Im dritten Raum geht man direkt auf das großformatige Gemälde zu, das als Ausstellungsplakat und auch sonst viel gezeigt wird. Kein Wunder, denn das Bild berührt mit Wucht. Wen will sie erschießen? Uns, mit der in der Rechten gezogenen Waffe oder sich selbst mit der an den Schläfen angelegten Pistole der Linken. „Du oder ich“ weist dies als Alternative aus, aber die aufgerissenen Augen, gepaart mit dem geöffneten Mund lassen uns weiterdenken zum „Du und ich“. Erst schießt sie rechts, erledigt uns, dann links, sich selbst. Ausweglos. Oder auch nicht, denn mit dieser Geste ist der Impuls auch schon wieder abgeflacht und läßt nur auf der wieder über zwei Meter hohen Leinwand die Gefährdung zurück. Erneut vermittelt der nackte, sitzende oder auch mit gebeugten Knien stehende Körper nicht so sehr das Alter, wie es das Gesicht tut. Mit den schweren, träge gewordenen geröteten Lidern, den Tränensäcke, den Sorgenfurchen, dem aufgerissene Mund gleicht die Darstellung einer jeden älter gewordenen Frau. Das Fleisch wiederum wird lebendig durch die grünen Umrisse, die den Körper umgeben. Betrachtet man das Bild im Katalog, dann würde man es für ein Aquarell halten, und sieht erneut in der Machart Anklänge an die jungen Aquarellmeister der Moderne wie Rodin, Klimt, Schiele und dann fällt einem auf, aber erst beim Blättern im Katalog, daß die Ichbilder der Maria Lassnig allesamt Aquarellcharakter haben, was in der Ausstellung nicht auffällt, weil die extrem großen Leinwände einem sagen: „Ich bin ein Ölgemälde“.
„Die Gläubigen und die Gutgläubigen“ von 2002 läßt assoziieren: „Rot und Grün ist der Narr von Wien“, ein Spruch aus dem alten Wien. Die obere links postierte rote Figur hat die Augen geschlossen, eigentlich hat sie gar keine, eher ein Brett vor dem Kopf, die untere grüne guckt wie eine Gretel aus dem Bild heraus, mit einem so direkten blauen Auge im überdimensionierten Kopf, daß man erst einmal ihre grüne Nacktheit übersieht, und sich zu fragen anfängt, wer hier eigentlich wen darstellt? Kontemplation auf jeden Fall und Diversivität auch, so daß dieses Bild gut zu dem benachbarten „Januskopf“ von 1999 paßt. „Sprachgitter“ von 1999 hätten wir ’die gerasterte Maria Lassnig’ genannt und liegen nicht daneben, ein ebenfalls zwei Meter großes Gemälde bis zur Brust, bei dem der scharfe direkte Blick in unsere Augen wieder Antworten auslöst.
Uns interessieren immer besonders die Selbstporträts, in denen sie uns anschaut. Flehentlich, abwehrend oder nur erschrocken. Hier eher gehetzt, aber erstarrt, in „Die Trauer“ von 2003. Haben die hinter ihr nur in Umrißlinien von hinten erkennbaren stehenden Männer mit ihren auffälligen Schießprügeln oder Geschlechtswerkzeugen ihr, der Nackten, etwas Böses getan? Oder sind es nur noch ihre Schatten und die Abwesenheit von Männern, die sie betrauert. Dies ist gewissermaßen ein Übergang in der Ausstellung zu den Paarbildern, die ihre Selbstporträts ablösen. Es sind in Zellophan verpackte Paare, später auch Einzelpersonen, die zu zweit eine Innigkeit suggerieren, die durch die gemeinsame Grenzziehung der Folie erreicht wird. Zweisamkeit und dermaßen demonstrierte innere Einigkeit entsteht eben auch dadurch, daß man die Außenwelt glatt abfahren läßt, was die durchsichtige Folie evoziert. Sie selbst benennt diese Bilder „Kellerbilder“, weil sie dort entstanden und die Folie sei ihr die Erinnerung an das Obst, das sie erstmals in der neuen Welt so präsentiert sah.
Uns gefällt „Adam und Eva mit Apfel“ von 2003, wo einfach ein nackter Mann und eine gleichgroße nackte Frau sich völlig entspannt, aber nachdenklich, ja ratlos gegenüberstehen, in Fleischtönen gemalt. Das Bild könnte alles möglich darstellen, aber erhält seine Eindeutigkeit durch den über ihnen hängenden, schön ausgemalten roten Apfel, der unserer Kultur bescheidet: Hier geht’s um Adam und Eva. Auch das „Ehepaar“ von 2001 oder „Zärtlichkeit“ von 2004 und erst recht „Diskretion“ von 2004 geben dem Beisammensein von Mann und Frau etwas Hingebungsvolles, Schönes, Inniges, was bei letzterem zur Begleitung in lustiger Höhe durch auf sitzende Vögel führt, Vögel, die ja einst in der Malerei den Geschlechtsverkehr symbolisierten. Die Vögel schauen aber so auffällig uninteressiert weg, wie es im Bild zuvor das weitere, oben sitzende Menschenpaar macht, die in einer Diskussion verfangen sind.
Völlig anders, aber von ausgesprochen poetischer Kraft ist „Der unschuldige Blick“, wo ein zuerst gedrechseltes, dann sich aufblähendes weißliches Gebilde, das wir Wolke nennen, von der Erde aufsteigt und in ihrer Mitte ein wunderschönes schwimmendes Auge trägt. In Blau und in uns hineinblickend. Die nun kommenden Bilder sind extrem stilisiert, ja reduziert bis zum Äußersten in Farbe und Form. Zusammengehörige Figurengruppen, die auf einander Bezug nehmen, aber ob unsere Assoziationen und Reflexionen richtig sind bei „Was weiter?“ von 2007? Das „Richtige“ liegt im Auge des Betrachters. Er hat recht in dem, was er sieht und konstatiert, denn so wie nach Proust jeder Leser der Leser seiner selbst ist, ist auch ein Bildbetrachter ein Betrachter seiner selbst.
Unsere Augen haben sich an die Körper; an dessen Faltungen, Quetschungen, Zerrungen und Verzerrungen gewöhnt, und wir können jetzt gut verstehen, warum sich Maria Lassnig einmal eine „Körperbewußtseinsmalerin“ nannte. Es geht nicht um die anatomisch korrekte Darstellung von Menschen, sondern um die Empfindungen, die unser Körper oder der anderer in uns auslöst. Im Museum sitzt einem Bild mit elf Männern – wir haben genau gezählt – eine „Mehlspeisenmadonna“ gegenüber, aus dem Jahre 2001 Dieses Bild ist gut geeignet auf einen weiteren Aspekt dieser Malerin aufmerksam zu machen, Auf ihren Humor, ihre Ironie, ihren Sarkasmus, auch gegenüber sich selbst, auf ihr Widerständigkeitsein und auch eine gewissen Hinterfotzigkeit, die man ihr in den menschlichen Darstellungen nicht absprechen kann, die aber immer eines leisten: Sie selbst ist Teil dieses Panoptikums, das wir Menschen und Leben auf Erden nennen.
Ausstellung: bis 17.5. 2009
Katalog: „Maria Lassnig. Das neunte Jahrzehnt, hrsg. von Wolfgang Drechsler, MUMOK und Verlag Walter König, Köln 2009