Das Motto ist einfach erklärt. Fasziniert sollen die Chirurgen nach wie vor von der Anatomie des Menschen sein, aber auch von der Verbindung von Handwerk und Technik. Mut ist nach Jähnes Worten eminent wichtig, um die Grenzen der Chirurgie zu verschieben. Ohne Mut ist Chirurgie nicht möglich, aber über die Operation hinaus sollen sich die Chirurgen die Erhaltung oder die Verbesserung der Lebensqualität des Patienten zum Ziel setzen. Vor der Entscheidung zur Operation müssen mögliche andere Methoden der Heilung unbedingt geprüft werden. Auch sei mehr Mut zu Studien nötig, um die Langzeitwirkungen der Eingriffe, ihrer Ursachen und Wirkungen berücksichtigen zu können. Mut erfordere es zudem, Fehlentwicklungen wie die Ökonomisierung der Medizin aufzuhalten, zum Beispiel, sich der Steigerung der Fallzahlen durch die Krankenkassen zu widersetzen. Wachsende gesellschaftliche Erwartungen an Operationen sind mit Verantwortungsbewusstsein zu bedienen.
Demut schließlich bedeute die Anerkennung des Menschen in seiner Existenz, auch als »Teil der Schöpfung«, so Jähne. Stets sollten die Ärzte die Würde und den Willen des Patienten achten und auf operative Maßnahmen verzichten, wo sie diese Grenze zu überschreiten drohen. Vor jedem Eingriff sei eine Risikoabwägung unerlässlich, denn im ungünstigen Falle müsse der Patient später mit Einschränkungen leben. Im Zweifel gelte der Grundsatz, zuerst einmal dem Kranken nicht zu schaden. Auf die Nachfrage, ob sich die Demut auch auf die Finanzierung des Gesundheitswesens beziehe, meinte Jähne, er halte eine größere Beteiligung der Patienten an den Kosten der Gesundheitsvorsorge für notwendig, sonst sei »das System« langfristig nicht finanzierbar. Die schwarze Null des Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble lässt grüßen. Das Thema des Kongresses hätte mit Zuverlässigkeit, Verantwortung und Bescheidenheit etwas prosaischer formuliert werden können.
Ein Schwerpunkt der Tagung ist die »Todesfalle Bauchschlagader«. Die Erweiterung der Hauptschlagader im Bauch ist eine typische Krankheit von Männern über 65, aber auch von Raucherinnen. Die Ader kann ohne vorherige Wahrnehmung platzen, was in 80 Prozent der Fälle zum Verbluten in wenigen Minuten führt. 200 000 Menschen in Deutschland tragen ein Bauchaortenaneurisma in sich. Vier bis sechs Prozent der Männer über 65 sind gefährdet, erläuterte Professor Eike Sebastian Debus, Direktor der Klinik für Gefäßmedizin am Universitären Herzzentrum Hamburg, in der Pressekonferenz. Angesichts der Gefährdungen fordert die Gesellschaft eine gesetzliche Ultraschalluntersuchung zur Früherkennung für alle Männer ab 65. Die Zahl der Notoperationen und der Todesfälle könnte um 50 Prozent gesenkt werden. Es geht um eine einmalige Untersuchung, die flächendeckend möglich ist, weil viele Ärzte über diese Technik verfügen. 500 000 Menschen müssten untersucht werden. Noch ist es eine »freiwillige« Leistung, die der Patient mit 20 Euro bezahlen muss, aber die Gesellschaft fordert die Untersuchung als kassenärztliche Leistung.
Weitere Schwerpunkte sind neue Operationstechniken, die Gewinnung von mehr chirurgischem Nachwuchs, Lebensbedingungen von Patienten mit Einschränkungen sowie die Einführung von Lagerungskissen für Babys, um Verformungen des Köpfchens zu vermeiden. Damit wird die Empfehlung korrigiert, dass Neugeborene als Schutz vor dem plötzlichen Kindstod nachts nur auf dem Rücken schlafen sollen. Ferner werden erste Langzeitergebnisse von Hüftgelenksoperationen, schweren Schädel-Hirnverletzungen und Wirbelsäuleneingriffen vorgestellt. Ins Programm drängt erneut der Sanitätsdienst der Bundeswehr »in mehreren Sitzungen«, um die Chirurgen »in kollegialem Miteinander« an ihren Erfahrungen aus den Auslandseinsätzen, insbesondere in Afghanistan, »teilhaben zu lassen«.
Während des Kongresses soll eine Ausstellung über den Approbationsentzug für jüdische Ärzte durch die Nazis gezeigt werden. Bedauerlicherweise ist der Zugang der Öffentlichkeit nicht geplant.