankfurt unter spielerischen Gesichtspunkten keinen neuen attraktiveren Fußball spielte, ist gewonnen eben gewonnen, noch dazu kosmetisch wichtig mit drei Toren, so daß Skibbe und seine Mannschaft Luft holen können und den Einsatz in der Bundesliga nicht unter miesen Vorzeichen beginnen müssen. Für die Offenbacher dagegen, drittklassig geworden, hätte ein Unentscheiden oder gar ein Sieg moralisch viel bedeutet, aber gleichzeitig Erwartungen geweckt, die sie hätten nicht einlösen können. Alles in allem also eine weise Entscheidung des Fußballgottes, wenngleich, wir müssen es wiederholen, zu hoch in der Torfolge ausgegangen. Nach ausgeglichener, wenig spektakulärer ersten Halbzeit, kam der Neue aus Leverkusen, Pirmin Schwegler, zum ersten Tor in der 71. Minute und blieb bester Mann auf dem Platz. Der Brasilianer Caio, vom alten Trainer gescholten, vom neuen so aufgebaut wie die ihn liebenden Fans das erwarten, schoß Caio sich mit dem 2:0 in der 75. Minute erneut in deren Herzen und in der 86. Minute erhöhte Alexander Maier, ein Lieblingsschüler von Funkel und von Skibbe, zum Endstand 3:0.
Was die Eintracht nun aufzuarbeiten hat, liegt auf ganz anderem Pflaster. War die Demission von Funkel noch Volkes Stimme geschuldet, so haben sich Teile der Ultras, die sich selbst so nennenden Fußballfans, vor, während und nach dem Spiel mehr als danebenbenommen und werden für das Management teuer. In Zahlen, in Euros. Ganz abgesehen davon, daß das Zündeln und die bengalischen Rauchwolken, die sie im Offenbacher Stadion herbeiführten, vom Deutschen Fußballbund der Eintracht als Verletzung der Aufsichtspflicht aufgebrummt werden, gab es im Vorfeld mehr als peinliche Ungeheuerlichkeiten.
Ein Teil der Eintrachtfußballbewegung hatte sich in Sachsenhausen versammelt und ab 11 Uhr sich per Fuß auf den Weg ins 10 Kilometer entfertne Stadion in Offenbach südlich des Mains gemacht. Daß irgendein Idiot das grölend unter Hitlergrüßen tat, gefiel auch den Kameraden nicht. Aber die martialischen Schreie auf dem Fanausflug und die Mengen des Bier- und Apfelweinkonsums führten zu primitivem Verhalten, Kabbeleien mit der Polizei und insgesamt einem furchtbaren, dem Fußball abträglichen öffentlichen Spektakel. Auch die T-Shirts mit dem Aufdruck: „Kniet nieder, ihr Bauern, Frankfurt ist zu Gast“ sind nur auf abgehobener Ebene witzig. Das ist so ungefähr das Gegenteil der spielerisch gepflegten öffentlichen Gegnerschaft zu den Offenbachern gewesen, und läßt die Eintracht als den Verein dastehen, der proletenhaft über rohe Gewalt Fußball definiert, ein Vorwurf, der ja umgekehrt von Frankfurt aus immer den Offenbachern, die hier Offenbäscher genannt werden, gemacht wurde. Für die Eintracht also erst einmal ein teuer erkaufter Fußballfriede mit der eigenen Klientel. Wieviel er wert ist, werden die nächsten Spiele zeigen, es beginnt die Bundesliga mit dem Spiel gegen die Bremer in der Hansestadt.