Die Plakatabreißer – Große Werkschau der „Affichisten“ jetzt in der Frankfurter Schirn

Mimmo Rotella: Ritz, 1963, Plakatabriss auf Leinwand, 116 x 58 cm, Catanzaro, Fondazione Mimmo Rotella © VG Bild-Kunst Bonn, 2015

Und je nach Künstler und Epoche wurden Vorderseite oder Rückseite der Abrisse verwendet, die Bilder aufgelöst oder verfremdet bis zur völligen Abstraktion. All das zeigt jetzt die Schirn in 150 Exponaten.

Mit dem 2,56 Meter breiten manifestartigen Fries „Ach Alma Manetro“ legten die Franzosen Raymond Hains und Jacques Villeglé 1949 nicht nur den Grundstein für die künstlerische Praxis des Plakatabrisses (im Französischen affiche lacérée oder décollage genannt). Diese erste bedeutende Décollage stand in direktem Zusammenhang mit anderen künstlerischen Experimenten, denen sich Hains und Villeglé zeitgleich widmeten.

Die Affichisten wurden auf der ersten „Biennale von Paris“ im Jahr 1959, an der Raymond Hains, Jacques Villeglé und François Dufrêne teilnahmen, über Nacht bekannt. Dort provozierten die gezeigten Plakatabrisse heftige Reaktionen.

Unabhängig davon entdeckte im Rom der 1950er-Jahre Mimmo Rotella den Plakatabriss als künstlerisches Ausdrucksmittel. Sein facettenreiches Werk reicht von abstrakten Farbformationen über archaisch anmutende Rückseiten bis hin zu späteren Pop-Motiven.

Es gibt in dieser Kunstrichtung nur einen bedeutenden deutschen Beitrag.; den von Wolf Vostell. Dies rührt sicher auch daher, dass er seine künstlerische Ausbildung in jenen Jahren in Paris begann, so den Zugang fand und die Ansätze aufnimmt aber auch weiterentwickelt. In den 1950er-Jahren begann er mit den neu entwickelten Formen von Aktion und Happening den Stadtraum zu infiltrieren und übertrug das Konzept der „dé-coll/age“ auf alle Bereiche seines Schaffens. Mit seinem 1958 in Paris konzipierten ersten europäischen Happening „Das Theater ist auf der Straße“ erhob er den Prozess der Décollage zum Thema und forderte Passanten auf, Wortfragmente auf zerrissenen Plakaten zu lesen oder Plakate eigenhändig abzureißen.

Die Eröffnung der Ausstellung gewann besonderen Reiz durch  die Anwesenheit des Künstlers Villeglé, den man in der Ausstellung in einem historischen Filmdokument bewundern kann, wie er über einen hohen Bretterzaun hechtet, um sich Plakatmaterial zu sichern und der heute – mit seinen fast 90 Lebensjahren – immer noch  ungebrochene Energie verströmte.

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Schirn Kunsthalle Frankfurt, Römerberg, 60311 Frankfurt am Main, Dauer: 5. Februar bis 25. Mai 2015

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