Der Husten kehrt zurück. In “Che – Revolucion” quälte er den Revolutionär. Um so näher der Sieg, um so schwächer wurde das asthmatische Keuchen. In “Guerilla” beginnt es wieder, eine logische Folge des feuchten Klimas. Doch in seiner kongenialen Interpretation Guevaras erweitert Benicio Del Toro – Soderbergh geht nach den distanzierten Kameraperspektiven des ersten Teils endlich dicht heran, lässt Del Toro sein Darstellerpotential entfalten – dieses Husten auf einer psychosomatischen Ebene. Es ist, als würde der überstrapazierte Körper das Wissen um die bevorstehende Niederlage verarbeiten. Die Frustration über seine Physis lässt “Che” vor der Kamera das einzige Mal töten: sein Maultier, welches ihn nicht mehr tragen kann. Kurz darauf wird Guevara von der bolivianischen Armee gefangengenommen. In einer aussagestarken Szene zeigt Soderbergh die herausragende Eigenschaft seiner Hauptfigur: Überzeugungskraft. Fast überredet Guevara seine Wache, ihn fliehen zu lassen. Es ist eine gespenstische Szene, in der die manipulativen Eigenschaften und die Entschlossenheit der Figur hervortreten. Del Toros Charakter würde nicht zu seiner Familie zurückkehren oder sein Leben retten. Nur weiterkämpfen. “Hier tragen sie mich nur tot heraus.”, sagt er zu Anfang. Und dies tun die Soldaten schließlich: einen abgemagerten Leichnam aus einer schäbigen Gefängnishütte
Die langwierige Geschichtsstunde, welcher Steven Soderberghs erster Teil glich, ist als Grundlage zum zweiten Teil konzipiert. Dem Vorgänger “Che – Revolucion” steht “Che – Guerilla” konträr entgegen. Dennoch fügen sich beide Filme zu einem eindrucksvollen Komplex zusammen. War “Revolucion” von ausführlichen Dialogen geprägt, beschränkt sich “Guerilla” auf wenige essentielle Gespräche. Oft wird nichts gesagt. Stumm marschieren die Bewaffneten durch den bolivianischen Dschungel. Einmal campieren sie während eines Regenschauers. Menschliche Stimmen hört man nur aus dem Transistorradio. Es sind die intensivsten Szenen des Films. “Revolucion” ließ die Machtübernahme zu glatt erscheinen. Die endlosen Gespräche und Vorbetungen der ideologischen Lehren drohten die Realität des Guerillakampfes zu idealisieren. Erst mit dem zweiten Teil erschließt sich die Wahl der Filmtitel. Ursprünglich sollte der erste Teil “Der Argentinier” heißen, der zweite “Revolucion”. Doch im Auftakt von “Che” geht es nicht um das Individuum Ernesto Guevara. Von dessen Charakter, seinen persönlichen Beweggründen vermittelt der Film wenig. Nur einen unzerstörbaren Willen, eine an Fanatismus grenzende Entschlossenheit spürt man. Die herausragenden Eigenschaften der Filmperson sind jedoch ihre Besonnenheit und Ruhe. Guevara verliert nicht die Fassung. Oft ist er kompromisslos in seinem Vorgehen, niemals jedoch verweigert er sich der Diskussion. “Revolucion” handelt von der Revolution im Kopf. Das bedeutet für Guevara in “Che” nicht ausschließlich den Kampf und die Veränderung des politischen Systems. Entscheidend ist für ihn das Umdenken der Menschen. In “Guerilla” erlebt man ihn beim selben Revolutionskampf, den er in Kuba geführt hat. Wieder ist der gebürtige Argentinier “der Ausländer”, nur Zeit und Ort haben sich geändert.
Hier klafft die gravierende Lücke im Charakterporträt, welches Soderbergh in “Guerilla” gelingt, nachdem er mit “Revolucion” daran scheiterte. Guevara erscheint als ein Mensch, der Intellekt höher einschätzt als Gewalt. Dennoch greift er zur Gewalt. Seine Überzeugung steht über diplomatischem Denken. Mehrfach zeigen sich derartige Brüche und Konflikte in Guevaras Verhalten. Doch in “Che” gibt es kein Innehalten, keine Introspektive. Der zweiteilige Film gewinnt dadurch an Authentizität, weil er auf Pauschalerklärungen verzichtet und nicht vorgibt, Antworten zu haben. Gleichzeitig bleibt der Zuschauer außen vor. “Che” begleitet seinen Hauptcharakter, kämpft sich mit ihm durch den Dschungel und dennoch bleibt die Filmfigur ein Unbekannter. Ein einziges Mal wagt Soderbergh, diese selbstauferlegte Grenze zu durchbrechen. “Er ist zu alt, um zu lernen.”, sagt ein Guerillero über Guevara. Oberflächlich wirkt es unpassend über jemanden, der nur 39 Jahre alt wurde. Der Satz bezieht sich jedoch auf das Wesen Guevaras mit der Nachdenklichkeit und dem Wissen eines Alten, genauso wie der Sturheit. Dies unterscheidet ihn von den jungenhaften Revoluzzern, die sich im Partisanenkampf beweisen wollen. “Woran glauben Sie?”, fragt ihn kurz vor seiner Erschießung die Wache. “Die Menschheit.” Ein Fehler, wie der Ausgang beweist.
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Deutscher Titel: Che – Guerilla
Originaltitel: Guerilla
Genre: Biographie-Drama
Land/Jahr: USA 2008
Kinostart: 23. Juli 2009
Regie und Drehbuch: Steven Soderbergh
Darsteller: Benicio Del Toro, Rodrigo Santoro, Demian Bichir, Yul Vasquez, Franka Potente
Verleih: Central
Laufzeit: 133 Minuten
FSK: ab 12