Berlin, Deutschland (Weltexpress). »Mit dem zweiten sieht man besser«, behauptet des ZDF unablässig. Mit dem Zweiten gefällt sich auch Oliver Hilmes, Kurator der Ausstellung der Berliner Philharmoniker, »Der zweite Blick«, im Foyer der Philharmonie. Bei der Vorbereitung der Ausstellung »Die Alte Philharmonie – ein Berliner Mythos« im vergangenen Jahr hatte er unbekannte Fotografien von Wilhelm Furtwängler entdeckt, die von Hanns Hubmann (1910 – 1996) stammten – einem deutschen Pressefotografen des 20. Jahrhunderts. Die Recherchen weiteten den Blick auf das umfangreiche Werk Hubmanns, aber auch auf andere berühmte Fotografinnen und Fotografen. Ihre Bilder fanden sich in den Beständen der bpk-Bildagentur, einem Ableger der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz. Dazu zählen Georg Ebert, Fritz Eschen, Ingrid von Kruse, Felix H. Man, Willy Römer, Erich Salomon und Felicitas Timpe.
Naturgemäß interessierten hier Fotos und Porträts von Musikern, die mit den Berliner Philharmonikern verbunden waren: Richard Strauss, Wilhelm Furtwängler, Karl Böhm, Otto Klemperer, Paul Hindemith, Herbert von Karajan, Claudio Abbado, Sergiu Celibidache, Lorin Maazel, Daniel Barenboim, Boris Blacher, Alfred Brendel, Swjatoslaw Richter. Auch andere Große sind abgebildet: der Komponist Friedrich Hollaender, Walter Gieseking, Erich Kleiber, Aram Chatschaturjan, Franz Schreker, Leonard Bernstein, Kurt Weill und Franz Lehar.
Die Autoren der Ausstellung wollten die Porträtierten nicht in Heldenpose zeigen, sondern in alltäglichen Situationen. Der Intendant Martin Hoffmann hebt die Fähigkeit der Fotografen der Werkschau hervor, »jenen magischen Augenblick einzufangen, wenn die Hülle fällt und ein ganzes Leben aufscheint. Auf den ersten Blick sind manche Fotos amüsant, andere berühren und wiederum andere verstören. Doch auf den zweiten Blick erkennt man Musiker, die trotz ihrer Prominenz empfindsame, ja verletzliche Wesen sind«. Hilmes betont, dass eben die hier präsentierten Fotografen über den zweiten Blick verfügten und »faszinierende Bilder schufen, die das Private und Menschliche der Superstars zeigen und nicht das Heldenimago«.
So erscheinen Fotos aus dem »Privatleben«: Walter Gieseking bei der Gartenarbeit, Richard Strauss mit dem Enkel Richard, Karl Böhm und Thea Linhard-Böhm mit Hund, Erich Kleiber im Morgenrock, Alfred Brendel grimassierend am Klavier, Franz Lehar mit seiner Schildkröte und Franz Schreker mit seinem Luxusauto – eben Menschen wie du und ich.
Anregend sind Fotos vom strahlenden jungen Claudio Abbado, vom stolzen Lorin Maazel und von Boris Blacher mit seinem klugen Blick. Nicht von der Schokoladenseite zeigen sich der traurig blickende Pianist Swjatoslaw Richter, der »unter seiner Aura leidet«, wie der Katalog sagt, und der sorgenzerfurchte Sergiu Celibidache, der einst von der Wahl Karajans statt seiner als Chefdirigent tief gekränkt war. Einer der Porträtierten sieht so interessant aus, wie seine Musik ist – Kurt Weill 1932. Bei ihm ahnt man die Größe der Persönlichkeit. Denn in der Darstellung der Persönlichkeit liegt das Problem der Ausstellung.
Die Zeiten waren bedrohlich und für einige belastend, besonders die Nazizeit, in der von den Verbrechen der Nazis niemand unberührt blieb, weder als Täter noch als Opfer. Wie verhielt sich der Künstler, der nach Erfolg strebte, aber dem Humanismus verpflichtet sein sollte oder wollte? Hier wäre ein »dritter Blick« vonnöten, der die Persönlichkeit erschließen und dem Porträtierten ins Innere blicken könnte.
Auffallend bis abstoßend ist der Personenkult um Herbert von Karajan, dem von 50 Fotos allein acht plus einige Kontaktabzüge mit 23 Probenfotos gewidmet sind. Hier sieht man einen Sieger der Geschichte, allein zweimal mit Verdienstkreuz, Mitglied der feinen bundesdeutschen Gesellschaft, sogar einmal als Dandy inszeniert. Wer es weiß, erkennt ihn annähernd in seiner Rolle. Karajan war überzeugter Nazi, der gleich zweimal in die NSDAP eintrat, in Aachen Naziveranstaltungen gestaltete, im nazibesetzten Paris das Horst-Wessel-Lied dirigierte und der nach 1945 die Wiedereinstellung des jüdischen Konzertmeisters Szymon Goldberg mit demütigenden Bedingungen verhinderte. Von dieser Seite ist nichts zu sehen, sie ist auch in keinem Kommentar erwähnt.
Ein wenig anders zu sehen ist Wilhelm Furtwängler – in den ausgestellten Fotos als Neunzehnjähriger inszeniert als junges Genie, später nachdenklich, sogar ein wenig unsicher. Nicht zur Exposition gehört jenes peinliche Foto, in dem sich Furtwängler vor Hitler und Goebbels verbeugt, denen er mit dem »Reichsorchester« treu diente bei der Stärkung der Front und der »Heimatfront«. Ein tieferer Blick ist hier sehr zu vermissen.
Nicht ohne Komik sind die »netten« Bilder von Richard Strauss. Auch Strauss hatte dem Nazistaat als Präsident der Reichsmusikkammer, die ein Instrument für Berufsverbote für Juden und »Kulturbolschewisten« war, gedient. Ein Foto zeigt eine freundliche Runde mit US-Offizieren in seinem Hause in Garmisch im April 1945. Die Beschlagnahme des Hauses durch amerikanische Truppen hatte er mit seinem berühmten Namen zu verhindern gewusst, was er selbst später als »>Abwehrerfolg durch den Geist< erster Klasse« rühmte. Im Hintergrund des Bildes eines „liebenswürdigen« Strauss sitzt abgewandt seine Frau Pauline, deren Körpersprache auszudrücken scheint: »Wann hört die Heuchelei endlich auf?« Diese Fotos sind eine Glanzleistung Hanns Hubmanns, der zur rechten Zeit am rechten Ort war. Dennoch: Künstler als Kleinbürger und widerspruchsfrei darzustellen, lohnt keine Ausstellung. Der zweite Blick. Musikerporträts. Ausstellung im Foyer der Berliner Philharmonie, bis 16. Juni, Montag bis Freitag 15-18 Uhr, Sonnabend und Sonntag 11-14 Uhr