Die türkischstämmige Ministerin und das Kreuz der Religionen

In der hessischen CDU wurde bereits von einer “gefühlten Landnahme” gesprochen mit dem Hinweis darauf, dass der Islam ohnehin “die Eroberung der Weltherrschaft anfixiere” und mit Frau Özkan sei dabei in Deutschland bereits der Anfang gemacht. Hoppla! Der hessische und stellvertretende CDU-Fraktionschef Hans-Jürgen Irmer hat sich hier mindestens so weit und ungeschickt aus dem Fenster gelehnt, wie Frau Özkan, als sie die Kruzifixe in den Klassenzimmern kritisierte. Jedoch gilt hier wie überall: wenn jemand türkischstämmig ist, heißt das nicht unbedingt und zwingend, dass er auch der islamischen Religion aufs Engste verbunden ist. Vielleicht gehört Frau Özkan ja einer Minderheiten-Religion wie beispielsweise die des alevitischen Glaubens an”¦ immer schön vorsichtig mit Pauschalisierungen. Die Angst vor einer “Übernahme” durch Christen in der Türkei ist mindestens so weit verbreitet ist, wie die in Deutschland durch den Islam.

Aber solche Ängste bringen uns ja nicht weiter. Darum ist Annäherung und gegenseitiger Austausch wichtiger denn je. Hätte Frau Özkan nicht gleich am ersten Tag ihre Distanz zur Religion schlechthin durch die Entfernung der Kruzifixe in den Schulen zu demonstrieren versucht, hätte sich die Diskussion um ihre Person und ihre “islamische” Herkunft sicherlich nicht ganz so aufgeheizt. Sie wollte sich damit auch gegen die Kopftücher in öffentlichen Einrichtungen aussprechen, ganz konform den laizistischen Regeln, wie sie in der Türkei auch diskutiert werden.

Das war natürlich mehr als ein Fettnäpfchen, in das sie da tappte. Nicht nur ist die CDU nicht so weit, eine solche Diskussion tragen zu können, noch kann sich eine gerade ernannte türkischstämmige Ministerin ein solches Kreuz aufladen. Selbst ein gestandenes CSU-Mitglied hätte nach einem solchen Vorstoß mit starkem Gegenwind rechnen können. Interessant jedoch ist, dass Frau Özkan es nun nicht nur mit den konservativen Christen in Deutschland zu tun bekam, sondern ebenso mit den islamischen Gemeinden. Vielleicht musste sie darum zurückgepfiffen werden, der Aufruhr wäre vermutlich zu groß geworden. Hier stehen sich nämlich zwei sehr unterschiedliche Interpretationen von Symbolismus entgegen: das christliche Kreuz betrachten wir nicht nur als einen Ausdruck von Religion, sondern ebenso als ein Symbol der christlichen Kultur insgesamt und weiterhin sehen wir darin mittlerweile sogar die Basis der Christen, die sich wenn nötig, gegen den Papst und den Vatikan stellen. Das Kopftuch ist ein Streitpunkt schlechthin. Die einen betrachten es als Symbolismus für eine neue Welle der Islamisierung und Unterdrückung der Frauen, die anderen betrachten es als einen Teil ihres Rechtes zur Religionsausübung. Dies ist ein seit Jahren schwelender Streit in der Türkei, der vom Staat nicht gelöst werden kann, ohne die eine oder die andere Seite in extremer Weise gegen sich aufzubringen. Das Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen hat in der Türkei bereits eine Garnison von neuen jungen “Kopftuchfrauen” hervorgebracht, die sich mit diesem, ich nenne es hier einmal “Symbol”, von anderen “leichtgläubigen” Muslimas absetzen wollen. Seit Emine Erdogan hat das Tragen des “Türbans”, das eng um den Kopf und den Hals gebundene Kopftuch, mit einem Tuch unter dem Tuch, um den Haaransatz ebenso zu verdecken, eine regelrechte Welle ausgelöst, bei der man getrost von einer Mode sprechen kann. Dabei geht es weniger um die “Religionsausübung” oder gar Unterdrückung, als eher ein neues Selbstbewusstsein. Dieser Türban wird nämlich vielfach von jungen Frauen mit starkem Make-up, engen Jeans und Stöckelschuhen untermalt. Als einziges Zugeständnis zur weiteren “Verhüllung” wird eine Tunika oder ein längeres Oberteil getragen, das lange Ärmel aufweist. So viel zum Recht der Religionsausübung durch das Kopftuch. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass es selbstverständlich nicht die Mehrheit der muslimischen Frauen ist, die das Kopftuch auf diese Weise zu einem modischen Accessoires haben mutieren lassen, doch sind sie in der türkischen Gesellschaft nicht zu übersehen und werden immer mehr.

Es könnte also durchaus sein, dass Frau Özkan ihren Vorstoß auf den religiösen Symbolismus aufgrund dieses starken Wandels in der türkischen und türkischstämmigen Gesellschaft gewagt hat. Man hätte diese Diskussion auch als Chance begreifen können, bevor man sie ohne weitere Argumentation von der Tagesordnung nimmt. Vielleicht hätte ein Dialog mit den islamischen Gemeinden stattfinden können, dass man nämlich die Christus-Kreuze nicht mit dem Kopftuch auf eine Ebene heben kann, beispielsweise. Weiterhin sollte sich auch Herr Kizilkaya vom Islamrat Deutschlands überlegen, ob er wirklich im Falle des Kopftuchs von Religionsausübung oder doch eher von Symbolismus sprechen sollte. Hier sind grundsätzlich mehr die Instutionen der islamischen Religion gefragt, als der Staat. Die Kopftuchfrage ist ein Streitpunkt seit Gründung der Türkischen Republik und kann wahrscheinlich weniger durch Gesetze und Verbote, als durch Aufklärung in den Gemeinden in- und außerhalb der Türkei nachhaltig gelöst werden. Grundsätzlich wäre zu sagen, dass jeder Bürger eines säkularen Staates sich an dessen Regeln halten sollte. Wer sich also dazu entscheidet, seine religiöse Zugehörigkeit, die nun einmal Privatsache ist, in der Öffentlichkeit durch Kleidung nach außen bekannt zu machen, sollte auch gesellschaftliche Einschränkungen in Kauf nehmen und diese akzeptieren. Die Kleidung einer Nonne, des Dahlai Lamas oder eines orthodoxen Juden wird als Symbol verstanden und nicht als Religionsausübung.

Abschließend ist mit Nachdruck zu sagen, dass in einer sich immer weiter globalisierenden Welt nichts wichtiger ist und immer sein wird, als den Austausch und den Dialog der Religionen und Kulturen zu fördern und zu pflegen. Nicht Toleranz, sondern wirkliches Verstehen ist die Voraussetzung für ein friedliches Zusammenleben unterschiedlicher Kulturen, denn eine Toleranzgrenze ist immer schnell erreicht.

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